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Land unter

Hamburg liegt im Überflutungsgebiet der Elbe. Daher muss auch die HafenCity Wege finden, den Fluss zu bändigen, um Leben am Wasser möglich zu machen.

Der Sandtorkai hat das Straßenniveau der Speicherstadt und gehört somit zum sturmflutgefährdeten Gebiet.(1)

Der Sandtorkai hat das Straßenniveau der Speicherstadt und gehört somit zum sturmflutgefährdeten Gebiet.(1)

Nicht erst mit der HafenCity, der Perlenkette oder dem Sprung über die Elbe nach Wilhelmsburg kehrt Hamburg an die Elbe zurück. Hamburg fühlt sich seit jeher als Stadt am Wasser. Obwohl die Elbe als eine Art Hauptschlagader Leben in die gesamte Region pumpt, ist das Leben am Fluss eigentlich nicht selbstverständlich. Regelmäßig werden Sturmfluten von starken Nordwestwinden die Elbe hinaufgeblasen. Aber schon der gewöhnliche Tidenhub beträgt am Pegel St. Pauli heute etwa dreieinhalb Meter. Ohne Deiche, Polder und Flutschutzwände würde ein Drittel des Stadtgebiets einschließlich des gesamten Hafens bei jeder Sturmflut unter Wasser stehen. So muss sich auch die HafenCity rüsten, damit Bewohner, Besucher und Arbeitnehmer keine nassen Füße bekommen. Sie liegt wie alle ehemaligen und gegenwärtigen Hafen­areale außerhalb der Hauptdeichlinie. Als Maßstab für eine angemessene Höhe hatte man sich in der Mitte des 19. Jahrhunderts, als der Große Grasbrook zu einem modernen Hafen ausgebaut wurde, an der höchsten bekannten Sturmflut orientiert. Sie war 1825 mit 5,20 Metern über Normalnull aufgelaufen. Inzwischen gelten 7,30 Meter als maximale Höhe einer Sturmflut und minimale Höhe einer Bebauung. Eine so hohe Flut hat es zwar noch nie gegeben, aber den Planungen werden Worst-Case-Szenarien zugrunde gelegt: der schlimmste denkbare Fall plus 30 Zentimeter. Man will nicht noch einmal unvorbereitet sein, wenn die Flut kommt, denn in dieser Hinsicht ist Hamburg leidgeprüft.

Nachdem in 100 Jahren keine schwere Sturmflut mehr nach Hamburg gelangt war, wurde die Stadt am 17. Februar 1962 von einer gewaltigen Flut getroffen. Der Blanke Hans hatte lange in der Nordsee gewütet. In der Deutschen Bucht war ein Windfeld entstanden, das mit Böen in Orkanstärke aus Westnordwest gegen die Küste blies. Verstärkt durch eine Fernwelle aus dem Atlantik, die in Cuxhaven bereits die Höhe von einem Meter erreicht hatte, wurde Wasser aus der Nordsee in die Elbe gedrückt und erreichte morgens um 3:04 Uhr am Pegel St. Pauli den nie dagewesenen Stand von 5,70 Metern. An 60 Stellen brachen die Deiche, und in kürzester Zeit überspülte das Wasser ein Sechstel der Stadt. Tausende Häuser stürzten ein, 20.000 Menschen mussten bei eisigem Wetter evakuiert werden, über 300 starben. Weitere schwere Sturmfluten in den Jahren 1973 und 1976 veranlassten den Senat schließlich dazu, eine unabhängige Kommission damit zu beauftragen, einen tragfähigen Flutschutz für die Zukunft zu erarbeiten. In einer Bestandsaufnahme wurde damals festgestellt, dass in Hamburg etwa 180.000 Menschen im Überflutungsgebiet der Elbe wohnten und weitere 140.000 arbeiteten, während im selben Gebiet Sachwerte von über 16 Milliarden DM lagerten. Diese Zahlen werden im Wesentlichen noch heute von den Behörden herangezogen, auch wenn sie die HafenCity mit geplanten 12.000 Bewohnern, 40.000 Beschäftigten und zahlreichen Hotelgästen nicht berücksichtigen.

Deiche und Wurten
Bei der Sturmflut im November 2007 zeigte sich die Polderfunktion der Sockelgeschosse am Sandtorkai.(2)

Bei der Sturmflut im November 2007 zeigte sich die Polderfunktion der Sockelgeschosse am Sandtorkai.(2)

Die Kommission kam nach dreieinhalb Jahren zu dem Ergebnis, dass Hamburg unzureichend geschützt sei. Aber auch nachdem die Empfehlungen weitere anderthalb Jahre geprüft wurden, konnte keine Einigung darüber erzielt werden, welche Maßnahmen den besten Schutz bieten. Einige wollten ein großes Elbsperrwerk, anderen reichte eine Erhöhung der Deiche. Die Befürworter eines Sperrwerks konnten sich aber nicht gegen die Hafenwirtschaft und deren Förderer in den politischen Parteien durchsetzen. Die fürchteten nämlich, ein Sperrwerk würde verhindern, dass Schiffe in allen Größen und zu jeder Zeit den Hafen anlaufen könnten. Als Mitte der 90er Jahre begonnen wurde, über eine HafenCity auf dem Großen Grasbrook nachzudenken, wurde ein Sperrwerk nicht mehr diskutiert. Um das Areal vor der Elbe zu schützen, musste man also andere Lösungen finden. Zum Beispiel wurde überlegt, das Gebiet ganz oder zum Teil durch Deiche zu umschließen. Diese Idee hätte aber nicht nur über 100 Millionen Euro gekostet, sondern den Startschuss für die HafenCity um rund zehn Jahre hinausgezögert, denn die Deicharbeiten hätten vollständig abgeschlossen sein müssen, bevor man mit dem Bau einzelner Gebäude hätte beginnen können. Außerdem hätte ein geschlossener Deich einen der herausragendsten Vorzüge des neuen Viertels verbaut: den Ausblick auf die Elbe.

Am Ende kam man zu dem Schluss, dass das, was in den Elbniederungen seit über 2.000 Jahren gemacht wird, auch für die HafenCity die beste Lösung sei: das Land für Straßen und Häuser künstlich erhöhen. Die lange Geschichte solcher Warften oder Wurten hat die Topografie Hamburgs stark geprägt, wie man im Alten Land oder in der Marsch noch heute sehen kann. Vielleicht ist es etwas vermessen, die HafenCity mit dem Alten Land zu vergleichen, aber das Prinzip ist das gleiche. So sprach sich Volkwin Marg in seiner „Studie zur Entwicklung des innerstädtischen Hafenrandes zwischen Grasbrook und Baakenhafen“, die er Henning Voscherau im Dezember 1996 vorlegte, für eine Warftenlösung aus. Für das Aufschütten von Warften würden, so Marg, lediglich 10 bis 20 Prozent des finanziellen Aufwands benötigt, den eine Eindeichung mit sich brächte. Außerdem könnten Warften für Hochbauten oder Straßenzüge je nach Stand der Entwicklung angelegt werden. Dadurch war sichergestellt, dass die HafenCity in absehbarer Zeit und Schritt für Schritt gebaut werden könnte. Die Entscheidung hatte weitreichende Folgen für die Planungen des neuen Stadtteils. Neben Überlegungen zur vorgeschriebenen Mindesthöhe der Fußböden von Schlafzimmern oder Änderungen am Wassergesetz, das in der sturmflutgefährdeten Jahreszeit Wohnen und generell dauerhaften Aufenthalt vor den Deichen verbot, stellte man sich auch die Frage, welche neuen Möglichkeiten sich durch die technischen Vorgaben des Warftkonzepts ergäben. Zum Beispiel konnten die Warftsockel als Tiefgaragen für Anwohner genutzt werden, um die Straßen zu entlasten. Vor allem aber wurde durch die Warften eine neue Geländestruktur geschaffen. Da man die historischen Kaimauern zumindest in Teilen erhalten wollte, ihr Zustand aber eine Bebauung nicht zuließ, dürfen Warften und Gebäude erst im Abstand von durchschnittlich etwa 15 Metern von der Kaikante errichtet werden. Dadurch bleibt die Kaifläche in ihrer ursprünglichen Höhe erhalten und ist frei zugänglich. Auf diese Weise wurde unterhalb der Warften eine Uferpromenade gewonnen, die auf fast zehn Kilometern die gesamte HafenCity umspannen wird. Diese unterschiedlichen Höhenniveaus auf dem einstmals flachen Grasbrook gaben den Freiraumplanern des spanischen Büros EMBT zusätzliche Gestaltungsmittel an die Hand, um die verschiedenen Ebenen miteinander zu verbinden. So werden die Magellan- und Marco-Polo-Terrassen durch zahlreiche Rampen, Treppen und kleine Gefälle bestimmt. Allein die Straßenzüge Am Sandtorkai und am westlichen Brooktorkai wurden nicht höher gelegt, um die Speicherstadt nicht an ihrer Südseite zuzubauen. Deshalb werden die Tiefgaragen hier durch Flutschutztore geschützt, wenn die Straßen davor genau wie die Speicherstadt und die tiefer liegenden Plätze der HafenCity bei Sturmflut unter Wasser stehen. Langfristig wird aber überlegt, auch diese Bereiche in den Hochwasserschutz einzubinden. Die Warften sollen durch Gatts und Sperrwerke etwa am Magdeburger Hafen verbunden werden. Dadurch würde eine durchgehende Linie geschaffen, die HafenCity und Speicherstadt dauerhaft in den Hochwasserschutz der Innenstadt einbezieht und sie so besser vor möglichen Extremereignissen der Zukunft absichert.

Die Freiraumplaner nahmen in Kauf, dass einige öffentliche Plätze wie die Marco-Polo-Terrassen bei Flut unter Wasser stehen.(3)

Die Freiraumplaner nahmen in Kauf, dass einige öffentliche Plätze wie die Marco-Polo-Terrassen bei Flut unter Wasser stehen.(3)

Waterworld

Wie ernst es den Hamburgern mit dem Hochwasserschutz ist, hat zuletzt 2008 eine Umfrage von Forsa gezeigt. Zwei Drittel sahen den Klimawandel als große bis sehr große Bedrohung für die Stadt, wobei 83 Prozent dabei vor allem an Sturmfluten und Überschwemmungen dachten. Diese Sorge ist nicht unbegründet. Spätestens seit dem vierten Bericht des UNO-Klimarats Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) aus dem Jahr 2007 weiß man: Der Klimawandel ist nicht mehr zu verhindern. Seine Folgen sind weltweit spürbar: Infolge der großen Hitzewelle 2003 starben laut der Europäischen Umweltagentur in Frankreich 14.800 Menschen, 18.000 in Italien und insgesamt in ganz Europa 52.000. Im Jahr 2002 wurden Österreich, Tschechien und Deutschland für drei Wochen schwer von einem Hochwasser getroffen, in dem über 100 Menschen ihr Leben verloren. Der Schaden überstieg mit 25 Milliarden Euro sogar den der Oderflut von 1997. Ein Anstieg des Meeresspiegels kann für viele Regionen der Welt verheerende Folgen haben. Etwa 20 Prozent der Weltbevölkerung leben in einer Entfernung von bis zu 30 Kilometern zur Küste, 40 Prozent bis zu 100 Kilometern.

Allein in Indien könnte laut Welternährungsorganisation FAO bis 2030 eine Fläche von 2.000 Quadratkilometer Land verloren gehen. Auch ohne diese Schreckensbilder zu beschwören, kann eines als sicher gelten: Hamburg muss sich auf extremeres Wetter und höhere Wasserstände einstellen. Die Wahrscheinlichkeit von Sturmfluten nimmt zu, folglich auch das Restrisiko eines Deichversagens. Gleichzeitig erhöht sich durch die städtebauliche Entwicklung der Schaden, den eine Überschwemmung anrichten würde. Man teilt zwar heute nicht mehr die Auffassung des Vorsitzenden der Sturmflutkommission, durch Stromregulierungsmaßnahmen und Fahrwasservertiefungen hole sich Hamburg die Sturmflut selbst in die Elbe, aber es ist unstrittig, dass sich Hamburg als Stadt am Wasser in besonderer Weise anzupassen hat. Auf welche Entwicklung man vorbereitet sein muss, ist allerdings nicht eindeutig zu bestimmen. Wie hoch wird der Meeresspiegel steigen? Der IPCC-Bericht sprach von einem Anstieg von 18 bis 59 Zentimetern bis 2100, die Klimakonferenz in Kopenhagen im Dezember 2009 sogar von ein bis anderthalb Metern. Hans von Storch, Leiter des GKSS Instituts für Küstenforschung, erklärte im vergangenen September, zwischen 2070 und 2100 seien Erhöhungen der maximalen Sturmwasserstände in der Größenordnung von 30 bis 110 Zentimetern entlang der gesamten deutschen Nordseeküste denkbar. Dabei ist der Meeresspiegel nicht das einzige Problem. Es wird mehr regnen, wobei die zunehmende Versiegelung der Böden in Großstädten das Wasser daran hindert zu versickern. Auch dadurch können Hochwasser entstehen. Allgemein wird davon ausgegangen, der Küstenschutz in Norddeutschland sei bis 2030 uneingeschränkt wirksam. Danach, heißt es, könne sich das aber ändern. Deshalb muss sich auch die HafenCity, die 2025 fertiggestellt sein soll, heute darauf vorbereiten. Der Ausbau der Deichlinien dauert 20 bis 30 Jahre und ist mit enormen Kosten verbunden. Allein das aktuelle Bauprogramm, das die Hamburger Hauptdeichlinie bis 2013 auf Höhen von 7,60 bis 8,50 Metern, in Einzelfällen sogar auf über 9,00 Metern bringt, kostet etwa 600 Millionen Euro. Dabei ist man sich einig, dass das klassische Vorgehen einer fortwährenden Erhöhung der Deiche allein nicht mehr ausreichend ist.

Raum für die Flut

Nach der Flut von 1962 hatte man die Deichlinie, die sich vorher in zahlreichen Kurven zwischen Bäumen und Häusern hindurchwand, begradigt und verkürzt. Nebenflüsse der Elbe wie die Haseldorfer Binnenelbe, die Wedeler Au oder die Alte Süderelbe wurden verschlossen, Seitenarme der Unterelbe ausnahmslos durch Sperrwerke abgeriegelt. Das Vordeichland verschwand; insgesamt nahmen die Überflutungsflächen um 75 Prozent ab. Durch diese und weitere Maßnahmen zur Stromregulierung wurde die Elbe zu einem Kanal, in dem Wasser schneller höher steigt. Inzwischen wird diskutiert, Nebenflüsse und andere Wasserflächen wieder zu öffnen, denn je mehr Raum dem Fluss bei einer Sturmflut zur Verfügung steht, desto niedriger wird sie in Hamburg auflaufen. Eine weitere Überlegung ist, Deiche in unbesiedeltes Gebiet zurückzuverlegen, etwa an der Norder- oder der Dove-Elbe, um davor Flachwasserbereiche zu schaffen. Auch die Einrichtung von zweiten und dritten Deichreihen wird geprüft.

Unterdessen werden auf der Internationalen Bauausstellung in Wilhelmsburg nach niederländischem Vorbild schwimmende Häuser entwickelt. Das ist sicherlich keine großflächige Lösung, aber nicht uninteressant für eine Stadt, die an so vielen Orten ans Wasser grenzt. In jedem Fall ist der Schutz vor Hochwasser Teil einer Strategie, die nicht allein von der HafenCity geleistet werden kann, sondern für ganz Hamburg entschieden wird. Die HafenCity zeige aber, so führte Erik Pasche vom Institut für Wasserbau an der TU Harburg 2009 aus, dass Stadtentwicklung auch im Sinne eines modernen, flexiblen Hochwasserschutzes möglich ist. „Hamburg“, erklärte er, „hat erkannt, dass das Leben am Wasser attraktiv ist. Wir müssen aber erst lernen, wie man richtig am Wasser lebt.“

Text: Nikolai Antoniadis, Fotos: (1) Manfred Stempels, (2, 3) Thomas Hampel
Quartier 12, Dezember 2010–Februar 2011 , Rubrik:    
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