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Neues Leben im Schloss

Das Wasserschlösschen war nicht für Blaublüter, sondern für Blaumänner gedacht, als Werkstatt und Wohnung für technisches Personal.

Das Wasserschlösschen um 1948/49: Der flache Anbau an der Wasserseite wurde nach dem Krieg aus Trümmersteinen errichtet.(1)

Am Zusammenfluss vom Holländisch- brookfleet und Wandrahmsfleet gelegen und an drei Seiten von Wasser umflossen, gehört das Wasserschlösschen sicherlich zu den am häufigsten fotografierten Motiven in der Speicherstadt. Umso erstaunlicher ist, dass neben den zahlreichen Bildzeugnissen kaum Informationen über das prominente Gebäude vorliegen. Anders als die Speicher, in deren Architektur sich auch das Selbstbewusstsein und die Wirtschafts- kraft der Hansestadt ausdrücken sollte, wurde diesem rein funktionalen Bau in der historischen Dokumentation kaum Aufmerksamkeit geschenkt. Vorgesehen war er als Wohnhaus und Arbeitsplatz für die Windenwärter, die für Wartung und Reparatur der hydraulischen Winden verantwortlich waren, mit denen Waren in die einzelnen Speicherböden transportiert wurde. Die Anlieferung von Ersatzteilen erfolgte auf dem Wasserweg über zwei Krane an der Ostseite und über die noch erhaltene, gepflasterte Straße, die durch große Flügeltore unmittel- bar in das Gebäude hineinführt. Obwohl hier Windenwärter und keine Prinzen wohnten, keine Zugbrücke ins Gebäude führt und der einzige Turm ein Uhrentürmchen ist, hat sich aus ungewissen Gründen der Name „Wasserschlösschen“ etabliert. Seine Gestaltung ist zwar nicht königlich, aber mit Zierbändern aus grünen Glasurziegeln und roten Granitsteinen an der Fassade durchaus ansprechend. Errichtet wurde es zwischen 1905 und 1907 im Zuge des dritten Bauabschnitts der Speicherstadt, der 1899 begonnen wurde und in wesentlichen Teilen 1912 abgeschlossen war.

Im Wasserschlösschen befindet sich seit kurzem ein Teekontor mit Café.(2)

Die Entwürfe stammen vermutlich von den beiden Hamburger Architekten Bernhard Hanssen und Emil Meerwein, die für viele prägende Gebäude verantwortlich sind. Nicht zuletzt haben sie sich im Stadtbild als zwei der sieben Architekten verewigt, die das Rathaus entworfen haben. Der flache wasserseitige Anbau an der Rückseite des Wasserschlösschens gehört nicht zum ursprünglichen Bauwerk, sondern wurde in der Nachkriegszeit aus Trümmersteinen errichtet. Bis in die jüngste Vergangenheit befanden sich im Gebäude Büros und Lagerräume. Es diente auch als Kulisse für eine Fernsehserie, weshalb über dem Eingang ein Schild hing, dass das Haus als Teekontor auswies, obgleich sich dort nie eines befand, bis im vergangenen Oktober mit dem „Wasserschloss Speicherstadt“ tatsächlich ein Teekontor mit Café einzog. Mit ihm ist nun auch endlich ein Blaublut samt Verwandten und Bekannten eingezogen: der Earl of Grey mit 250 weiteren Teemischungen.

Text: Andy Lindemann, Fotos: (1) Hamburger Hafen und Logistik AG / Gustav Werbeck, (2) Thomas Hampel
Quartier 16, Dezember 2011–Februar 2012 , Rubrik:    
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