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Der Stadtregisseur

Hamburgs Oberbaudirektor Jörn Walter spricht über moderne Stadttore, das kulturelle Selbstverständnis an der Elbe und die Aufenthaltsqualität von öffentlichen Parkplätzen.

Als Oberbaudirektor ist Jörn Walter an allem beteiligt, was Stadtbild, Stadtgestaltung und Städtebau bei bedeutenden Bauvorhaben berührt.

Als Oberbaudirektor ist Jörn Walter an allem beteiligt, was Stadtbild, Stadtgestaltung und Städtebau bei bedeutenden Bauvorhaben berührt.

Was haben Sie vorgefunden, als Sie 1999 ihr Amt als Oberbau-direktor antraten?

Das größte Projekt war ohne Frage die HafenCity. Der erste städtebauliche Wettbewerb war gerade ausgelobt worden. Danach folgten Projekte wie die Olympiabewerbung, der Sprung über die Elbe, die IBA oder die Entwicklung eines räumlichen Leitbildes und das Innenstadtkonzept, das wir gerade diskutieren.

Ist die HafenCity auch eine Art Labor, in dem Schlüsselfragen der Stadtentwicklung und Architektur auf dem Prüfstand stehen?

Es gibt Spezifika, die sich nicht auf andere Projekte übertragen lassen. Es kommt aber in der Tat einiges zusammen, das die Stadtentwicklungsdiskussion generell berührt. Viele aktuelle Aufgaben spielen sich hier fokussiert wie unter einem Brennglas ab, seien es Fragen nach der urbanen Stadt, nach öffentlichem Raum, einer Aufwertung der Innenstädte oder nach einer sozialen und funktionalen Mischung der Quartiere und Stadtviertel.

Dieser Nutzungsmix, den Sie ansprechen, ist in den Präsentationen der HafenCity ein häufiges Schlagwort. Politisch ist er sicherlich wünschenswert, aber ist er auch umsetzbar?

Forderungen nach einer gemischten Stadt werden seit den 70er Jahren erhoben. Gelungen ist das bei großen Neubauprojekten weltweit nur sehr wenigen. Seit dem 19. Jahrhundert hat sich der wirtschaftliche Rahmen stark verändert, auch unsere Ansprüche an Wohnungen sind zum Beispiel deutlich gestiegen. Dasselbe gilt für Kultureinrichtungen oder Büros. Umwelt, Nachbarschaft, Lichteinfall oder Klimaschutz haben einen anderen Stellenwert. Ich kenne im internationalen Maßstab vor diesem Hintergrund nur wenige Projekte, denen ein so hoher Grad an verschiedenen Gebäudenutzungen gelungen ist wie uns in der HafenCity.

Was machen wir in Hamburg richtig?

Das hat mit sehr klaren Regeln zu tun, etwa in den Bebauungsplänen. Darin wurden für fast alle Gebäude mindestens zwei Nutzungen festgelegt. Das haben wir auch bei der Grundstücksvergabe verankert. Kaufinteressenten müssen sich bereit erklären, die vorgegebenen Nutzungen zu verwirklichen. Der Masterplan hat bereits unterschiedliche Schwerpunkte für verschiedene Nutzungen innerhalb von Gebäuden, zwischen Gebäuden und zwischen Quartieren festgelegt. Im Einzelnen sind damit dann auch kleinere Maßnahmen verbunden, zum Beispiel die Höhe der Erdgeschosse auf fünf Meter anzuheben. Dadurch erhalten sie ein städtischeres Ambiente und erlauben eine Anpassung an mögliche spätere Nutzungen. Man kann nicht alle Erdgeschosse von Anfang an mit Dienstleistungen oder Geschäften belegen. In 20 oder 25 Jahren wird die HafenCity aber ein integrierter Teil der Innenstadt sein. Es wird dann darauf ankommen, ob sich Gebäude entsprechend umnutzen lassen. Das muss ergänzt werden durch Überlegungen zur Art der Dienstleistungen oder zu kulturellen Angeboten. Große Rückwirkungen auf einen lebendigen Mix hat auch die Frage, wie sich Gebäude zum öffentlichen Raum öffnen. So entsteht ein Kreislauf, ein System kommunizierender Teile.

Dafür wird viel Geld in die Hand genommen. Geht das auch auf Kosten potenzieller anderer Projekte, die auch Stadtentwicklung ermöglichen würden, aber eben nur in Dulsberg?

Bezogen auf die HafenCity kann man das eindeutig verneinen. Die Infrastruktur und alle anderen öffentlichen Maßnahmen werden über Erlöse aus den Grundstücksverkäufen finanziert. Das heißt, die HafenCity finanziert die HafenCity. Natürlich ist in einem Gesamthaushalt immer alles miteinander vernetzt. Hinter der HafenCity steht aber eine größere Anstrengung, die nicht überall in einer Stadt unternommen werden kann. Wegen der Lage und des Ziels, eine wirklich nachhaltige Innenstadterweiterung voranzutreiben, sind auch die Ansprüche höher als anderswo. Würden wir in Neugraben-Fischbek eine Philharmonie bauen? Wahrscheinlich nicht. Dass Hamburg sich zu solchen Projekten entschließt, hat mit der gesamtstädtischen Bedeutung zu tun, die man ihnen für die Außen- und Innenwahrnehmung beimisst.

„Man muss sich doch die Frage stellen: Wo will eine Stadt hin? Was tut eine Stadt für ihre Identitätsbildung? Eine Stadt wie Hamburg braucht Projekte, die einen
Akzent setzen und Ausdruck ihres kulturellen Selbstverständnisses sind.“

Lässt sich das Verhältnis zwischen dem finanziellen Aufwand und der Rendite zum Wohl der Stadt nachvollziehbar messen?

In kleinerem Maßstab sicherlich. Die Elbphilharmonie hat zum Beispiel jetzt schon große Strahlkraft für Hamburg als Musikstandort. Man kann auch ökonomische Berechnungen über weiterführende Effekte anstellen, etwa die Touristenströme, die ausgelöst werden. Das ist aber zum großen Teil Spekulation. Am Ende muss man einfach feststellen, dass sich mit solchen Projekten ideelle Werte verbinden, die nicht unbedingt messbar sind. Eine Stadt baut ein so bedeutendes Kulturobjekt einmal in Jahrzehnten. Wenn die Elbphilharmonie steht, wird sie zu den herausragenden Architekturen gehören, die zu Beginn des 21. Jahrhunderts auf der Welt gebaut worden sind.

Warum ist das für eine Stadt von Bedeutung?

Man muss sich hier doch die Frage stellen: Wo will eine Stadt hin? Was tut sie für ihre Identitätsbildung? Eine Stadt wie Hamburg braucht Projekte, die einen Akzent setzen und Ausdruck ihres kulturellen Selbstverständnisses sind. Im Mittelalter waren das die großen Kirchenbauwerke, für deren Bau übermenschliche Anstrengungen in Kauf genommen wurden. Im 19. Jahrhundert fand das seinen architektonischen Ausdruck in den Rathäusern. Unser Rathaus ist dafür ein herausragendes Beispiel. Mag sein, dass es unter rein funktionalen Gesichtspunkten nicht unbedingt Ledertapeten benötigt hätte, aber es war Ausdruck des Selbstverständnisses der Bürgerstadt. Heute, an der Wende zum 21. Jahrhundert, tun wir das mit einem kulturellen Bauwerk für die Musik. Das ist eine Botschaft. Diese Botschaft kostet uns Geld, mehr als wir dachten und mehr als wir wollten. Trotzdem wird die Elbphilharmonie von späteren Generationen ähnlich bewertet werden wie wir heute auf die Speicherstadt, das Rathaus oder die Hauptkirchen zurückblicken.

Sie hat auf jeden Fall eine kontroverse Diskussion angestoßen.
Das spricht für sie. Dieses breite Interesse ist in der Architekturgeschichte ja ein eher seltenes Ereignis.

Fehlt es dieser Diskussion zwischen Öffentlichkeit und Experten nicht zuweilen an einem gemeinsamen Vokabular?

Hier gibt es sicherlich Nachholbedarf, um das Verständnis für städtebauliche Notwendigkeiten zu erhöhen. Ein Beispiel dafür wäre das Stichwort Innenentwicklung. Weil wir nicht mehr so stark nach außen wachsen können wie die Generationen vor uns, müssen wir nach innen wachsen und in Bereichen bauen, in denen bereits Menschen leben. Allein deshalb ist es geradezu natürlich, dass es größeren Diskussionsbedarf gibt. Architektur ist letztlich die öffentlichste aller Künste.

Was bedeutet die Notwendigkeit zu einer stärkeren Entwicklung nach innen für das Stadtbild?

Aus architektonischer und städtebaulicher Sicht bedeutet sie zunächst nicht, dass alles höher wird. Es heißt aber, es wird dichter. Hamburg ist nicht besonders dicht bebaut, und selbst in den innerstädtischen Bezirken gibt es verglichen mit anderen Großstädten noch Potenzial für eine Bebauung, die wir nutzen sollten, zum Beispiel indem wir ein Geschoss mehr bauen oder indem wir Baulücken schließen. Die Grundidee ist aber immer, in der Innenstadt, zu der auch die HafenCity zählt, die Kirchturmsilhouette zu bewahren, wie sie sich von der Alster aus präsentiert. Das wurde auch im aktuellen Innenstadtkonzept festgelegt. Deshalb gibt es in der HafenCity keine echten Hochhäuser.

Das Entree zum Überseequartier hat 14 Stockwerke.
Ja, aber zugrunde gelegt wurde die Fernblickbeziehung aus Richtung Norden. Wir haben eine Höhenbegrenzung von 60 bis 70 Metern festgelegt, weil Gebäude bis zu dieser Höhe über die Alster nicht zu sehen sind. Punktuell höhere Gebäude als die im Schnitt sieben Geschosse sollen lediglich lokal Orientierung bieten wie am Eingang zum Überseequartier oder wie der Oval am Kaiserkai, der genau in der Blickachse zwischen Großem Burstah und HafenCity liegt. So werden städtebauliche Zusammenhänge sichtbar und motivieren dazu, diese Orte auch aufzusuchen. Das gilt genauso für das SPIEGEL-Gebäude, das vom Hauptbahnhof gesehen den Auftakt zur Hafen-City bildet, ohne in der Fernblickbeziehung sichtbar zu werden. Auch Marco Polo Tower oder Coffee Plaza sind nicht wirklich hoch, 12 bis 14 Geschosse, und haben eine städtebauliche Mikrofunktion für das Quartier, aber nicht für die Gesamtstadt.

Lösen nicht gerade auf Quartiersebene hohe Neubauten immer wieder Proteste aus wie kürzlich die Pläne für das Gelände der ehemaligen Katharinenschule?

Die durchschnittliche Bebauungshöhe liegt in der Neustadt und im Cremonviertel bei sechs bis sieben Geschossen. Im östlichen, altstädtischen Teil etwas höher, acht bis zehn Geschosse. Man darf auch nicht vergessen, dass viele Gebäude in der Innenstadt wie etwa das Stadthaus früher Dächer hatten, die im Krieg zerstört und später nicht wieder aufgebaut wurden. Das ist für mich der Maßstab: Bis in
diese Höhen, die Hamburg historisch ausgezeichnet haben, kann man bauen. In der Altstadt versuchen wir sogar, an geeigneten Stellen zurückzubauen, zum Beispiel rund um die Nikolaikirche.

Sind nicht in den letzten Jahren Hochhäuser auch in der inneren Stadt entstanden?

In der Innenstadt nicht. Ansonsten folgen wir im Wesentlichen der Philosophie unserer Vorgängergenerationen, keine Hochhäuser in der Altstadt zu bauen und stattdessen die alten Stadttore zu betonen, die außerhalb der altstädtischen Silhouette mit unseren Kirchtürmen liegen. So etwa das Radisson-Hotel am Dammtor, das ehemalige Polizeihochhaus am Berliner Tor oder die Fachhochschule von Kallmorgen am Lübecker Tor. Auch am Millerntor gab es ein Hochhaus. Dort entstehen jetzt die Tanzenden Türme. Wenn wir in Hamburg aber einmal ein richtiges Hochhaus bauen wollen, dann an den Elbbrücken, am Chicago Square. Das ist der richtige Standort.

Seit 1999 im Amt, hat Professor Jörn Walter maßgeblichen stadtplanerischen Einfluss auf die Realisierung der HafenCity.

Seit 1999 im Amt, hat Professor Jörn Walter maßgeblichen stadtplanerischen Einfluss auf die Realisierung der HafenCity.

Wie wird die HafenCity vom Chicago Square bis zum Kaiserkai auf Dauer mit dem Rest der Stadt zusammenwachsen?

Die meisten Distanzen können problemlos zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurückgelegt werden. Das setzt neue Fahrrad- und Fußwege, auch Querungsmöglichkeiten über die Willy-Brandt-Straße voraus. Aber vor allem brauchen wir in der Austauschbeziehung zwischen Innenstadt und HafenCity attraktivere öffentliche Räume, die auf dem Weg durchquert werden.

Welche Wege könnten das sein?

Zum Beispiel über Bergstraße und Brandstwiete oder von der Mönckebergstraße über das Kontorhausviertel. In diesem Kontext steht auch die Tiefgarage am Burchardplatz, durch die vor dem Chilehaus ein öffentlicher Platz möglich wird. Eine weitere Route ist der Katharinenweg, also der Weg vom Rathaus über das Nikolaifleet zur Katharinenkirche und weiter über den neuen Kibbelsteg hinein in die HafenCity. Das ist eine wichtige fußläufige Verbindung, die von großer Attraktivität ist. Man darf auch den Weg entlang der Alster nicht vergessen. Es gibt dort das neue Viadukt für die Hochbahn, das bessere Blickbeziehungen und dadurch einen besseren Kontakt zwischen Alstermündung und Speicherstadt herstellt. Schließlich der Weg vom Hauptbahnhof. Diesen Weg attraktiver zu gestalten, wird eine wichtige Aufgabe sein. Ein erster Schritt wäre getan, wenn der Hauptbahnhof nach Süden stärker geöffnet würde. Ein weiteres großes Hindernis sind die City-Hochhäuser.

Warum?

Ich halte sie für eine städtebaulich misslungene Operation, denn zu den Besonderheiten Hamburgs gehört der Wallring, der eine durchgehend geschlossene Bebauung aufweist. Mit Ausnahme dieser Gebäude. Ein völliges Missverständnis der großen Komposition der Hamburger Innenstadt und besonders der unmittelbaren Nachbarschaft des Kontorhausviertels. Verschlimmert wird das Ganze durch den Platz vor dem Chilehaus, der heute ein Parkplatz ist. Das sind Orte, die zu den schönsten Hamburgs gehören, aber deren Aufenthaltsqualität deutlich im Minusbereich liegt. Ich würde mir eine Bebauung wünschen, die dem Ort angemessen ist und das große Ensemble unseres Wallringes vernünftig schließt, breitere Fußwege bietet und auch das Thema Wohnen aufgreift.

Wovon hängt das ab?

Voraussetzung ist ein neuer Standort für das Bezirksamt Mitte. Gegenwärtig wird darüber nachgedacht, es im Gebäude der Wirtschaftsbehörde unterzubringen, die in die HafenCity ziehen soll. Sobald das geschehen ist, kann man die City-Hochhäuser angehen. Das könnte ein großer Gewinn für das Kontorhausviertel, aber auch für die Wegebeziehung vom Hauptbahnhof entlang unserer Kulturmeile hinein in die HafenCity werden.

Sie sind ja noch bis 2017 im Amt. Sind eigentlich auch drei Amtszeiten möglich?

Theoretisch schon. Ich bin aber nicht sicher, ob das für eine Stadt gut ist. Ich halte allerdings eine einzige Amtszeit, also neun Jahre, für ein bisschen kurz. An der HafenCity kann man ablesen, wie weit man in dieser Zeit kommen kann. Ich mache mir das auch immer wieder an der Perlenkette bewusst. Mein Vorgänger hat dieses Projekt ungefähr 1985 angeschoben und dann selbst noch 15 Jahre daran gearbeitet. Ich bin seit zwölf Jahren im Amt, und die Perlenkette ist immer noch nicht fertig. Jetzt, nach gut 25 Jahren, diskutieren wir über die letzten Bausteine in Neumühlen. Auch die HafenCity wird in der Umsetzung 25 Jahre dauern, von denen ich nach zwei Amtszeiten 18 Jahre dabei war. Vom Sprung über die Elbe, den ich mit initiiert habe, werde ich mit der IBA noch einen Bruchteil erleben, aber das Gesamtprojekt wird sich über Jahrzehnte hinziehen. Daran werden sich noch viele abarbeiten.

Ist es Zeit für eine Zwischenbilanz?

Ja, denn in der HafenCity kann man zum ersten Mal erahnen: Das könnte Stadt werden. Nicht nur eine Siedlung oder Vorstadt, wie es in den meisten anderen Fällen weltweit geschehen ist. Man sieht nicht mehr nur einzelne Häuser.

Gibt es darunter Häuser, die Sie besonders schätzen?

Gibt es, ja.

Und gibt es auch welche, die…?

Die gibt’s auch. Viel wichtiger ist aber, dass wir, wenn die Arbeiten am Magdeburger Hafen abgeschlossen sind, erstmals die städtebauliche Dimension der HafenCity erfahren können. Das war bislang nicht möglich, denn es wurde zu viel über Architektur und zu wenig über Städtebau diskutiert. Das ist ein großer Erfolg.

Text: Nikolai Antoniadis, Fotos: Thomas Hampel
Quartier 13, März–Mai 2011 , Rubrik:    
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