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Ein Segen für den Nachwuchs

Zodwa Selele spielt die Hauptrolle in Sister Act und ist eine ihrer erfolgreichsten Absolventinnen: Einblicke in die Joop van den Ende Academy.

„Denk‘ an einen Brief“, rät Perrin Manzer Allen. Die junge Schülerin guckt erstaunt. Gerade noch hat sie ihr Gesangsprüfungsstück vorgetragen, hat sich Herz und Seele aus dem Leib gesungen, und nun soll sie an einen Brief denken? „Wenn Du einen Brief geschrieben hast, steckst Du ihn in einen Umschlag, klebst eine Briefmarke darauf und steckst ihn dann in den Briefkasten, oder?“, erläutert der künstlerische Leiter der Joop van den Ende Academy sein Beispiel. „Vertraue beim Singen darauf, dass Deine Botschaft ankommt“ – fährt er fort – „genauso wie bei Deinem Brief. Oder verfolgst Du ihn etwa persönlich, bis er ankommt?“ Die Schülerin lacht und versteht. Mit einem einfachen, klaren Bild und einem sympathischen, amerikanischen Akzent hat Allen seine Kritik verdeutlicht. Seine Botschaft ist angekommen.
Seit September 2010 ist Perrin Manzer Allen an der Academy, vorher war er als Musiker und Bühnendarsteller weltweit zu sehen, war Sänger und Gesangsdozent, Komponist und musikalischer Leiter. Die Schüler schätzen seine Berufserfahrung, seinen Praxisbezug. Perrin Manzer Allen wirkt wohlwollend und ausgeglichen, wie einer, der gut zuhört, und einer, der seine Arbeit ernst nimmt. Er schätzt die überschaubare Größe der Schule, den fast familiären Kontakt zu den Schülern. Nur so kann man ihre individuelle Persönlichkeit, ihre Stärken und Schwächen kennenlernen, sie unterstützen und fördern. „Ich liebe meinen Beruf sehr“, sagt Allen, „die Arbeit mit den jungen Menschen ist großartig: Jeden Tag aufs Neue finde ich es wunderbar, ihre Leidenschaft zu sehen, ihre Entwicklungen zu beobachten, sie ein Stück des Weges zu begleiten und sie dabei bestmöglich auf die Musical-Realität vorzubereiten.“ Es ist das dritte Semester der Joop van den Ende Academy, das ihm in einem so genannten Tryout einige Arbeitsproben zeigt. Die Stimmung zwischen Dozent und Schülern wirkt angenehm entspannt, trotz der bevorstehenden Prüfungen. Da wird gelobt und auch gescherzt, wird gelacht und gefrotzelt. Wird Mut zugesprochen und freundlich kritisiert. Drei Jahre dauert die Ausbildung an der Joop van den Ende Academy und kostet monatlich 900 Euro. Immerhin ist die staatlich anerkannte Ausbildungsstätte BAFöG-berechtigt und es besteht die Chance auf ein Voll- oder Teil-Stipendium. Pro Jahrgang werden maximal 16 Schüler aufgenommen.

Erste Schritte auf den Brettern, die die Welt bedeuten

Nicht mehr als 48 Studenten singen und tanzen also zeitgleich durch die großzügigen Flure und Studios in der Zentrale des Musicalunternehmens Stage Entertainment in der Speicherstadt. Bei den jährlich stattfindenden Aufnahmeprüfungen bewerben sich bis zu 300 Jugendliche. Zwischen 19 und 21 Jahren sind sie im Schnitt. Der eine hatte schon Ballettunterricht, die andere spielte vielleicht in einem Laientheater, ein dritter hat einfach nur Träume. Nach drei Bewerbungsrunden wird entschieden, wer die Ausbildung zum Musical-Darsteller machen darf. „Wir nehmen nur die auf, an die wir wirklich glauben. Junge Menschen, von denen wir überzeugt sind, dass sie diese dreijährige Ausbildung schaffen“. Constanze Klostermann ist emphatisch. Seit der Gründung der Academy im Jahre 2003 leitet sie die Schule und ist verantwortlich für alle organisatorischen und wirtschaftlichen Belange. „Hier aufgenommen zu sein“, ergänzt Allen, „ist jedoch keine Garantie, in einem von Stage Entertainment produzierten Musical unterzukommen.“
Tatsächlich ist Stage Entertainment mit einem Portfolio von an die 70 Musicals und Shows – von Disney’s Der König der Löwen über Tarzan und Sister Act bis hin zu Hinterm Horizont – eine der erfolgreichsten und aktivsten Produktionsfirmen im internationalen Live-Entertainment. Ein weiteres Geschäftsfeld ist der Betrieb von derzeit weltweit 28 Theatern und Musical-Spielorten, darunter die Neue Flora, das TUI Operettenhaus und das Kehrwieder Theater in Hamburg, das Theater des Westens und das Theater am Potsdamer Platz in Berlin. Und schließlich gehört ihr – wirtschaftlich gesehen – die Joop van den Ende Academy, benannt nach dem Firmengründer und -eigner von Stage Entertainment, die sie jährlich mit einem sechsstelligen Betrag unterstützt. Die Academy ist nicht zufällig im selben Haus wie der Firmensitz untergebracht. So spaziert auch mal der Casting-Director über die Flure. In diesen trällert manch einer ein Lied, werden Aufwärmübungen gemacht oder Pliés an der Ballettstange geübt. Warm-ups, Sit-ups, Tryouts: Die Ausbildung ist täglicher Begleiter. Selbst bei der Salatbestellung in der Kantine, wird mal eben ein Bein bis hinter die Ohren gestreckt.
Hinter den Türen des alten Speichers beginnt eine ganz eigene Welt mit einer ganz eigenen Dynamik. Sie fühlt sich an wie eine Mischung aus Center Stage, Chorus Line und Flashdance. Englisch hört man überall, die Schülerschaft setzt sich aus rund einem Dutzend unterschiedlicher Nationalitäten zusammen. Und auch wenn es auf den ersten Blick so aussieht, als wären sie alle Teilnehmer eines internationalen Schüleraustausches, der Tagesablauf an der Academy verlangt Disziplin: Um 8:30 Uhr beginnt er mit einer semester-
übergreifenden „Morning Class“. Anschließend folgen Unterrichtseinheiten in Sprecherziehung, Balletttraining, Musiktheorie, Stimmbildung, Theatre Dance, Theatergeschichte und Schauspielunterricht. In der Regel ist um 18 Uhr Unterrichtsschluss, doch die meisten Schüler gehen dann noch lange nicht nach Hause. Bis 22 Uhr können sie die 14 Studios nutzen zum Ausprobieren, Singen, Tanzen und Trainieren. Natürlich gehören die Zweifel genauso dazu wie schmerzende Oberschenkel, die Sinnkrisen genauso wie die Erfolgserlebnisse.

Mal sind es Einzelstunden, mal ist es Teamwork:  Das regelmäßige Training gehört zum Ausbildungsalltag.

Mal sind es Einzelstunden, mal ist es Teamwork: Das regelmäßige Training gehört zum Ausbildungsalltag.

Das Wichtigste für diese Ausbildung ist – neben dem Talent und Training – die Ausdauer, der Spaß am Auftritt auf der Bühne. Dieser kann in den vertrauten Räumen der Academy sein, wie bei den regelmäßigen Open-House-Veranstaltungen der Schule und bei den Abschlussprojekten im hauseigenem Kehrwieder Theater. Oder mitten in Sankt Pauli, im TUI Operettenhaus.

Dort, vor allabendlich knapp 1.400 Zuschauern, tritt seit Anfang Dezember 2010 Zodwa Selele in der Hauptrolle Deloris van Cartier in Sister Act auf. Angefangen hat sie auch einmal auf der Academy – zurzeit gehört sie zu deren erfolgreichsten Absolventen. Bereits mit sieben Jahren fing Zodwa Selele an zu tanzen, war fasziniert von Bühne und Gesang – „ein Traum war es eigentlich schon immer“. Doch ihre Eltern rieten ihr, zunächst etwas Vernünftiges zu lernen. Und so machte sie eine Ausbildung zur Wirtschaftskorrespondentin und arbeitete als Filialleiterin in einem Modegeschäft, bevor sie 2003 an der Academy aufgenommen wurden. Nach ihrem Abschluss spielte Zodwa Selele Hauptrollen in Disney’s Der König der Löwen und Aida. Doch für „Sister Act“ durchlief sie erneut ein aufregend aufreibendes Casting, in dessen finaler Runde keine geringere als Whoopi Goldberg persönlich entschied. „Zodwa ist die Deloris, die wir gesucht haben. Sie bringt etwas ganz Besonderes, Eigenes mit in die Rolle“, sagte Whoopi Goldberg über die einstimmige Entscheidung. „Es war wie im Traum“, erinnert sich Zodwa Selele, „denn es hatten sich ja nicht wenige um die Hauptrolle der Deloris van Cartier aus Sister Act beworben. Und als dann die Wahl auf mich als Hauptdarstellerin fiel und Whoopi Goldberg meinen Namen nannte, musste ich mich zusammenreißen, um nicht gleich in Tränen auszubrechen.“ Goldberg selbst spielte 1992 in dem Überraschungserfolg von Emile Ardolino jene Nachtclubsängerin Deloris, die – da sie Zeugin eines Mordes wird – flieht, sich in einem Kloster versteckt und dort den recht jämmerlichen Chor wiederbelebt. Aus der rasanten Komödie entwickelte Stage Entertainment „eines der dynamischsten und glitzerndsten Musicals, die es auf dem Markt gibt“, erklärt Unternehmensprecher Stephan Jaekel.

Der Weg zum Star erfordert Talent und Durchhaltevermögen.

Der Weg zum Star erfordert Talent und Durchhaltevermögen.

Zodwa Selele ist derzeit nicht nur eine der erfolgreichsten Absolventen der Academy, sondern auch ein gutes Beispiel dafür, wie praxisnah die Musical-Ausbildung vonstatten geht. Häufig erhalten die Academy-Absolventen ein Engagement in der Branche. Man spricht zwar ungern von einer „Erfolgsquote“ und ist doch glücklich, wenn sich für viele der Bühnentraum erfüllt – so sind zum Beispiel ein halbes Dutzend Absolventen aus den vergangenen fünf Jahrgängen bei den Stage Entertainment Produktionen Tanz der Vampire und Ich war noch niemals in New York in Stuttgart gelandet. Ende Februar beginnen die Aufnahmeprüfungen für das kommende Semester, dann wird wieder streng entschieden und bewertet. Zodwa Selele schwärmt noch heute von ihrer Academy-Zeit und freut sich „für jeden, der die Chance bekommt, so eine Ausbildung zu machen!“ Eine bessere Motivation gibt es wohl kaum.

ZODWA SELELE IM INTERVIEW

Was muss man außer Talent mitbringen, um den Beruf des Musical-Darstellers auszuüben?

Leidenschaft, Geduld und viiiiiiel Durchhaltevermögen – bis zur Traumrolle kann ein bisschen Zeit vergehen.

Sie haben Ihre Ausbildung 2006 an der Joop van den Ende Academy absolviert. Haben Sie besondere Erinnerungen an diese Zeit?

Es war eine tolle Zeit, die mich sehr für mein Leben geprägt hat. Eine fast unwirkliche Zeit, in der mein bisheriges, solides und vorhersehbares Leben als Filialleiterin völlig auf den Kopf gestellt wurde und ich meinen Traum leben durfte. Robin Brosch (der damalige Leiter der Academy) sagte einmal über uns Erstsemester: „Die laufen nicht, die schweben alle.“ Das trifft es ziemlich genau. Wir waren ja der erste Jahrgang, mit uns fing es an. Es war für mich eine wichtige Zeit auf dem Weg zu mir selber. Bis heute fühle ich mich sehr verbunden mit der Schule und den Dozenten, mit einigen verbindet mich bis heute eine richtige Freundschaft über das Schulische hinaus.

Wie war es, Whoopi Goldberg zu begegnen?

Ich fühlte mich wahnsinnig geehrt, dass ich die kennenlernen durfte. Whoopi hat sich in London bei der finalen Entscheidung sehr viel Zeit für uns genommen, mit uns geredet und mir viel von der Nervosität genommen. Auch als sie bei der Premiere in Hamburg mit zu uns auf die Bühne kam, war das für mich schon ein sehr emotionaler Moment. Sie ist ein ganz großartiger, warmherziger Mensch

Wie fühlt es sich an, vor über 1.300 Zuschauern auf der Bühne zu stehen? Kann man dieses Gefühl überhaupt beschreiben?

Nicht viel anders als bei der Best of Musical Gala vor 14.000 Zuschauern – man sieht eigentlich nur die ersten Reihen (lacht). Während der Vorstellung nimmt man die Zuschauer kaum wahr, man ist in der Rolle und spielt seine Kollegen an. Was man aber spürt, ist die Energie, die zurückkommt, die Lacher und natürlich der Applaus. Und das ist schon toll – und tatsächlich kaum zu beschreiben.

In Sister Act spielt Glaube eine große Rolle. Welche Rolle spielt Glaube in Ihrem Leben?

Eine große! Ich bin sehr religiös erzogen worden, und christliche Werte sind mir in meinem Leben sehr wichtig. Ich bete vor jeder Show und vor wichtigen Auftritten schickt meine Mutter mir ein kleines Gebet als SMS. Außerdem lese ich jeden Tag in der Bibel. Psalm 27 und 91 helfen mir besonders, wenn ich nervös bin. Sie besagen, dass mich Gott behütet und mich seine Engel zur Linken und Rechten geleiten. Und dass ich, egal, was passiert, in Gottes Liebe beschützt bin. Mein wertvollster Besitz ist eine kleine, grüne Bibel, die mir meine Mutter geschenkt hat. Ich trage sie immer bei mir.

Glauben Sie, Papst Benedikt XVI. sollte sich mal eine Aufführung von Sister Act ansehen?

Na, aber auf jeden Fall! Und ich bin sehr gespannt auf seine Meinung… (lacht)

Text: Katrin Ullmann, Fotos: Stage Entertainment
Quartier 13, März–Mai 2011 , Rubrik:    
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