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Material und Funktion

Von der Elbe bis zum Yong Fluss, von der Hamburger HafenCity bis zur chinesischen Ningbo Book City: Das Architektenbüro Winking Froh prägt seit vielen Jahren das Gesicht von Städten rund um den Globus.

Professor Bernhard Winking in seinem Büro in Block V am Brooktorkai (1)

„Der Backsteinbau bedarf keiner sentimentalen Erklärung. Auch ohne alle Nebengedanken an Heimatkunst und bodenständige Überlieferung würden wir heute zu ihm geführt werden. Der Grund liegt im fruchtbaren Wesen dieses Materials selbst.“ Diese Worte Fritz Schumachers eröffnen ein Buch über Bernhard Winking. Es trägt den geflügelten Titel „Von der Schönheit des Ziegels“, und das nicht ohne Grund, gehört Winking doch zu den führenden Vertretern des „roten Goldes“, wie er selbst einmal sagte. Als er im Jahre 2000 mit seinem Büro in Block V an den Brooktorkai zog, hat er sich sozusagen sein natürliches Umfeld gewählt, eines von Hamburgs ureigensten Backstein-Biotopen. Das ist inzwischen nicht mehr nur auf die Speicherstadt begrenzt, denn das Material wurde als Referenz auch von der HafenCity aufgegriffen. Seinem Büro gegenüber wurde bei den mäandernden Gebäuden des Germanischen Lloyds überall der gleiche Stein verwendet. Obwohl verschiedene Architekten am Werk waren, ist Ziegel die dortige Grundmelodie. Ein gutes Beispiel dafür, dass das keineswegs eintönig sein muss, belegt die Jarrestadt, die in den 20er Jahren unter Leitung von Schumacher in Winterhude entstand und später von Winking bis an den Osterbekkanal erweitert wurde. Auch wenn ihm für die HafenCity keine derartig konsequente Verwendung des Ziegelsteins vorschwebt, hätte er sich an einigen Stellen eine stärkere Geschlossenheit des verwendeten Materials gewünscht, so etwa am Kaiserkai, an dem sein Büro 2007 ein Nullemissionshaus verwirklichte. Sein Vorschlag für die Verwendung eines einheitlichen Fassadensteins für den gesamten Straßenzug konnte sich aber seinerzeit nicht gegen die Idee einer kleinteiligeren Struktur im Quartier durchsetzen. Gleichwohl steht das seiner Auffassung nicht entgegen, dass es sich bei der HafenCity um eines der gelungensten Stadterweiterungsprojekte der vergangenen Jahrzehnte handelt.

Vor Winkings Büro im Kopfbau von Block V verläuft gewissermaßen die Grenze zwischen historischem und modernem Ziegelstein. Aus seinem Bürofenster sieht er zu seiner Linken die HafenCity weiterwachsen, in der er neben dem Baltic Carree am Kaiserkai auch für das neue Hauptzollamt an der Schanghaiallee verantwortlich ist. Auf der anderen Seite liegt die Speicherstadt, in der er seit kurzem für die HHLA Block O und die Kaffeebörse des Architekten Werner Kallmorgen in ein Hotel mit Restaurant umbaut. Nicht in Sichtweite seines Büros, aber nur wenige hundert Meter Luftlinie entfernt, liegt ein weiteres Ensemble von Kallmorgen, das ebenfalls von Winking saniert und modernisiert wird: die SPIEGEL-Insel. Der Bau der beiden Gebäude für IBM und das SPIEGEL-Magazin an der Ost-West-Straße hatte Ende der 60er Jahre den letzten deutlichen Akzent jener städtebaulichen Leitidee gesetzt, die den städtischen Straßenraum durch Solitäre aufzulösen versuchte, eine Art Antithese zur gründerzeitlichen Blockrandbebauung. Führender Vertreter des Bemühens, die Stadt durch solche „fließenden Räume“ aufzulockern, war Hamburgs Oberbaudirektor Werner Hebebrand gewesen, bei dem Bernhard Winking an der Hochschule für Bildende Künste (HfBK) sein Handwerk lernte.

1 Das Hamburger Museum für Nutzpflanzen im Loki-Schmidt-Haus, 2 Das Baltic Carree am Kaiserkai mit Restaurant, Büros und Wohnungen, 3 Das Meer im Eingang des Baltic Carrees wird vom Design der Deckenbeleuchtung aufgegriffen.(2)

1934 in Osnabrück geboren, machte Winking zunächst eine Ausbildung zum Maurer, später eine weitere zum Ingenieur, bevor er sich schließlich an der HfBK einschrieb und bei Hebebrand und Godber Nissen Architektur studierte. Noch im Jahr seines Diploms 1965 eröffnete er zusammen mit Dieter Patschan sein eigenes Architektenbüro. Wenig später verwirklichte er in Klein Flottbek das Institut für Allgemeine Botanik, in Zusammenarbeit mit seinem Lehrer Nissen, in dessen Nachfolge er 1978 Professor an der HfBK wurde. Seine Arbeiten haben an der Elbe über einen Zeitraum von beinahe 50 Jahren einen sehr prägnanten Eindruck hinterlassen, und zwar bei weitem nicht nur durch die Verwendung von Ziegelstein. Zahlreiche Wohn- und Geschäftshäuser, Stadterneuerungsprojekte, Passagen und Plätze tragen seine Handschrift, wie etwa die Fleet- achse einschließlich Michaelisbrücke, das Gebäude von Gruner + Jahr und der Fleethof und zuletzt neben dem Hauptzollamt und dem Gebäude am Kaiserkai auch die Erweiterung des Instituts für Allgemeine Botanik (2002), der Umbau der Gerhofpassage (2002/03), die Erweiterung der Davidwache von Fritz Schumacher (2002–2005), das Loki-Schmidt-Haus im Botanischen Garten (2006) oder auch ein Wohnungsbauprojekt im Bäckerbreitergang, das im vergangenen November Richtfest feierte. Aber auch wenn der Schwerpunkt seines Schaffens zweifellos in Hamburg liegt, sind seine Arbeiten nicht auf die Hansestadt beschränkt.

Block O am Brooksfleet vor den Umbauarbeiten (oben) und Hauptzollamt in der HafenCity (unten) (3)

So ist er in Berlin verantwortlich für das Palais am Pariser Platz, das mit seinem Turm die ursprüngliche historische Situation wieder aufgreift. In Prag stammt das Gebäude der Bayerischen Hypothekenbank von ihm, im chinesischen Ningbo Book City ein Mega-Bookstore mit Restaurants, Büros und Hotel auf dem Areal einer ehemaligen Reismehlfabrik. Dort befindet sich mit 300.000 Büchern, CDs und DVDs sowie 800.000 E-Books die größte Bücherei im Osten Chinas. Noch bemerkenswerter ist allerdings der Umstand, dass es dem Büro Winking Froh gelungen ist, seine Auftraggeber zu überzeugen, den Indsutriecharakter zu erhalten und zum Beispiel die alten Silos nicht abzureißen, sondern in den Komplex einzubinden.
Das Ergebnis von Winkings Wirken ist heute in zahlreichen Städten zu sehen, von Prag bis St. Petersburg, von Chemnitz bis China. Neben Hamburg und dem chinesischen Hangzhou unterhält er inzwischen auch ein Büro in Berlin, das von seinem Partner Martin Froh geleitet wird. In gewisser Hinsicht wiederholt sich bei ihm die Geschichte: So wie Winking bei Godber Nissen sein Diplom machte, um anschließend mit ihm zu arbeiten, machte Froh sein Diplom bei Winking und wurde später Mitarbeiter in seinem Büro, in dem er seit 1996 Partner ist. Wie er sind viele Mitarbeiter ehemalige Studenten von Professor Winking. Auf diese Weise bleibt das Büro gewissermaßen in der Familie.

Text: Nikolai Antoniadis, Fotos:(1) Jonas Wölk, (2) Winking Froh Architekten, (3) Thomas Hampel
Quartier 16, Dezember 2011–Februar 2012 , Rubrik:    
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