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Zeitreise

Richard Fischer sind von 1979 bis 1982 außergewöhnliche Fotos von Menschen und Gebäuden der Speicherstadt gelungen. Obwohl drei Jahrzehnte alt, atmet jede Aufnahme noch heute die Stimmung jener Tage.

In geduldiger Handarbeit wird Rohkakao von einem Quartiersmann mit Hilfe eines Siebes sorgfältig sortiert und auf Qualität geprüft.

Bereits in den 50er Jahren ließen sich persische Kaufleute in der Speicherstadt nieder, bevor sie in den 80er Jahren zum größten Umschlagplatz für Orientteppiche auf der Welt wurde. Teppichhändler prägen bis heute nachhaltig das Bild zwischen Kehrwieder und Teerhof, auch wenn sie nicht mehr wie zu Zeiten dieser Aufnahme die Hälfte aller Böden belegen. Heute unterhalten noch knapp 70 verschiedene Händler ihre Lager und Showrooms hier im Quartier.(Foto Links), Das ehemalige Maschinenhaus am Sandtorkai war über viele Jahre Sitz der Fleischwarenfabrik der Gebrüder Beisser, deren Belegschaft sich hier gut gelaunt der Kamera stellt. Das Unternehmen, das unter anderem Fleischwaren für Schiffsausrüster lieferte, ist inzwischen nicht mehr in der Speicherstadt ansässig. Der Firmensitz im Kopfbau von Speicherblock M, gegenüber des alten Kesselhauses, steht heute leer und wartet auf neue Nutzer. (Foto Rechts)

Die Quartiersleute waren über Generationen hinweg für Umschlag, Lagerung, Qualitätsprüfung und Handel von Rohstoffen, die über den Hamburger Freihafen liefen, unverzichtbar. Während dieser Zeiten waren ungefähr 60 Unternehmungen von Quartiersmännern in der Speicherstadt tätig, bis die voranschreitende Technisierung der Lagerhaltung den Beruf Anfang der 90er Jahre zusehends verdrängte.(Foto Links), Zu Zeiten dieser Aufnahme wurde in den alten Speichern im Freihafen Tabak im Gesamtwert von über einer Milliarde Deutscher Mark gelagert. Üblicherweise wurde er in Fässern angeliefert, mit Ausnahme von Tabak aus dem Nahen Osten, der wie dieser hier in massiven Ballen zu den Speichern gelangte.(Foto Rechts)

Von der Fassade des Kaispeichers B (oben links) und dem Blick über das winterliche Brooksfleet auf die Wasserseite von Block E (unten rechts) hat Richard Fischer zahlreiche einzigartige Eindrücke aus Hamburgs Speicherstadt und der Menschen festgehalten, die in ihr arbeiteten.

Die Bilderreihe der Hamburger Speicherstadt, entstanden über einen Zeitraum von drei Jahren, bezeichnet den Beginn von Richard Fischers Karriere als selbstständiger Fotograf und Künstler. Die Aufnahmen, die im ZEITmagazin und als Bildband veröffentlicht wurden, holten die Speicherstadt damals über Nacht ins Blickfeld der Hansestadt. European Fotography zählte sie 1983 zu den besten zeitgenössischen Fotografien in Europa, in London wurden sie im National Film Museum ausgestellt. Es folgten zahlreiche weitere Arbeiten, Ausstellungen und Auszeichnungen rund um den Globus, von Berlin bis Brüssel, vom chinesischen Hangzhou bis nach New York.Geboren wurde Richard Fischer 1951 als Sohn eines Ingenieurs und Enkel eines Architekten im philippinischen Manila, wo er auch seine Kindheit verbrachte. Ihm waren deshalb, so sagt er heute, seit frühester Kindheit Zeichenbrett und Bleistift an die Hand gegeben. Noch heute steht in seinem Studio im Weinstädtchen Rauenberg im Rhein-Neckar-Kreis ein großes altes Architekten-Reißbrett, nicht nur zur Zierde und Erinnerung, sondern durchaus zur regelmäßigen Verwendung. Nach dem Umzug seiner Familie nach Deutschland im Jahre 1963 führte sein Weg ihn im Alter von zwölf Jahren während eines Aufenthalts auf der Insel Spiekeroog zur Fotografie. In welcher Weise er sich der Architektur, vor allem aber auch Deutschlands Norden verbunden fühlte, schlug sich schließlich in seiner Fotoserie über die einzigartigen Gebäude und unverwechselbaren Gesichter von Arbeitern und Geschäftsleuten in der Speicherstadt sichtbar nieder. In der jüngeren Vergangenheit hat sich mit besonderen Aufnahmen seltener Blumen ein neuer Schwerpunkt in Fischers Arbeit entwickelt. Anknüpfend an Erinnerungen an den mit Orchideen gefüllten Garten seines Elternhauses in Manila, begann Fischer 1999 mit Fotos von Blumen und bedrohten Arten. Seit das chinesische Kultusministerium ihn gebeten hatte, seine Ausstellung „Floral Sculptures & Endangered Species“ im Reich der Mitte zu zeigen, ist sie inzwischen um die Welt gereist und wurde zuletzt im Palais des Nations der Vereinigten Nationen in Genf präsentiert. Zurzeit bereitet Fischer im Zuge des Hamburger Architektursommers eine Ausstellung vor, die im Foyer des Rathauses gezeigt werden soll. Ebenfalls in Hamburg ist er im Gespräch mit der HHLA, die sich eine Ausstellung seiner Speicherstadtfotografien in einem der historischen Böden vorstellen kann.

Fotos: Richard Fischer, Text: Nikolai Antoniadis
Quartier 16, Dezember 2011–Februar 2012 , Rubrik:    
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