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Kunstbiotop

Seit über 20 Jahren ist die Fleetinsel auch eine Insel für Kunst, auf der namhafte Galerien ansässig sind.

Besucher der Galerie Karin Guenther zwischen Installationen des vor Kurzem mit 39 Jahren verstorbenen Künstlers Jan Mancuska

Wenn der Hamburger Sommer sich seinem Ende zuneigt, wird es eng in zwei Treppenhäusern auf der Fleetinsel. Denn dann, meist am ersten Freitag im September, laden die Galerien der Admiralitätsstraße 71 zu ihrer gemeinsamen Herbsteröffnung. In Vorder- und Hinterhaus, zwischen gelbbraun gefliesten Wänden und braunrotem Linoleum und den meist offenen Galerietüren, gibt es dann ein fröhliches Treppauf-Treppab. Vernissagengetue hält sich hier in Grenzen. Man geht schlicht zur „Eröffnung“. Schampus fließt eher nicht, und Weißwein und Wasser stehen meist etwas abseits. So kommt, wer sich wirklich für Kunst interessiert und nicht bevorzugt Bussis hauchen oder Biere kippen will. Und um später noch von den Galeristen zum Abendessen geladen sein zu können, muss man schon wichtig oder ein guter Käufer sein. Die Enge auf den Fluren hat den großen Vorteil, dass man nahezu jedem begegnet, der unterwegs ist. Dann blockiert schon mal ein Schwatzgrüppchen den Treppenabsatz: „Ach, du warst auch auf Long Island?“ heißt es dann. Oder: „Also den Künstler da eben fand ich ja nicht so toll, aber du musst unbedingt noch zu …“

Ausstellungen in der Galerie Karin Guenther: Kunstwerke von Michael Bauch (oben links und oben rechts), Jan Mancuska (unten links), Allen Ruppersberg (unten rechts)

An dieser Stelle können dann in diesem Jahr erstmals die Namen Melike Bilir und Diane Kruse fallen. Denn die beiden jungen Galeristinnen sind die Neuzugänge der Fleetinsel. Die charmante Bilir betrieb ihre Galerie zuletzt im Kontorhausviertel, wo sich in den letzten Jahren in der Nähe der Kunstmeile und rings um das Chilehaus etliche Galerien angesiedelt haben. Und Kruse hat unter dem Namen TINDERBOX bisher in einem Lagerhaus in Rothenburgsort ausgestellt. Sie startet ihre Fleetinselzeit jetzt mit Marc Bijl, der bereits eine Einzelschau im Kasseler Fridericianum hatte, seine Skulpturen gern mal gothic-mäßig mit Teer übergießt und spät am Eröffnungsabend mit seiner Hardcore-Band B-Men auftritt.
Die Galerie Jürgen Becker konzentriert sich vor allem auf amerikanische Minimal- und Konzeptkunst und zeigt im Herbst eine museale 16-teilige Metallgitterarbeit. Ihr Schöpfer, der heute 80-jährige Robert Morris, hat sie für den Raum eigens neu konfiguriert. Die Produzentengalerie dagegen hat neben Größen wie Andreas Slominski viele jüngere Hamburger Künstler im Programm. Auch die Galerie Mathias Güntner zeigt etliche Hamburger oder Ex-Hamburger wie Thorsten Brinkmann oder jetzt den Trompe-l’œil-Maler Joachim Grommek. Andrée Sfeir-Semler, die seit 2005 auch in Beirut eine Galerie betreibt, stellt dagegen oft Künstler aus dem Nahen Osten vor. Im Herbst allerdings gastiert bei ihr der Hamburger Fotografen-Doyen F. C. Gundlach mit „Zeitgeist Nah-Ost in den 50er und 60er Jahren“, während im zweiten Galerieraum unter dem mehrdeutigen Titel „HAAR’m“ Hoda Tawakol ausstellt. Die in London geborene Künstlerin mit ägyptischen Wurzeln, vielversprechende Absolventin der hiesigen Kunsthochschule, wird gleichzeitig auch von der Produzentengalerie gezeigt. Junge Akzente setzt die Galerie Katharina Bittel. Und die Galerie Karin Guenther ist mit ihrem guten Gefühl für junge Talente bei den wichtigsten internationalen Messen in Basel, London oder Miami vertreten und hat schon früh Künstler wie Markus Schinwald gezeigt: Sein österreichischer Pavillon ist einer der besten der diesjährigen Venedig-Biennale.

Ausstellungen in der Galerie Karin Guenther: Kunstwerke von Nina Könnemann

Wenn ab Herbst die Galerie Dörrie * Priess nur noch als Holger Priess * Galerie firmiert, scheidet mit Ulrich Dörrie einer aus, der Ende der 80er Jahre wesentlich dazu beitrug, dass aus den abrissgeweihten Häusern zwischen Herrengraben- und Alsterfleet überhaupt die Kunstinsel werden konnte. Zusammen mit dem Künstlerprojekt Westwerk, das immer noch für spannende Ausstellungen und Konzerte steht, leistete die Galerie Widerstand und trug dazu bei, dass der Hamburger Kunstmäzen Hans „Jockel“ Waitz die vier Häuser günstig erwerben und für künstlerische Zwecke sichern konnte. Zu Waitz’ kunstsinnigen Mietern zählen auch die Multiple Box, die Auflagenobjekte verkauft, und die Kunstbuchhandlung Sautter + Lackmann, in deren Regalen sich manchmal noch Kataloge finden, die nirgendwo sonst mehr zu haben sind. Und ein Theaterraum, im letzten Jahr noch von Angela Richter, der Frau des bekannten Malers und Ex-Fleetinsel-Bewohners Daniel Richter, betrieben, ist jetzt die Basis des Fleetstreet Residency Programms für spartenübergreifend arbeitende Künstlergruppen. Mancher Fleetinsulaner träumt zwar davon, wie es wäre, wenn Künstler damals selbst eines der Häuser gekauft hätten. Und viele Besucher vermissen die wunderbaren Ausstellungen der weggezogenen Galerie Klosterfelde oder das originelle Programm der kürzlich ausgezogenen Galerie für Landschaftskunst. Und doch ist hier zwischen den Fleeten ein großartiges Kunstbiotop entstanden, das international ausstrahlt und von dessen intelligent-urbanem Geist der gesamte südliche Teil der Innenstadt profitiert. Und natürlich: In dem prächtigen Neorenaissance-Bau, der die Fleetinsel nach Norden hin abschließt, lassen sich die Kunsterlebnisse zwischen den gusseisernen Säulen des Marinehofs, in der schön gestylten Erste Liebe Bar oder im Rialto genüsslich verdauen.

Rundgang Hamburg: Fleetinsel und Kontorhausviertel,
2. September 18–23 Uhr und 3. September 12–20 Uhr

Text: Karin Schulze, Fotos: Thomas Hampel
Quartier 15, September–November 2011 , Rubrik:    
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