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Die Sandmänner

Für die Elbphilharmonie braucht man Beton. Für Beton braucht man Kies, Splitt und Sand. Und für Kies, Splitt und Sand braucht man OAM. Seit zehn Jahren beliefert das Unternehmen vom Baakenhafen aus Baustellen in ganz Norddeutschland.

Seit Beginn der Arbeiten an  der HafenCity  beliefert OAM vom Baakenhafen aus  die Großbaustelle mit Baumaterialien.

Seit Beginn der Arbeiten an der HafenCity beliefert OAM vom Baakenhafen aus die Großbaustelle mit Baumaterialien.

n der westlichen HafenCity ist inzwischen fast so etwas wie Normalität eingekehrt. Aber während zwischen Dalmannkai und Sandtorhafen bereits zahlreiche Menschen wohnen und arbeiten, zeigen nur wenige Meter entfernt Krane, Baumaschinen und Dixie-Klos, dass Europas größtes innerstädtisches Stadtentwicklungsprojekt noch lange nicht abgeschlossen ist. Damit dieses Nebeneinander von Alltag und Ausnahmezustand funktionieren kann, ist eine sorgfältige Choreografie notwendig. Es gibt kaum Platz, um Material für die Baustellen zu lagern, und Baustoffe müssen über wenige Straßen pünktlich angeliefert werden.

„Genau wie Strom nicht einfach aus der Steckdose kommt“, sagt Axel Petzinna, Geschäftsführer des Baustofflieferanten OAM, „müssen auch Baumaterialien irgendwo hergestellt, transportiert und gelagert werden, bevor sie in der HafenCity verbaut werden.“ Zum Beispiel Beton, ein unverzichtbarer Grundbaustoff für alle Baustellen. Für dessen Herstellung wird neben Wasser und Zement vor allem Betonzuschlag benötigt, also Kies oder Splitt, und Sand. Allein für die U4 wurden über das Umschlagsterminal der OAM Baustoffe GmbH am Baakenhafen 140.000 Kubikmeter Beton geliefert, wobei für einen Kubikmeter Beton eine Tonne Sand und eine Tonne Kies oder Splitt gebraucht werden. Das würde über 10.000 Lastwagen füllen. Daran ist bereits abzulesen, dass konventionelle Baulogistik in einer Großstadt erhebliche Probleme verursacht: erhöhtes Verkehrsaufkommen, steigende Schadstoffwerte und genervte Bürger.

Bis heute sind über den Baustoffterminal von OAM 10 Millionen Tonnen Baumaterialien umgeschlagen worden.

Innerstädtische Großbaustellen erfordern deshalb besondere Logistik. Die Firma OAM, die zahlreiche Baustellen der HafenCity beliefert, hat daher ein Konzept entwickelt, das sich an Erfahrungen in Berlin anlehnt. In den 90er Jahren war am Potsdamer Platz die „größte Baustelle Europas“ entstanden. Vor dem Beginn der Arbeiten war überschlagen worden, dass durch Bodenaushub und Bauabfälle allein 18 Millionen Tonnen anfielen; Tunnel- und Hochbau ergäben einen Bedarf von 8 Millionen Tonnen Beton, die dafür nötigen Rohmaterialien nicht eingerechnet. Diese Transporte über Lkw in die Stadt zu leiten, stand außer Frage. Deshalb wurde entschieden, sämtliche Materialien mit Bahn oder Binnenschiff bringen zu lassen. Wer ohne Sondererlaubnis mit Lkw lieferte, musste mit einem Bußgeld in Höhe von mindestens 10.000 DM rechnen. Als 1997 das Projekt HafenCity aus der Taufe gehoben wurde, waren die meisten Berliner Großprojekte bereits abgeschlossen. Viele ostdeutsche Steinbrüche hatten nun Überkapazitäten, und bei OAM dachte man darüber nach, wie man Lieferungen von dort über 400 bis 600 Kilometer zu den künftigen Baustellen auf dem Großen Grasbrook bringen könnte. Dabei wurde überlegt, welcher Nutzen aus der Bahnlogistik gezogen werden könnte. Die Vorzeichen für eine Kooperation mit der Deutschen Bahn waren günstig. In Berlin hatte sie sich lukrative Aufträge gesichert und dabei die Gelegenheit genutzt, entgegen zahlreicher Unkenrufe zu zeigen, dass sie eine so umfangreiche Logistik zuverlässig leisten konnte. Der neue Vorstandsvorsitzende Hartmut Mehdorn erklärte dann auch bei seinem Amtsantritt 1999, er wolle die Bahn zum „führenden Service- und Logistikunternehmen in Europa“ machen. Vor diesem Hintergrund trat die Hamburger OAM seinerzeit an die Bahn heran, um eine Rohstofflieferung aus Ostdeutschland an die Elbe möglich zu machen.

OAM-Chef Klaus Bäätjer (links) mit den beiden Geschäftsführern Jeffrey Thompson (Mitte) und Axel Petzinna (rechts).

OAM-Chef Klaus Bäätjer (links) mit den beiden Geschäftsführern Jeffrey Thompson (Mitte) und Axel Petzinna (rechts).

Eine Verlagerung von der Straße auf die Schiene hat bedeutende Vorteile. In Berlin, wo 90 Prozent aller Transporte über die Bahn vorgenommen worden waren, wurden statt der bei Lkw-Verkehr erwarteten 220 Tonnen Stickoxidemissionen pro Jahr nur 60 Tonnen gemessen. Mit Blick auf die Planungen für die HafenCity konnte OAM-Chef Klaus Bäätjer eine ähnliche Rechnung aufstellen. Bis heute sind über den Baustoffterminal der OAM am Baakenhafen 10 Millionen Tonnen Material umgeschlagen worden. Hätte man diese Menge mit Lastwagen angeliefert, entspräche dies 400.000 Lkw-Ladungen. Ähnlich wie das Binnenschiff produziert die Bahn zwei Drittel weniger Kohlendioxid als ein Lkw. Außerdem verfügt sie mit etwa 3.000 Tonnen pro Zug über wesentlich größere Kapazitäten. Die Bevorzugung der Bahn für die Belieferung der Großbaustelle HafenCity fügt sich deshalb auch in Hamburgs ehrgeizige Ziele als europäische Umwelthauptstadt 2011: Man will eine wachsende Handels- und Dienstleistungsmetropole und ein bevorzugter Industriestandort und gleichzeitig beispielhaft im Klimaschutz sein. In diesem Licht steht auch der Ansatz von OAM. Mit Beginn der Bauarbeiten in der HafenCity wurde am Baakenhafen ein moderner Baustoffterminal mit Gleisanlagen errichtet. „Die Folge dieser Vereinbarung war eine bedeutende Veränderung der Bahnlogistik und eine dramatische Entlastung des Verkehrs“, sagt OAM-Geschäftsführer Jeffrey Thompson heute rückblickend. „Außerdem wurde dadurch eine deutsch-deutsche Zusammenarbeit zwischen OAM und mehreren ostdeutschen Steinbrüchen möglich, die nicht nur Arbeitsplätze sichert, sondern uns auch unabhängiger von Importen aus Großbritannien und Norwegen macht.“

Der Baakenhafen schließt unmittelbar an die zentrale HafenCity an. Deutlich zu sehen ist oben links das Internationale Maritime Museum und die Bebauung an der Ericusspitze. In naher Zukunft wird auch das Quartier am Baakenhafen durch den Bau einer Brücke erschlossen.

Der Baakenhafen schließt unmittelbar an die zentrale HafenCity an. Deutlich zu sehen ist oben links das Internationale Maritime Museum und die Bebauung an der Ericusspitze. In naher Zukunft wird auch das Quartier am Baakenhafen durch den Bau einer Brücke erschlossen.

OAM blickt auf eine lange Geschichte zurück. Otto Alfred Müller hatte 1889 in Hamburg eine Firma gegründet, die Kohle aus England einführte, und sie hanseatisch bescheiden nach sich selbst OAM genannt. Seine Nachfolger stiegen 1964 zusätzlich in den Handel mit Kies ein. Anders als man vielleicht erwarten würde, ist Kies ein wertvoller Rohstoff. Gerade Deutschland ist ein Großverbraucher mineralischer Rohstoffe und zählt zu den bedeutendsten Produzenten, wobei an erster Stelle Kies und Bausand mit 236 Millionen Tonnen, gefolgt von gebrochenem Naturstein mit 217 Millionen Tonnen stehen. Die Firma OAM Baustoffe GmbH, seit 1985 eigenständig tätig und vom ehemaligen Mutterunternehmen Otto A. Müller getrennt, gehört zu den letzten mittelständischen Unternehmen einer Branche, die inzwischen von Konzernen dominiert wird. Spezialisiert auf Umschlag und Lagerung von Massen- und Schüttgut, liefert OAM Gleisschotter für die U4, Stopfkies für die Fundamente der HafenCity sowie Grundbaustoffe für den Beton des Überseequartiers und der Elbphilharmonie, der Unilever-Zentrale und des Marco Polo Towers. Ein Großteil des Geschäftsvolumens liegt in der HafenCity, aber OAM beliefert auch Asphalt- und Transportbetonanlagen im norddeutschen Raum, die zum Beispiel Baumaterialien für den Container Terminal Altenwerder, die vierte Elbröhre und die Europa-Passage hergestellt haben. Seit einigen Jahren bringt OAM auch Sand zu den Hamburger Beachclubs, und 2005 hat Klaus Bättjer der Stadt neuen Sand für den Elbstrand bei Övelgönne gespendet.

Aber die Tage des Baustoffterminals von OAM am Baakenhafen scheinen gezählt zu sein. Die HafenCity entwickelt sich weiter. Im vergangenen Sommer wurde der überarbeitete Masterplan für die östlichen Quartiere vorgestellt. Großprojekte wie die Elbphilharmonie oder die U4 sind aus der Perspektive des Baumaterialbedarfs weitestgehend abgeschlossen, und nun stehen weitere Bauvorhaben an, unter anderem am Baakenhafen mit seinen attraktiven Wasserlagen. Dafür werden jetzt die nötigen Maßnahmen für die Infrastruktur getroffen: Kaimauern müssen saniert, Straßen auf hochwassersichere Höhe gebracht werden. Für OAM bedeutet das einen schrittweisen Rückzug aus dem Gebiet. Im Sommer 2011 wird ein erster Teil für neue Nutzungen frei gemacht, die übrigen Flächen werden im Zuge der Entwicklung der HafenCity Schritt für Schritt zur Verfügung gestellt.

„Eine vollständige Schließung des Terminals“, sagt OAM-Chef Bäätjer, „bedeutet für Hamburg mehr Verkehr, mehr Emissionen, mehr Lärm, also genau das, was man vor zehn Jahren mit der Ansiedlung von OAM, aber auch von Strabag, Holcim und dem Heidelberger Konzern am Baakenhafen vermeiden wollte.“ Hamburg wird also weiterhin vor der Aufgabe stehen, seine Baustellen so zu versorgen, dass Umwelt, Verkehr und Anwohner möglichst wenig beeinträchtigt werden. „So lange es sich mit der Neubebauung und den neuen Nutzungen in der östlichen HafenCity vereinbaren lässt“, erklärt Susanne Bühler von der HafenCity Hamburg GmbH deshalb, „werden wir eine Baustoffversorgung vom Baakenhafen aus auch ermöglichen.“

Text: Nikolai Antoniadis, Fotos: Thomas Hampel
Quartier 12, Dezember 2010–Februar 2011 , Rubrik:    
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