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Grünes Kapital

Beim Wettbewerb um den Titel der Europäischen Umwelthauptstadt hat Hamburg nicht damit gepunktet, was alles erreicht wurde, sondern was alles erreicht werden soll. Die Annahme des Preises verpflichtet die Stadt aber nun, ihre Ambitionen wahr zu machen.

Das Eurogate-Terminal: Besonders die Hafenunternehmen müssen Lösungen finden, sich auf die Anforderungen des Klimaschutzes einzustellen (1)

Das Eurogate-Terminal: Besonders die Hafenunternehmen müssen Lösungen finden, sich auf die Anforderungen des Klimaschutzes einzustellen

Vier von fünf Europäern leben heute in Städten. Obwohl nur zwei Prozent der Erdoberfläche von Städten bedeckt sind, werden hier 75 Prozent aller klimaschädlichen Emissionen produziert. Städte bieten aber auch das größte Potenzial, um die Probleme, die sie selbst verursachen, zu lösen. Indem er diesem recht einfachen Grundgedanken folgte, versuchte ein ehemaliger Bürgermeister von Tallinn im Mai 2006, ein gutes Dutzend europäische Städte dazu zu bewegen, eine Auszeichnung ins Leben zu rufen, die Städte für besonderes Engagement im Umweltschutz belohnte. Von der Europäischen Kommission aufgegriffen, sollte dieser Preis die Fähigkeit und die Absicht einer Stadt honorieren, nicht nur die Lebensqualität ihrer Bewohner zu verbessern, sondern ihren Einfluss auf die weltweiten Umweltverhältnisse möglichst klein zu halten. Nach einem langwierigen Auswahlverfahren wurden im vergangenen Jahr erstmals zwei Städte als Grüne Hauptstädte Europas gekürt: Für 2010 ging die Auszeichnung an Stockholm, für 2011 an Hamburg.

Die Hansestadt war mit 1,7 Millionen Einwohnern nicht nur die größte Stadt unter den Bewerbern, sondern zählt auch zu den bedeutendsten Industriestandorten Deutschlands. Hier befindet sich das größte zusammenhängende Industrieareal aus Raffinerien, Stahlwerken und Petrochemie in Europa. Neben Seattle und Toronto gehört Hamburg zu den führenden Luftfahrtstandorten der Welt. In der hiesigen Luftfahrtindustrie arbeiten 20.000 Menschen, 11.000 davon allein bei Airbus. Der Hafen, das wirtschaftliche Herz der Stadt, hat den zweitgrößten Containerumschlag Europas. Er gibt zehntausenden Menschen Arbeit und bedeckt fast zehn Prozent der gesamten Stadtfläche. Darüber hinaus ist Hamburg in besonderem Maße anfällig für die Folgen des Klimawandels. Sturmfluten erreichen immer höhere Pegelstände, und der Anstieg des Meeresspiegels hat weitreichende Folgen für die Elbmetropole. Hamburg steht also vor der Aufgabe, den Spagat zwischen Klimaschutz und Wirtschaftswachstum zu vollbringen.

Ein Modell der IBA zum geplanten Sprung über die Elbe veranschaulicht die Bemühungen, umweltverträgliche Lösungen in der Stadtentwicklung zu finden.(2)

Ein Modell der IBA zum geplanten Sprung über die Elbe veranschaulicht die Bemühungen, umweltverträgliche Lösungen in der Stadtentwicklung zu finden.

Als Umweltstaatsrat Christian Maaß, unterstützt von der Agentur Scholz & Friends Brand Affairs, Hamburgs grüne Vision in Brüssel vorstellte, stand deshalb auch nicht im Vordergrund, wie großartig man an der Elbe seine Probleme im Griff habe. Vielmehr betonte er, dass man sich der Herausforderungen bewusst sei, einiges erreicht habe und noch mehr erreichen wolle. Zu den ambitioniertesten Zielen zählt sicherlich die Reduzierung von CO2-Emissionen: Bis 2020 sollen sie um 40 Prozent gegenüber 1990 gesunken sein, bis 2050 sogar um 80 Prozent. Obwohl diese Absicht einige europäische Bürgermeister zum Schmunzeln gebracht hat, sind wichtige Schritte in diese Richtung unternommen worden, etwa die Einrichtung der Umweltpartnerschaft zwischen dem Senat und inzwischen fast 650 Unternehmen. „Meist auf freiwilliger Basis“, erklären Frank Horch und Hans-Jörg Schmidt-Trenz, Präses und Hauptgeschäftsführer der Handelskammer Hamburg, „werden Maßnahmen umgesetzt, die Energie sparen und Ressourcen schonen, Emissionen vermeiden, Mitarbeiter zu umweltbewusstem Verhalten motivieren, innovative Ansätze wie Kraft-Wärme-Kopplung oder Elektromobilität erproben oder möglichst hohe Recyc-lingquoten zum Ziel haben.“ Die Handelskammer geht heute davon aus, dass durch diese Maßnahmen pro Jahr mehr als 100.000 Tonnen Kohlendioxid und damit rund 16 Millionen Euro Betriebskosten eingespart würden. Eine weitere Kernaufgabe sieht Hamburg darin, dem zunehmenden Bedarf an Flächen für Industrie, Logistik und Wohnraum zu begegnen, ohne Abwanderung ins Umland oder eine weitere Zersiedlung zu fördern. Der Schlüsselbegriff ist Innenentwicklung. Ein zentrales Element dabei ist die HafenCity, die gewissermaßen an sich schon nachhaltig ist, indem sie brach liegende Industrieareale für über 5.000 Wohnungen und 40.000 Arbeitsplätze umnutzt. Innenentwicklung ist auch der Sprung über die Elbe, nach Wilhelmsburg, wo die Internationale Bauausstellung unter anderem unter dem Leitthema Stadt im Klimawandel steht. Dort wird auch im Rahmen der Internationalen Gartenschau auf 100 Hektar ein neuer Volkspark entstehen und daran erinnern, dass fast acht Prozent der Stadtfläche Naturschutzgebiete sind. Die Vorstellungen Hamburgs spannen einen großen Bogen: Der grüne Deckel auf der A7 ist als Beitrag gedacht, einen Stadtteil, der durch die Autobahnfragmentiert wird, wieder zusammenwachsen zu lassen, die Lärmbelastung zu senken und gleichzeitig, so der Senat, eine zusammenhängende „grüne Achse vom Volkspark bis zur Elbe“ zu schaffen. Im Hafen wird auf nachhaltige Operationen gesetzt, etwa durch die Einführung von Containertaxis, von denen jedes einzelne 60 Lastwagen ersetzt.

Hamburg macht den Spagat zwischen Klimaschutz und Wirtschaftswachstum.

Unter dem Stichwort Green Shipping werden die Hafengebühren für umweltfreundliche Schiffe gesenkt, und man plant, eine Europäische Allianz für klimafreundliche Kreuzfahrtschiffe zu bilden. Die Stadtbahn soll den Personenverkehr im Stadtgebiet entlasten, und eine Umweltzone innerhalb der Stadt schließt Fahrzeuge aus, die zu hohe Emissionswerte haben. Mit diesem Paket konnte sich Hamburg gegen 35 Mitbewerber durchsetzen. Im europäischen Vergleich hob die Jury besonders hervor, dass Hamburg bereits erhebliche Energieeinsparungen nachweisen konnte, nämlich 15 Prozent weniger CO2 pro Einwohner seit 1990. Auch enthalte etwa die Klimaschutzverordnung spezielle Maßstäbe für die Kosteneffizienz von Energieeinsparmaßnahmen in öffentlichen Gebäuden. Auf dieser Grundlage wurden in etwa 400 öffentlichen Gebäuden 200.000 konventionelle Lampen ersetzt und Energie für 3,4 Millionen Euro pro Jahr eingespart.

Die Auszeichnung als Umwelthauptstadt bekräftigt die Stadt darin, dass sie auf dem richtigen Weg ist. Sie kann aber natürlich nicht darüber hinwegsehen lassen, dass Hamburg als zweitgrößte Stadt Deutschlands ein bedeutender Mitverursacher von Umweltproblemen ist. Wenn Hamburgs Amtszeit als Green Capital Ende 2011 abgelaufen ist, wird in Moorburg das Kohlekraftwerk von Vattenfall ans Netz gehen, das ausgerechnet von einer grünen Behörde genehmigt wurde und einen Kohlendi­oxidausstoß von jährlich 8,5 Millionen Tonnen haben wird. Auch die Anforderungen, die ein Großunternehmen wie Airbus an seinen Standort stellt, zwingen die Stadt zu sehr unglücklichen Kompromissen: Nichts anderes als ein „Umweltgau“ war in den Augen von Naturschützern die Zuschüttung des in Europa einzigartigen Süßwasserwatts Mühlenberger Loch für das Airbus-Werk in Finkenwerder. Was wird also nach Ablauf des Jahres 2011 in Hamburg anders sein als heute?

Auch wenn das eine oder andere in Aussicht gestellte Vorhaben sehr hochgegriffen scheint, verpflichtet die Annahme des Preises die teilnehmenden Städte zur Umsetzung ihrer vorgestellten Programme. Außerdem sollen zahlreiche Veranstaltungen die Bevölkerung stärker für Klima- und Umweltschutz sensibilisieren, damit Nachhaltigkeit mehr wird als ein Marketing-Label, mit dem dieselben schädlichen Produkte im neuen Mäntelchen besser an den Mann gebracht werden können. Dafür wird viel Geld in die Hand genommen, denn mit dem Titel sind keine Fördermittel aus EU-Töpfen verbunden: Über acht Millionen Euro sind vorgesehen für einen Info­pavillon und Umwelttouren, für Veranstaltungen, Aktionen und einen Zug der Ideen, in dem jede europäische Stadt einen Waggon nutzen und darin ihre grünen Visionen vorstellen kann. Aber ähnlich wie im Fall des prestigeträchtigen Titels der Kulturhauptstadt misst Hamburg dem Green Capital Award große Bedeutung bei, sozusagen als amtliche Bestätigung dafür, dass Hamburg eine Stadt ist, in der hohe Lebensqualität und wirtschaftliche Innovationskraft nebeneinander existieren. Der Preis ist gewonnen: Nun gilt es, ihn mit Leben zu füllen.

Text:Nikolai Antoniadis, Fotos: Thomas Hampel
Quartier 12, Dezember 2010–Februar 2011 , Rubrik:    
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