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Hamburgs Mitte

Das Katharinenviertel ist zurück ins Stadtzentrum gerückt. Nach Jahren der Abgeschiedenheit stehen jetzt umfangreiche Entwicklungen an.

Obwohl inmitten der Stadt gelegen, scheint das Quartier zwischen City und HafenCity weit entfernt vom Pulsieren der Großstadt.

Eingeklemmt zwischen Zollausland und Stadtautobahn ist das Katharinenviertel viele Jahre unbeachtet geblieben. Obwohl der Wiederaufbau des Viertelchens nach den schweren Zerstörungen des Krieges nicht an allen Stellen gleichermaßen gelungen ist, wirkt es heute, wenngleich leicht verschlafen, teilweise geradezu idyllisch. Mit dem Fall des Zollzauns und dem Bau der HafenCity ist es nun aber innerhalb weniger Jahre von einer Randlage in die Stadtmitte gerückt. Der Dornröschenschlaf ist vorbei. Die Schlagzahl von Passanten, die das Quartier auf dem Weg zwischen Innenstadt und HafenCity durchlaufen, wird sich stark erhöhen. Um ihnen den Weg angenehmer zu machen, wird darüber nachgedacht, die Bürozeile entlang der Mattentwiete aufzubrechen und mit Cafés und Spezialgeschäften zu durchsetzen, um mehr Leben auf die Straßen zu holen. Bedeutender wirkt sich aber der Umstand aus, dass inzwischen auch die Immobilienwirtschaft auf das Quartier aufmerksam geworden ist. Wohnen in der Stadt ist attraktiv geworden. Und die Politik ist willens, Wohnraum in der Stadt zuzulassen.

Büros zu Wohnungen

Erste Projekte sind bereits auf dem Weg. So ist die Katharinenschule abgerissen worden, um an ihrer Stelle das neue „Katharinenquartier“ zu bauen. Auch auf dem Gelände zwischen Reimerstwiete, Katharinenfleet und Katharinenstraße, auf dem unter anderem noch die Seeberufsgenossenschaft steht, werden Wohnungen entstehen. Daran lässt sich bereits ablesen, welche Potenziale in diesem eng bebauten Gebiet genutzt werden sollen. Die Umwandlung von Büro- und Gewerbeflächen für Wohnungen ist jüngstens viel diskutiert worden. Hamburg braucht Wohnungen, jedes Jahr etwa 5.000 bis 6.000. Gebaut werden aber seit zehn Jahren im Jahresdurchschnitt lediglich 3.700 Wohnungen. Gleichzeitig sieht man beachtlichen Büroleerstand und ungenutzte Gewerbegebiete.

Kaum ein Ort im Viertel, von dem aus der Turm der Katharinenkirche nicht zu sehen ist. Die Kirche und ihr Kirchhof sind der ideelle und räumliche Mittelpunkt des gesamten Quartiers.

Was könnte naheliegender sein, als diese Flächen für Wohnungen zu verwenden? Dass das nicht ohne Weiteres möglich ist, hat Hamburgs Wohnungsbaukoordinator Michael Sachs im vergangenen Februar unter anderem der Handelskammer angekreidet, die diese Umwidmung als wirtschaftsfeindlich bezeichne. Vertreter der Wohnungswirtschaft, die in der Handelskammer vertreten sind, gaben den Schwarzen Peter an die Behörden weiter, von denen schlichtweg keine Genehmigungen für eine Umwidmung zu erhalten seien. Die Bezirkspolitik wiederum spielte den Ball an die Wirtschaftsbehörde weiter, die dafür alternative Gewerbestandorte anbieten müsse.

„Das Katharinenviertel wird ein Alternativentwurf zur HafenCity,
zumindest eine attraktive Ergänzung.“

Mit der Generalplanung für die Innenstadt, die vor ein paar Jahren entworfen wurde, konnte eine rechtliche Hürde genommen werden, denn die bisher gültige Baupolizeiverordnung aus dem Jahre 1938 hatte bisher dort keine Wohnungen zugelassen, wo Geschäftsbereiche ausgewiesen waren. In diesem Licht will Bezirksamtsleiter Markus Schreiber den Abbruch der Büros rund um die Seeberufsgenossenschaft und die dort geplanten 150 Wohnungen als positives Signal verstanden wissen. Als Bauherr tritt hier maßgeblich die Firma Otto Wulff auf, wobei ein kleineres Grundstück vom Projektentwickler Hamburg Team gekauft wurde, das sich der laufenden Projektentwicklung anschließt. Im Gespräch ist auch die Baugenossenschaft Freier Gewerkschafter (BGFG), die sich möglicherweise ebenfalls beteiligen wird.

Obgleich über viele Jahre durch die Willy-Brandt-Straße und das Zollausland der Speicherstadt vom Rest der Stadt abgeschnitten, hat sich das Katharinenviertel als gewachsenes Quartier mit eigenem Charakter entwickelt.

Um lebendige Wohnquartiere zu schaffen, wird es nicht ausreichen, einen Wohnblock mit ein paar Geschäften, Kiosken und Cafés im Erdgeschoss zu bauen. Wenn die Innenstadt für mehr Menschen, besonders auch für Familien eine interessante Alternative zur Vorstadt oder auch den bekannten Trendvierteln werden soll, muss der Wohnungsbau ergänzt werden, zum Beispiel durch Kindergärten, Schulen oder Supermärkte. Da sich diese Art Nahversorgung für einen isolierten Wohnblock natürlich nicht lohnt, wird eine Vernetzung zwischen den neuen Wohngebieten nötig werden. Deshalb werden Projekte wie in der Katharinenstraße, an der Willy-Brandt-Straße oder am Alsterfleet, wo ab 2012/13 anstelle des dortigen Parkhauses Wohnungen geplant sind, von den Stadtplanungsbehörden zusammengedacht. Die neuen Quartiere brauchen eine vernünftige Anbindung an die restliche Stadt, was im Fall des Katharinenviertels nicht ohne einigen Aufwand umzusetzen ist. Eine Möglichkeit, es aus seiner Insellage zu befreien, führt über den Hopfenmarkt. Gegenwärtig scheint er denkbar ungeeignet.

Think Big

Er ist weder besonders attraktiv, noch besonders gut erreichbar. Aber hier hat die Stadt umfangreiche Pläne. So wird darüber verhandelt, ob der Gebäudekomplex neben der Nikolaikirche, in denen die Allianz und der Kirchenkreis Hamburg-Ost ansässig sind, nicht saniert, sondern abgerissen wird, um dem Mahnmal wieder eine angemessene Bedeutung zu geben und die Kirchturmsilhouette der Innenstadt wiederherzustellen. Für eine Neugestaltung des Hopfenmarkts wird voraussichtlich noch in diesem Herbst ein Wettbewerb ausgeschrieben. Das wird unter anderem durch die Entscheidung des Senats möglich, die Parkplätze am Hopfenmarkt, am Adolphsplatz und am Burchardplatz in Tiefgaragen zu verlegen. Diese Entscheidung schafft mit dem Hopfenmarkt nicht nur ein mögliches Entree zum Katharinenviertel, sondern wird vielleicht auch zum Vorbild für das Viertel selbst. Denn das Parkhaus in der Neuen Gröningerstraße muss in naher Zukunft ebenfalls saniert werden. Man wird zwar nicht gänzlich darauf verzichten, weil dort Baulasten eingetragen sind, das heißt anliegende Gebäude nutzen hier Parkplätze, um ihre Stellplatzauflagen zu erfüllen. Es wird aber überlegt, auch hier eine Tiefgarage zu bauen und gleichzeitig zwei bis drei obere Stockwerke für Wohnraum zu nutzen. In diesem Zuge wäre auch denkbar, im Erdgeschoss Geschäfte unterzubringen, mit denen das Gebäude Kontakt zu seiner Umgebung aufnehmen kann. Es ist offensichtlich, welche unterschiedlichen Interessen hier berührt werden. Wie daraus Konflikte entstehen, haben die Pläne von Hochtief an der Willy-Brandt-Straße gezeigt. Die einen wollten eine optimale Lärmabschottung, die anderen optimale Sichtachsen. Gleichzeitig führt ein hoher Grundstücks-
preis dazu, dass Investoren wie Hochtief ihn mit einer stärkeren Ausnutzung der Fläche kompensieren müssen, zum Beispiel über zusätzliche Stockwerke. Als der Entwurf wegen erheblicher öffentlicher Kritik nachgebessert wurde, konnte Hochtief das Grundstück nicht mehr auf die Weise zu Geld machen, die ursprünglich mit der Stadt vereinbart worden war. Dem Vernehmen nach musste die Stadt daraufhin den Verkaufspreis nach unten korrigieren.

Einige Stockwerke des Parkhauses in der Neuen Gröningerstraße könnten im Zuge der anstehenden Sanierung in Wohnungen umgewandelt werden.

Wachsendes öffentliches Interesse hat Bürgerbeteiligung inzwischen zu einem Schreckgespenst für Bauunternehmungen werden lassen. Beispiele gibt es reichlich, vom Domplatz bis zum Gängeviertel, von der Gruppe „Recht auf Stadt“ bis zum Hochtief-Projekt im Katharinenquartier, gegen dessen ursprüngliche Pläne sich seinerzeit auch Frank Engelbrecht, Pastor der Katharinenkirche, stark gemacht hat. „Bürgerbeteiligung“, sagt er, „heißt heute häufig, Bürger vor vollendete Tatsachen zu stellen. Das schafft Frustration und Misstrauen. Man muss an anderer Stelle anfangen und nach Multiplikatoren suchen, die frühzeitig in die Planungen eingebunden werden.“ Für diese Idee hat er in der Baugenossenschaft Freier Gewerkschafter (BGFG) einen starken Partner gefunden. Zusammen haben sie im vergangenen August Anwohner, Genossenschaften, Bauunternehmer und Projektentwickler zu einem Gedankenaustausch in die Katharinenkirche eingeladen.

Die Erfindung des Quartiers

Die BGFG, der Bauverein der Elbgemeinden und die Genossenschaften Hansa und Bergedorf-Bille unterhalten zusammen mit der SAGA GWG ungefähr 230 geförderte Wohnungen im Viertel; es gibt also bereits eine ansässige Bevölkerung, auch wenn sie sich in den kommenden Jahren vervielfachen wird. Neben den Anwohnern und der Kirche ist aber seit langem auch Vertretern der Wohnungswirtschaft an dem kleinen Viertel gelegen, und zwar nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen. Zum Beispiel die Vorstände der BGFG Ingo Theel und Peter Kay, die zusammen mit der Katharinenkirche im Sommer 2010 die „WM am Fleet“ auf die Beine gestellt haben. Oder Andreas Ibel, Landesvorsitzender des Bundesverbands freier Wohnungs- und Immobilienunternehmen (BFW), der zu den Mitbegründern des Katharinenfests gehört. „Das Katharinenviertel wurde jetzt plötzlich entdeckt“, sagt er. „Die Zukunft wird mehr Menschen, aber auch mehr Arbeit ins Quartier bringen. Das ist gut. Dabei muss der Charakter des Ortes erhalten bleiben. Dieser Charakter muss aber auch identifizierbar sein. Das Quartier muss also gewissermaßen erst einmal erfunden werden.“
Eine herausragende Rolle dabei spielt die Katharinenkirche. Anders als etwa St. Jakobi oder St. Petri ist sie in einem gewachsenen Wohnquartier verwurzelt und ist sehr aktiv dabei, die Entwicklungen im Quartier mitzugestalten. So wurde es zwar allgemein als Erfolg gewertet, als beim Hochtief-Projekt eine Verteilung von 60:40 zugunsten von Wohnungen gegenüber Büros durchgesetzt werden konnte, aber Frank Engel-brecht ging das eigentlich noch nicht weit genug. Die Frage danach, wer die Wohnungen bezieht, wird allein über den Mietpreis gesteuert. Entscheidend für die Entwicklung ist aber nicht nur die Anzahl von Wohnungen, sondern auch, wer sie sich leisten kann. Mietpreise haben langfristig auch immer Auswirkungen auf den sozialen Frieden. Die Spaltung in reiche und arme Viertel, in teure und bezahlbare, liegt nicht im Interesse der Stadt. Peter Jorzick, Geschäftsführer von Hamburg Team, hat vor diesem Hintergrund kürzlich daran erinnert, wie Wohnungsnot in den 1960er und 1970er Jahren beantwortet wurde, nämlich mit dem Bau minderwertiger Quartiere, die später Sanierungsgebiete wurden.
Um die hohe Nachfrage nach Trend-Gegenden wie St. Pauli oder Ottensen nicht weiter zu erhöhen und die Mietspirale nach oben zu drehen, verfolgt die Stadt auch das Ziel, die Qualität
anderer Stadtteile zu verbessern.

Entscheidend für die zukünftige Entwicklung des Katharinenviertels ist nicht allein die Anzahl verfügbarer Wohnungen, sondern vor allem,
wer sie sich leisten kann.

Deshalb soll Wohnen im Katharinenviertel auch nicht ausschließlich über die Nachfrage gesteuert werden. „Das Katharinenviertel wird ein Alternativentwurf zur HafenCity, zumindest eine attraktive Ergänzung“, erklärt dazu Andreas Ibel vom BFW. „Hier wird es Wohnen in einem gewachsenen Quartier geben, sehr viel gemischter als in der HafenCity.“
Damit das wahr werden kann, müssen einige Hürden genommen werden. Drei Viertel der Hamburger Haushalte haben ein Nettogehalt unter 3.200 Euro im Monat. Für sie sind Mieten über 5 bis 8 Euro pro Quadratmeter unerschwinglich. Bauen in der Innenstadt ist aber teuer. Die Grundstückspreise sind hoch, ebenso die Baukosten. Außerdem hat die Nachfrage den Wohnungsbau zu einem lukrativen Markt gemacht. Bezahlbare Wohnungen in der Innenstadt zu schaffen, ist daher grundsätzlich problematisch. Die Stadt kann dabei nur sehr begrenzt mitsteuern, besonders wenn sie die Grundstücke nicht selbst verkauft, sondern sie privat den Besitzer wechseln wie im Fall des aktuellen Vorhabens der Firma Otto Wulff. Was könnte sie abhalten, maximalen Gewinn anzustreben?
Stefan Wulff, Geschäftsführer des Unternehmens, hat bei der ersten Wohnungsbaukonferenz des Bezirks Mitte im vergangenen Februar die Antwort selbst gegeben: eine andere Mentalität. Das Verantwortungsbewusstsein der Bauherren, erklärte er, habe sich in den vergangenen Jahrzehnten gewandelt. Auch Bürgerbeteiligung ist für ihn prinzipiell kein Problem, im Gegenteil sei sie notwendig, damit sich Inves-toren und Bauherren beim Wohnungsbau frühzeitig gegen Verzögerungen oder sogar Nachbesserungen absichern könnten.

In den kommenden Jahren werden Baustellen in dem kleinen Quartier rund um die Katharinenkirche zu einem gewohnten Bild werden.

Deshalb ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass er hinsichtlich des Bauvorhabens im Katharinenviertel Gespräche mit der BGFG führt. Dabei müssen natürlich auch Ingo Theel und Peter Kay von der BGFG ausrechnen, zu welchen Preisen sie an diesem Ort bauen können und ob ihre Mitglieder diese Beträge zahlen wollen. Letztlich müssen alle wirtschaftlich arbeiten. Das gilt für Hochtief genauso wie für die BGFG und Otto Wulff. So hat Stefan Wulff deutlich gemacht, dass bei den beiden aktuellen Bauvorhaben seines Unternehmens in der Innenstadt, in denen es um den Bau von 220 Wohnungen geht, Mieten unter 12 bis 13 Euro pro Quadratmeter nicht möglich seien. Wenn sich an diesem Rahmen nichts Grundsätzliches ändert, hat die Innenstadt als durchmischter Wohnraum keine Zukunft. Ein Versuch, diesen Kreislauf zu durchbrechen, ist die Initiative des neuen Senats, Verkäufe stadteigener Grundstücke nicht mehr in einem Höchstpreisverfahren, sondern in einer Art Konzeptvergabe abzuwickeln: Dabei entfallen bei der Bewertung von Angeboten 70 Prozent auf die Qualität des Konzepts und 30 Prozent auf den Preis. Damit soll auch die Finanzbehörde angehalten werden, ihr Immobilienmanagement nicht als Geldquelle zu nutzen, sondern auch für sozialpolitische und stadtplanerische Zwecke.

Wachgeküsst

Zusammenkünfte wie die Gesprächsrunde in der Katharinenkirche oder auch die Wohnungsbaukonferenz des Bezirks Mitte haben gezeigt, dass die meisten Beteiligten, ob Kirche oder Bauherren, Behörden oder Genossenschaften, ein ähnliches Ziel verfolgen, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen: die Entwicklung bezahlbarer, attraktiver und konfliktfreier Quartiere. Die anstehenden Entwicklungen werden das Katharinenviertel bald aus seinem Dornröschenschlaf holen. Darin sind sich ebenfalls die meisten einig. So sagt Ingo Theel, der aus seinem Büro auf das Nikolaifleet und das kleine Quartier blickt: „Ich bin zwar kein Prinz, aber ich würde es trotzdem gerne wachküssen.“

Text: Nikolai Antoniadis, Fotos: Heinz-Joachim Hettchen
Quartier 15, September–November 2011 , Rubrik:    
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