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Die Baustelle

Bis 2025 ist die HafenCity eine von Deutschlands größten Baustellen und Arbeitsplatz für Hunderte von Arbeitern aus aller Herren Länder.

Bis 2025 ist die HafenCity eine von Deutschlands größten Baustellen und Arbeitsplatz für Hunderte von Arbeitern aus aller Herren Länder.

„Wer baute das siebentorige Theben?“, fragt sich der Lesende Arbeiter bei Bert Brecht. „In den Büchern stehen die Namen von Königen. Haben die Könige die Felsbrocken herbeigeschleppt?“ Wer die Projektbroschüren der HafenCity liest, mag sich ebenfalls fragen: Wer baut Hamburgs neue Innenstadt? Die Antwort steht an jeder Straßen-
ecke, an jedem Tag, zu jeder Uhrzeit: Bauarbeiter, Zimmerleute, Dachdecker, Maurer, Hilfsarbeiter. Ihr Arbeitsplatz sind Baugruben und Rohbauten, ihr Pausenraum ein Container, ihre Toilette ein Dixi-Klo. 95 Prozent aller Bauarbeiter, so hat eine kanadische Studie festgestellt, arbeiten jeden Tag mit zu hohen Lärmbelastungen. Fast 40 Prozent aller Klempner und Rohrleger sind bei der Arbeit schwerhörig geworden, ebenso viele haben zusätzlich Tinnitus. Bei Wind und Wetter sind sie im Einsatz, im Winter zwar weniger, aber nicht, weil es zu kalt ist, sondern weil die Gefahr von Unfällen durch Eis und Frost höher ist. In den Bauberufen, sagt die Industrie-
gewerkschaft Bau, Agrar, Umwelt, kurz IG BAU, liegt das Unfallrisiko doppelt so hoch wie in anderen Berufsgruppen. Auch nachdem 1998 eine neue Verordnung zum Arbeitsschutz auf Baustellen eingeführt wurde, hat sich daran zunächst wenig geändert. Noch sechs Jahre später hatte lediglich ein Viertel aller Baustellen einen Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan, der ohne Mängel war.
Ein Knochenjob also.

Aber mehr zu nennen als die Bedingungen, unter denen am Bau gearbeitet wird, eine Arbeiter-Geschichte der HafenCity zu erzählen, wird sehr schnell zum Streiflicht. Die Antwort auf Brechts Frage fällt in Hamburg bescheiden aus. Wie viele sind es, die hier arbeiten? Wo kommen sie her? Von wem werden sie vermittelt? Wie werden sie bezahlt? Wo wohnen sie? Die Agentur für Arbeit weiß es nicht. Die Handwerkskammer auch nicht, schon gar nicht die Wirtschaftsbehörde. Auch nicht die Branchenverbände, die Gewerkschaften oder etwa die Generalunternehmer selbst, die Subunternehmer aus Bremerhaven beauftragen, die wiederum Unteraufträge an Firmen aus Mecklenburg-Vorpommern vergeben, die dann über Werkverträge Arbeiter aus Rumänien oder der Türkei verpflichten und nach Hamburg schicken. Dort sieht man sie spät abends auf den Baustellen für das Hauptzollamt oder für das Ökumenische Forum, im Licht von Schweißflammen oder greller Baustellenbeleuchtung. Am Bauzaun ein Aushang: „Günstige & gute Unterkünfte an Monteure für 2–3 Personen zu vermieten“, dazu eine Handynummer. Als beim Richtfest zum SPIEGEL-Gebäude Oberbau-
direktor, Architekten und Verleger schöne Worte für die städtebaulichen Qualitäten des Gebäudeensembles fanden, der OBD auf Deutsch, der Architekt auf Englisch, wurde am Buffet Rumänisch und Polnisch gesprochen. Dort hatten sich zahlreiche Arbeiter, die zu Richtfesten traditionell eingeladen sind, bereits die guten Plätze gesichert. Hamburgs Baustellen sind ein polyglotter Schmelztiegel. Poliere und Kolonnenführer müssen ein unnachahmliches Bausprech beherrschen und mit Versatzstücken aus Rumänisch, Russisch, Polnisch oder Englisch Informationen basteln, die die Wünsche der Bauherren an die Arbeiter weitertragen. Daran wird sich auch so bald nichts ändern, nicht zuletzt, nachdem zum Tag der Arbeit, am ersten Mai dieses Jahres, die Freizügigkeit für Arbeitnehmer aus den EU-Beitrittsländern Estland, Lettland, Litauen, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn in Kraft getreten ist.

Nichts für jedermann: Arbeiten auf dem Bau bedeutet schwere körperliche Arbeit bei fast jedem Wetter, umgeben von Schmutz, Staub und Lärm.

Nichts für jedermann: Arbeiten auf dem Bau bedeutet schwere körperliche Arbeit bei fast jedem Wetter, umgeben von Schmutz, Staub und Lärm.

Ab 2014 wird dies auch für Rumänen und Bulgaren gelten. Dann erhalten auch sie uneingeschränkten Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt. Die Grundlagen des so genannten Entsendegesetzes bleiben aber wirksam: Auch ein Baubetrieb aus Polen muss deshalb seinen Leuten den Mindestlohn zahlen und Urlaub gewähren. Trotzdem fürchten manche, dass deutsche Betriebe deutliche Einbußen erleiden werden, weil etwa Sozialleistungen und Steuern nach den Gesetzen des Herkunftslandes gezahlt werden, also geringer ausfallen als in Deutschland. Mancher Bauunternehmer sieht sich schon von Auftragsrückgang, Billiglöhnen und Lohndumping bedroht. Dabei gilt in der deutschen Baubranche seit der Verabschiedung des Entsendegesetzes im Unterschied zu fast allen anderen Berufszweigen ein Mindestlohn, der regelmäßig neu ausgehandelt wird, zuletzt im April 2011, als der ehemalige Wirtschaftsminister Wolfgang Clement zwischen IG BAU, dem Hauptverband der Deutschen Bauindustrie und dem Zentralverband des Deutschen Baugewerbes vermittelte. Die Wirklichkeit sieht aber häufig anders aus. Um Kosten zu sparen, beschäftigen Betriebe zum Beispiel Scheinselbstständige, für die der Mindestlohn nicht gilt, oder sie zahlen nach ostdeutschem Tarif, obwohl die Arbeiter auf Baustellen im Westen arbeiten. Der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes schätzte 2007, dass bis zu 150.000 Beschäftigte am Bau nicht den Mindestlohn erhielten. In einem eklatanten, aber nicht ungewöhnlichen Fall in München hatte ein Betrieb mit türkischen Arbeitern Werkverträge geschlossen, ihnen aber nicht den Mindestlohn von 12,85 Euro pro Stunde bezahlt, sondern unter der Hand 4,50 Euro vereinbart. Am Ende erhielten sie 3 Euro, mussten zahlreiche Überstunden machen und bekamen – fast könnte man sagen: natürlich – auch keinen Urlaub. Teilweise Analphabeten, unterschrieben sie Kontovollmachten, Urlaubsanträge und Zahlungsbelege, mit denen ihr Arbeitgeber sich den Schein der Legalität geben konnte.

Bis 2025 werden Bilder wie dieses die HafenCity prägen, wenn die Bau-stellen von Jahr zu Jahr weiter in Richtung Elbbrücken wandern.

Bis 2025 werden Bilder wie dieses die HafenCity prägen, wenn die Bau-stellen von Jahr zu Jahr weiter in Richtung Elbbrücken wandern.

Die IG BAU hat Schwarzarbeiter in der Vergang-
enheit häufig eher als Konkurrenten, weniger als Kollegen betrachtet. Inzwischen gibt es aber in der IG BAU, ebenso wie bei ver.di das Bestreben, ausländische Arbeiter über ihre Rechte aufzuklären, wie etwa 2005, als über 100 polnischen Arbeitern in einem Männerwohnheim in Hamburg-Hamm ihr Anspruch auf den Mindestlohn erklärt wurde. Dabei ist nicht nur der Mindestlohn erklärungsbedürftig, denn die Lohnpolitik der deutschen Baubranche ist kein einfaches Thema, auch nicht im tariflich geregelten Bereich. So gibt es immer noch bedeutende Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland. Das Mindestlohngefälle zwischen Berlin und Brandenburg betrug noch vor kurzem 3,25 Euro pro Stunde. Diese Unterschiede haben 2008 sogar dazu geführt, dass die HafenCity ihren ersten, mit 50 Beteiligten recht bescheidenen, Bauarbeiterstreik erlebte, als die IG BAU höhere Löhne forderte. Hintergrund war, dass die meisten West-Betriebe nach Tarif und nicht nach Mindestlohn zahlen und dadurch in Konkurrenz zu Betrieben aus Sachsen-Anhalt oder Mecklenburg-Vorpommern getreten waren. Diese zahlten in der Regel nur Mindestlöhne aus und gelangten zu der Auffassung, sie müssten eine Erhöhung der Mindestlöhne, die für alle Baustellen im Westen verbindlich ist, allein ausbaden. Die Baugewerbeverbände in den neuen Bundesländern weigerten sich deshalb, den ostdeutschen Mindestlohn für Facharbeiter wie vereinbart zu erhöhen, und verlangten im Gegenteil seine Abschaffung. Am Ende einigte man sich darauf, den Mindestlohn von Bauhelfern von 10,40 Euro auf 10,70 Euro anzuheben, den von Angelernten von 12,50 Euro auf 12,85 Euro, wobei das Lohngefälle zwischen neuen und alten Bundesländern immer noch bei über 3 Euro pro Stunde liegt.

Auch wenn es in der HafenCity so aussieht, kann man in Hamburg keineswegs von einem Bauboom sprechen. Die Hansestadt lag 2008 im Bauhauptgewerbe mit einem Gesamtumsatz von 1,9 Milliarden Euro Umsatz bundesweit auf Platz 20. Ganz vorne lagen München mit 4,8 Milliarden Euro, Stuttgart mit 4,4 Milliarden Euro sowie Düsseldorf und Weser-Ems mit je 4,1 Milliarden Euro, immer noch doppelt so viel wie in Hamburg. Aber auch die Zahlen für Bayern oder Baden-Württemberg können nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in der Branche gegenwärtig keinen Grund zum Jubeln gibt. Nachdem die Bundesregierung infolge der Finanzkrise auch der Bauwirtschaft mit Milliardenhilfen unter die Arme gegriffen hat, ist nun das Ende der Konjunktur-
programme abzusehen. Die Gewinnspannen sind in der Branche nicht besonders hoch, und während die Top Five der Branche, Hochtief, Bilfinger, Strabag, BAM und Vinci, lediglich 10 Prozent des Marktes kontrollieren, herrscht um den Rest ein harter Konkurrenzkampf unter etwa 80.000 überwiegend mittelständischen Betrieben. Da bietet die HafenCity als vielleicht größte deutsche Baustelle bis 2025 verhältnismäßig gute Aussichten. Denn wer frei nach Brecht fragt, wohin am Abend, als das Überseequartier fertig war, die Maurer gingen, wird erfahren: Nach Osten, zum Baakenhafen, Richtung Elbbrücken.

Text: Nikolai Antoniadis, Fotos: Thomas Hampel
Quartier 14, Juni–August 2011 , Rubrik:    
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