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Streichelzoo für Kreative?

Am Oberhafen will der neue Masterplan zur HafenCity ein Quartier für Kreative und Kulturschaffende entwickeln. Wie das genau aussehen soll, wird gegenwärtig nicht nur in der HafenCity lebhaft diskutiert.
Am Oberhafen will der neue Masterplan zur HafenCity ein Quartier für  Kreative und Kulturschaffende entwickeln. Wie das genau aussehen soll,  wird gegenwärtig nicht nur in der HafenCity lebhaft diskutiert.

Blick vom Großmarkt über den Oberhafen auf Halle 4. Mittelfristig soll eine Brücke die beiden Areale verbinden.

Ist Kultur planbar? Auf den ersten Blick mag schon die Frage klingen wie ein Beleg dafür, dass sich die Stadtentwicklung in einem reichlich kulturfremden Zustand befindet. Muss man alles planen? Zeichnen sich Kultur und Kreativität nicht gerade dadurch aus, dass sie zufällig, chaotisch und irgendwie evolutionär wachsen und wuchern, auf jeden Fall nicht entlang planerischer Vorgaben? Trotzdem ist die Idee, so genannte Kreativquartiere zu schaffen, unter Stadtentwicklern von Helsinki über Amsterdam bis nach Dinslaken zu einem beliebten Thema avanciert. Die HafenCity bildet da keine Ausnahme. Im Gegenteil will auch sie sich als Standort für Kreative profilieren und das Oberhafenquartier zu einem Zentrum der Kultur- und Kreativwirtschaft machen. Um diesen verhältnismäßig jungen Trend zu verstehen, muss man das herkömmliche Verständnis von „kreativ“ oder das von „wirtschaftlich“ überdenken. Oder beides. Denn wer sich Kunst und Kultur als bewusst unkommerziell und unwirtschaftlich denkt, sieht sich von den gängigen Statistiken eines Besseren belehrt. Innerhalb der EU setzt die Kultur- und Kreativwirtschaft 654 Milliarden Euro um, mehr als doppelt so viel wie die Automobilindustrie (271 Milliar den Euro) und deutlich mehr als der Bereich Informations- und Kommunikations-
technologie (541 Milliarden Euro).

Ihr Beitrag zum gesamteuropäischen Bruttoinlandsprodukt beträgt mit 2,6 Prozent mehr als der der Immobilienwirtschaft (2,1 Prozent) oder der chemischen Industrie (2,3 Prozent). Auch die Zahlen einzelner Städte machen Eindruck: So ist die Kulturindustrie in London der drittgrößte Arbeitgeber und sorgt jedes Jahr für Umsätze zwischen 25 und 29 Milliarden Pfund. Sich dieses beeindruckende Potenzial zu erschließen, ist aber nicht einfach. Zunächst einmal unterscheiden sich die Branchen, die die deutsche Wirtschaftsminis-
terkonferenz im Jahr 2008 unter dem Dachbegriff der Kultur- und Kreativwirtschaft zusammengefasst hat, untereinander stark und reichen von international operierenden Werbeagenturen über Architekturbüros, Designer und Medienunternehmen bis zu freischaffenden Künstlern. Vor allem aber haben sie die Tendenz, bestimmte Standorte vorzuziehen und andere links liegen zu lassen. Verstärkt wird das dadurch, dass es Kreative dorthin zieht, wo andere Kreative leben. Nicht nur, weil sie gern unter ihresgleichen sind, sondern auch weil das für sie lebensnotwendig ist. So suchen diejenigen, die Kultur produzieren wie etwa Mode-
designer, Künstler oder Musiker die Nähe von jenen, die Kultur vermitteln, also beispielsweise Galeristen oder Musikjournalisten. Dieser Zugang kann sich durch ein attraktives Nachtleben genauso ergeben wie durch namhafte Events der betreffenden Branchen oder durch Szeneviertel, in denen die Protagonisten im Alltag aufeinandertreffen. Auf diesem Weg ist man zur Idee vom Kreativquartier gelangt.

Lagerhallen und Kopfbauten sollen als prägende Elemente des Areals erhalten bleiben.

Lagerhallen und Kopfbauten sollen als prägende Elemente des Areals erhalten bleiben.

Als der Masterplan für die HafenCity überarbeitet wurde, entschied man daher, das Areal am Oberhafen nicht weiter für Handwerksbetriebe und andere Gewerbe vorzusehen, sondern hier ein Kreativquartier zu planen, eine auf Dauer angelegte kreative Brutstätte im Herzen der Stadt. Für die fernere Zukunft ist sogar denkbar, das Großmarktgelände einzubeziehen, sobald dessen Standortgarantie 2034 abläuft. Dann könnte sich rund um den Oberhafen ein weitläufiger Kulturraum bilden, in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Deichtorhallen, dem Museum für Kunst und Gewerbe, der Kunsthalle und der Galerie der Gegenwart, aber auch zum Brandshofer Deich sowie zur HafenCity Universität und dem designxport am Magdeburger Hafen. Zahlreiche andere Städte bewegen sich heute auf ähnlichen Pfaden. Industriebrachen, alte Fabrikgebäude und Leerstandsimmobilien aller Art werden in Überlegungen zu möglichen kreativen Nutzungen einbezogen. In Basel zum Beispiel wurde das Architektenbüro von Herzog & de Meuron damit beauftragt, eine Studie zum Dreispitzareal auszuarbeiten und darin aufzuzeigen, wie sich dieser ehemalige Bahn- und Logistikstandort in ein städtisches Quartier umwandeln ließe, in dem unter anderem ein Neubau der Hochschule für Gestaltung und Kunst entstehen könnte, ebenso das Kunsthaus Baselland, das Haus für elektronische Künste, ein Kulturradio sowie Künstlerateliers. In der alten Druckmaschinenfabrik Rotaprint in Berlin-Wedding hat sich die Initiative ExRotaprint etabliert, mit dem Ziel, in diesem Industriedenkmal Arbeit und Kunst zusammenzubringen. Ebenfalls in Berlin sitzt in einem alten Pumpwerk an der Spree Radialsystem, ein Projekt, das zahlreiche, sehr unterschiedliche Events veranstaltet, von der Botschafterkonferenz des deutschen Außenministers bis zum Electronic Beats Festival. Im Ruhrgebiet, das im vergangenen Jahr in seiner Gesamtheit als Ballungsraum europäische Kulturhauptstadt war, wurde das Projekt Kultur.Quartiere angestoßen, an dem sich ein knappes Dutzend Städte beteiligt haben.

Links: Die Hallen sind in den Bauplänen als Bahnflächen vorgesehen und werden bis 2014/15 überwiegend zu Logistikzwecken genutzt. Rechts: Die Oberhafenkantine und das benachbarte ehemalige Zollamt bilden den nördlichen Eingang zum geplanten Quartier.

Linke Seite: Die Hallen sind in den Bauplänen als Bahnflächen vorgesehen und werden bis 2014/15 überwiegend zu Logistikzwecken genutzt. Rechte Seite: Die Oberhafenkantine und das benachbarte ehemalige Zollamt bilden den nördlichen Eingang zum geplanten Quartier.

Auf diesem Wege wurde das so genannte Dortmunder U zur Anlaufstelle für Kreative aus Musik und Medien; in Essen konzentrierte man sich auf die Entwicklung der Zeche Zollverein und der Scheidt’schen Hallen, in Bochum wurde der ehemalige Güterbahnhof als t.a.i.b. im bereits bestehenden Kreativquartier Viktoria ausgebaut. Ähnliches gilt für das zukünftige Oberhafenquartier in der HafenCity. Aktiv entwickelt werden kann es erst ab 2014/15, denn bis dahin ist das Gelände noch der Deutschen Bahn gewidmet und zu großen Teilen an eines ihrer Tochterunternehmen vermietet. Planungen sehen aber heute schon vor, den industriellen Charakter zu bewahren, indem die Güterhallen mit ihren Kopfbauten aus Backstein als Milieugeber erhalten werden. Mit dieser Entscheidung wird auch der Rahmen für weitere Vorhaben gesteckt: Will man die Gebäude erhalten, muss auf den üblichen Hochwasserschutz durch Aufhöhung des Geländes verzichtet werden; bei einem Pegelstand von über 5,20 Meter kann das Areal daher unter Wasser stehen. Deshalb und aufgrund der Lärmbelastung durch den Bahnverkehr und den gegenüberliegenden Großmarkt sind hier auch keine Wohnungen zulässig, zumindest nicht in den vorhandenen Gebäuden.

Das Areal ist zwischen Bahndamm und Hafenbecken eingeklemmt und bildet eine Art Exklave innerhalb der HafenCity.

Das Areal ist zwischen Bahndamm und Hafenbecken eingeklemmt und bildet eine Art Exklave innerhalb der HafenCity.

Die alten Lagerhallen geben dem Ort zwar seinen Charakter, sind aber nicht besonders hochwertig gebaut und zeigen Spuren jahrelanger Vernachlässigung. Auch die technische Ausstattung ist verhältnismäßig niedrigschwellig angelegt, so dass teilweise bedeutende Sanierungs- und Modernisierungs-
arbeiten durchgeführt werden müssen, um sie überhaupt gewerblich nutzen zu können. Entsprechend den nötigen Investitionen sind also unterschiedlich hohe Mieten zu erwarten. Inhaber ist allerdings seit 2003 die Stadt Hamburg, die bereits angekündigt hat, auch nach 2015 weder Grundstücke noch Gebäude zu verkaufen, nicht nur, um bezahlbare Mieten sicherzustellen, sondern vor allem, um die Entwicklung des Gebiets langfristig steuern zu können. Das führt zu der Frage zurück, ob diese Entwicklung planbar ist. Die Ausgangslage ist nicht optimal. Kreative Ökosysteme bilden sich häufig in Nischen und wachsen gern da, wo öffentliche Pläne nicht greifen oder am besten gleich ganz fehlen. Viele Vertreter des kreativen Milieus, das sich hier ansiedeln soll, stehen dem Protagonisten dieser Planung, der HafenCity Hamburg GmbH, nicht unvoreingenommen gegenüber. Manche befürchten, die Kunstszene könne am Ende lediglich als Garnitur dienen, als Feigenblättchen über dem behördlicherseits erwünschten wirtschaftlichen Aspekt der Kreativwirtschaft. Anderen ist bereits der Gedanke an ein von öffentlicher Hand geplantes, kreativ-künstlerisch geprägtes Viertel ein Graus. Ein cooles Szene-Viertel aus der Bürokratie-Retorte? Ein kultureller Streichelzoo?

Ende März fand auf Kampnagel ein vielbeachtetes Symposium  zum Thema Kreativquartier Oberhafen statt.

Ende März fand auf Kampnagel ein vielbeachtetes Symposium zum Thema Kreativquartier Oberhafen statt.

Vor diesem Hintergrund hat Professor Friedrich von Borries von der Hochschule für Bildende Künste deshalb Regelwerke und Prozesse gefordert, die verhindern, „dass kreative Aneignung als Marketingmaschine der Standortentwicklung missbraucht wird. Dies ist in Hamburg nur möglich, wenn ein solcher Prozess nicht von der HafenCity geleitet und gesteuert wird. Ihr fehlt dazu einfach die Glaubwürdigkeit in den entsprechenden Szenen.“ Daher geht es der HafenCity Hamburg GmbH heute auch darum, die Zeit bis 2015 zu nutzen, um einen intensiven und öffentlichen Dialog zu führen, der die Rahmenbedingungen für ein nachhaltiges und vor allem ernst gemeintes kreatives Quartier auslotet.

Text: Nikolai Antoniadis, Fotos: Thomas Hampel
Quartier 14, Juni–August 2011 , Rubrik:    
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