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Shopping in Sumatra

Um den Überseeboulevard zur Flaniermeile der HafenCity zu machen, haben Stadtentwickler und Investoren neue Wege gefunden.

Das Überseequartier ist das Herz der HafenCity. Und das Herz des Überseequartiers ist der Überseeboulevard. Diese besondere Bedeutung hat seit den ersten Planungen zu der Frage geführt, wie dieses Herz zum Schlagen gebracht werden könnte. Ein wesentlicher Gedanke in diesen frühen Überlegungen war eine Ansiedlung von Geschäften, denn sie würden nicht nur Umsatz generieren, sondern vor allem Menschen ins Viertel holen und die Straßen mit Leben füllen. Nachdem entschieden wurde, das gesamte Areal an einen einzigen Investor zu übergeben, waren Ende 2005 noch zwei Bewerber im Gespräch, in beiden Fällen Zusammenschlüsse aus Banken und Immobilienunternehmen. Das Konsortium um ECE war im Hamburger Einzelhandel bereits stark gegenwärtig. Als europäischer Marktführer bei Shoppingcentern, der inzwischen 132 Einkaufszentren mit einem Gesamtumsatz von 15,3 Milliarden Euro betreibt, war er für fast alle bedeutenden Einkaufszentren in der Hansestadt verantwortlich, von der Hamburger Meile, dem Billstedt Center und dem Alstertal AEZ bis zum Hanseviertel und inzwischen auch der Europa Passage. Der Senat entschied sich aber letztlich gegen die Idee einer geschlossenen Shopping Mall und damit gegen ECE und vergab die Entwicklung des Überseequartiers stattdessen an das Konsortium um das Frankfurter Immobilienunternehmen Groß & Partner.

Man entschied sich gegen die Idee einer geschlossenen Shopping Mall. Läden, Geschäfte und Gastronomie sollten sich über das gesamte Quartier verteilen.

Man fürchtete, eine Konzentration des Einzelhandels in einem Einkaufszentrum oder auch in einem bestimmten Teil des Quartiers würde Passanten und Besucher von den Straßen fortlocken und den öffentlichen Raum veröden lassen. Läden und Geschäfte sollten sich deshalb zusammen mit Cafés und Restaurants über das gesamte Quartier verteilen, entlang eines Straßenzugs, über eine Reihe von attraktiven Wegen und öffentlichen Plätzen, die dazu einladen, Zeit auf ihnen zu verbringen, anstatt schnell weiterzueilen. Über diesen Gedankengang gelangte man schließlich zur Idee einer attraktiven Einkaufsstraße, die bei St. Annen beginnen und an der Elbe enden sollte. In seinem nördlichen Abschnitt ist dieser Straßenzug, der den Namen Überseeboulevard erhielt, inzwischen Wirklichkeit geworden.
Der Schwerpunkt liegt auf der Nahversorgung nicht nur für Anwohner, sondern auch für Arbeitnehmer, von denen es im Überseequartier einmal 5.000 bis 6.000 geben soll. Deshalb finden sich hier Supermarkt-, Drogerie- und Bäckereiketten, daneben eine Reihe von Bankfilialen, aber auch Spezialgeschäfte wie Hafen-Spezerei oder Übergangsmieter wie die Galerien Flo Peters, Cato Jans und Vinosage. Das eigentliche Zentrum des Boulevards und des umliegenden Quartiers soll aber in den kommenden Jahren südlich der Überseeallee entstehen. Hier sind große Ladenflächen für Bekleidungs-, Textil-, Schuh- und Lederwarengeschäfte vorgesehen, bevor der Boulevard in einer breiten Promenade an der Elbe mündet.

Der Bauabschnitt nördlich der Überseeallee ist größtenteils fertiggestellt und zieht wie hier am Sumatrakontor zusehends mehr Besucher an.

Während die Planer ganz besonderen Wert auf die Gestaltung des öffentlichen Raumes legten, gilt im Überseequartier eine Besonderheit, die es von den anderen großen Einkaufsstraßen in der Innenstadt unterscheidet: Mit Ausnahme der Uferpromenaden befinden sich sämtliche Flächen in Privatbesitz. Das hat natürlich Folgen, denn die Stadt, allen voran die HafenCity Hamburg GmbH, will die Entwicklung dieses wichtigen Areals auch nach dem Verkauf weiter mitgestalten können, angefangen bei der Gewährleistung, dass Quartier und Boulevard dauerhaft öffentlich zugänglich bleiben, bis zur Steuerung eines wünschenswerten Branchenmix.
Damit das möglich wird, haben Stadt und Konsortium über den Kaufvertrag hinaus weitreichende Vereinbarungen getroffen, darunter die Einrichtung eines Quartiersmanagements, das nach einer Ausschreibung an die Firma Imoplan vergeben wurde, eine Tochter von Groß & Partner, die das Vermietungsgeschäft im Überseequartier betreut. Der Quartiersmanagerin Claudia Weise wurde zudem ein Beirat zur Seite gestellt, den der Gesellschaftsvertrag vom Februar 2008 mit zwei Vertretern der Hansestadt besetzt, außerdem mit zwei Hamburger Bürgern, die von der Stadt ausgewählt werden, dem Vermietungsmanager des Überseequartiers sowie aktuellen Mietern, vier Einzelhändlern, zwei Gastronomen, zwei Büromietern sowie zwei Anwohnern. Außerdem hat man sich darauf geeinigt, dass auch bei einem Verkauf von Gebäuden die Vermietung der Einzelhandelsflächen weiter zentral gelenkt wird. Das bedeutet, dass auch bei einer Änderung der Eigentumsverhältnisse wie im Fall des Sumatrakontors, das 2007 an TMW Pramerica verkauft wurde, die Entwicklung weiterhin durch die Stadt und das Konsortium gesteuert werden kann.Ein besonderes Instrument ist die Übereinkunft über eine Mindestgröße an Flächen und Mieteinheiten, die an sogenannte Innovationsmieter vergeben werden sollen, also Firmen, die innovativ oder außergewöhnlich aufgestellt sind, und sei es durch einzigartige Formen der Präsentation. Sie sollen finanziell gefördert und durch langfristige Mietverträge am Standort gehalten werden.Inzwischen ist der nördliche Bauabschnitt nicht nur überwiegend fertiggestellt, sondern zu großen Teilen auch vermietet und füllt sich mit Leben. Schon vor den erst wenige Wochen zurückliegenden Eröffnungen des Supermarktes Edeka-Böcker, des 25hours Hotels und der Hafen-Spezerei war die Vitalisierung des Boulevards spürbar. Für manche allerdings kommt diese Entwicklung zu spät.

Das eigentliche Zentrum des Boulevards soll in den kommenden Jahren südlich der Überseeallee entstehen.

Die anfangs unbefriedigenden Besucherströme belasten die Filialen großer Unternehmen sicherlich weniger, aber mit meerdesign musste bereits ein Geschäft die Segel streichen. Manche fragten sich, ob das Einzelhandelskonzept des Überseeboulevards vielleicht nicht aufgehe. Oder zeigen sich hier Folgen der Wirtschaftskrise? Schon im Sommer 2010 waren einige Hamburger hellhörig geworden, als in der Stadt lebhaft über die Anmietung von 50.000 Quadratmetern durch städtische Behörden diskutiert wurde. Die Option war ursprünglich 2005 ins Spiel gebracht worden, um dem Käufer-Konsortium für den Fall einer wirtschaftlichen Flaute eine Sicherheit zu geben. Dass diese Option nun gezogen wurde, schien nahezulegen, dass dieser Fall eingetreten war. Tatsächlich waren die Baukosten über die zurückliegenden Jahre bedeutend gestiegen, nach Einschätzung der HafenCity Hamburg GmbH um 20 bis 25 Prozent. Auch die Wirtschaftskrise war nicht ohne Folgen geblieben, und die Stadt erörterte eine Anpassung des Vertrags mit dem Überseequartier-Konsortium, um die weitere Finanzierung des Quartiers einschließlich des südlichen Boulevardabschnitts sicherzustellen.Tatsächlich wird das Konzept des Überseeboulevards sicherlich erst in vollem Umfang greifen, wenn er auch vollständig gebaut ist. Das wird nach heutigem Stand voraussichtlich 2014 sein. Durststrecken in der Startphase müssen nicht gegen das Konzept sprechen, treffen aber besonders jene, die sich mehr Laufkundschaft erhofft haben. Passanten sind wählerisch, auch wenn sie kein unmittelbares Ziel haben. So ist im bereits fertiggestellten Teil des Überseeboulevards das zukünftige Alte Hafenamt mit Großfotos dekoriert, die Baustelle des Cinnamon-Wohnturms durch einen Baukran gekennzeichnet. Auch am Großen Grasbrook ließ sich sehen, wie die Straße erst richtig genutzt wurde, nachdem sie durch die Passage im Unilever-Haus und den Zugang zur Elbe abgeschlossen worden war. Wenn der Überseeboulevard bis zu den Waterfront Towers durchgehend bebaut und nicht mehr von Baustellen unterbrochen ist, wird sich ein ähnliches Ergebnis einstellen. Auch das Cruise Terminal wird das Viertel beleben, denn Hamburg will sich stärker als Kreuzfahrthafen profilieren. Allein für dieses Jahr erwartet man 300.000 Kreuzfahrgäste. Zusammen mit ihnen wurden 2009 in Hamburg 7,73 Millionen Übernachtungen regis-triert. Die HafenCity Hamburg GmbH geht schon heute von 35.000 bis 60.000 Tagesbesuchern der HafenCity aus, darunter nicht nur Touristen, sondern auch Arbeitnehmer, Anwohner, Restaurantgäste und Spaziergänger. Für sie alle wird der Überseeboulevard eine attraktive Flaniermeile sein.

Text: Nikolai Antoniadis, Fotos: Thomas Hampel
Quartier 15, September–November 2011 , Rubrik:    
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