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Mutige Schönheitskur

Die Arbeiten in St. Katharinen laufen auf Hochtouren, damit Hamburgs schönste Kirche rechtzeitig zum Advent 2012 wieder ihre Portale öffnen kann.

Der Korpus des Kreuzes von St. Katharinen stammt aus der Bauzeit der Kirche um das Jahr 1300, das Kreuz selbst ist neueren Datums.

Nachdem Dominicus von Uffeln vor den Religionskriegen in Antwerpen geflohen und in Hamburg Zuflucht gefunden hatte, stifteten seine Erben im Andenken daran der Katharinenkirche eine neue Kanzel. Ein Foto von ihr zeigt ein kunstvolles Portal mit einer Figur der Heiligen Katharina, hinter dem ein Treppchen, gesäumt von den zwölf Aposteln, zur Kanzel hinaufführt. Diese Kanzel von 1632/33 überstand die nächsten drei Jahrhunderte, bis sie in den Bombennächten 1943 zerstört wurde. Seither waren jegliche Überreste von ihr verschollen. Bis jetzt. Denn als kürzlich der Boden unter der neuen Kanzel geöffnet wurde, fanden sich dort zahlreiche Trümmerstücke der Barockkanzel sowie ein kleiner marmorner Kopf. Die letzte Bestätigung steht zwar noch aus, aber es ist nicht unwahrscheinlich, dass es sich dabei um die Katharina der verschollenen Kanzel handelt. Eine kleine Sensation also. Dieser Zufallsfund gehört zu den erfreulichen Nebenwirkungen der aufwendigen Sanierung, die seit fast fünf Jahren große Teile von St. Katharinen in eine Baustelle verwandelt hat.

Sprechende Steine

Obwohl die Anstrengungen beim Wiederaufbau der Kirche nach dem Krieg heute Hochachtung verdienen, ließen die begrenzten Mittel keine nachhaltigen Baumaßnahmen zu. Mit den Jahren wurden einzelne Strebepfeiler des Kirchenschiffs so baufällig, dass sie vollständig erneuert werden mussten. Schmiede-
eiserne Anker hatten die Mauern gesprengt, weil sie zu rosten begannen und Rost die Eigenschaft besitzt, das zehnfache Volumen des Eisens zu entwickeln, auf dem er sich bildet. Fallrohre und Traufen auf dem Dach waren zu klein und hatten zusammen mit einer zunehmenden Versalzung des Mauerwerks durch eindringende Feuchtigkeit schwere Schäden an Pfeilern und Wänden verur-sacht. Eine Sanierung war also unumgänglich und wurde schließlich 2007 in Angriff genommen. Sie ist inzwischen so weit fortgeschritten, dass die Arbeiten am Turm und den äußeren Gebäudeteilen weitestgehend abgeschlossen sind und seit dem vergangenen Frühjahr auch der Innenraum angegangen wird.

1 Das zentrale Motiv des Bildes am Hauptaltar 2 Mit Staubschutzwänden umgebene Pfeiler 3 Aushub für die Erweiterung des südlichen Kellers 4 Eingelagerte Gerüststangen für die Innenarbeiten im Kirchenschiff 5 Abstellraum vor dem großen Tauffenster, im Hintergrund links die alte Winterkirche, die inzwischen abgerissen worden ist

Dort wird ein einfacher Grundgedanke verfolgt: Das Kirchenschiff ist so großartig, dass es im Wesentlichen unverändert bleibt. Es soll seinen gotischen Charakter behalten oder besser gesagt: Es soll ihn zurückerhalten, indem es von allem befreit wird, was dort nichts zu suchen hat. Damit der Raum in diesem Charakter wahrgenommen werden kann, werden die wichtigen Sichtachsen freigemacht; gleichzeitig soll es möglich werden, den Raum in seiner Gänze zu umschreiten. Das wurde bislang durch die Winterkirche verhindert, die allerdings wie das gesamte Bauwerk unter Denkmalschutz steht. Nach reiflicher Überlegung ist man aber zu dem Ergebnis gekommen, sie zugunsten der originalen mittelalterlichen Gebäudestruktur aufzugeben. Die Überlegung, den Kirchenraum in seiner ursprünglichen Dimension zu präsentieren, geht Hand in Hand mit dem Ziel, die unterschiedlichen historischen Schichten des Gebäudes stärker gegenwärtig zu machen. Dabei geht es nicht darum, einen Punkt auf der Zeitleiste der letzten 750 Jahre zu wählen und diesen Zustand dann künstlich zu rekonstruieren, sondern vielmehr die Geschichte des Gebäudes zu erzählen, gewissermaßen das Gebäude selbst seine Geschichte erzählen zu lassen. Dieser Ansatz lässt sich leicht greifen am Erhalt des Ensembles aus Chorgestühl, Hauptaltar und Kanzel aus den 50er Jahren oder durch die Freimachung der Sichtachsen auf die großen, bemalten Glasfenster von Hans Gottfried von Stockhausen. Er lässt sich aber auch an den Plänen zu den Eingängen ablesen. Frühchristliche und mittelalterliche Kirchen sind häufig in Richtung Osten zum Sonnenaufgang orientiert, als Sinnbild und Verheißung der Auferstehung. Altar und Chor liegen im Osten, der Haupteingang gegenüber im Westen.

Es geht darum, die Geschichte des Gebäudes zu erzählen, gewissermaßen das Gebäude selbst seine Geschichte erzählen zu lassen.

Bei der Katharinenkirche hat sich hingegen das Südportal als Haupteingang etabliert, vielleicht wegen Hamburgs besonderer Beziehung zur Elbe. Der weniger genutzte Westeingang wird durch den Abriss der Winterkirche nun größer. In naher Zukunft wird er möglicherweise zusätzlich an Bedeutung gewinnen, wenn ihm gegenüber das Bauprojekt von Hochtief verwirklicht wird, das hier einen kleinen Platz mit Cafés vorsieht.

Bei diesem Kopf handelt es sich vermutlich um die Katharina der zerstörten Barockkanzel.

Dasselbe gilt für das Nordportal, das zu den Wohnungen und Hinterhöfen des Komplexes führen wird. Zu diesen denkbaren Entwicklungen am nördlichen Eingang trägt vielleicht auch ein weiterer Überraschungsfund bei. Nahe der Tür war ein Epitaph angebracht, das Bürgermeister Hermann Wetken 1566 seinen Söhnen in St. Nikolai gesetzt hatte, nach Umwegen aber zu St. Katharinen gefunden hat. Um die Ursache für schwere Salzschäden zu finden, die an dem Epitaph und der Mauer entstanden waren, wurde außen zunächst eine Mauer aus dem Jahr 1888, später auf der Innenseite die Verkleidung der Heizkörper aus den 50er Jahren entfernt.Dabei stieß man auf Reste zweier Öffnungen mit Spitzbogen: ein Doppelportal aus dem 14. Jahrhundert. Im Verlauf dieser Arbeiten wurden immer wieder neue Schichten sichtbar, die es heute ermöglichen, die Geschichte des Bauwerks über einen Zeitraum von 500 Jahren anschaulich zu machen. Hier findet sich Mauerwerk aus der Bauzeit der Kirche, Klosterformatbacksteine mit Hochbrandgips und Fugmörtel. Reste von Kalktünchen an einer zugemauerten Tür aus der Mitte des 18. Jahrhunderts weisen wiederum auf eine Wohnung hin. An derselben Wand hatten Maurer 1888 ihre Namen in den Mörtel geschrieben. Und nicht zuletzt zeigen sich hier auch die Spuren der Einbauarbeiten für das Wetken-Epitaph aus dem Jahr 1956.

Text: Nikolai Antoniadis, Fotos: Michael Zapf
Quartier 16, Dezember 2011–Februar 2012 , Rubrik:    
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