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Der Masterplaner

Volkwin Marg, architektonischer Vater der HafenCity, ist auch mit 75 Jahren weit davon entfernt, seine Profession ruhen zu lassen.

Volkwin Marg gilt in der Welt als einer der wichtigsten Stadionarchitekten. Hier erklärt er seinen Entwurf für ein Stadion des FC Barcelona: Estadio Camp Nou.(1)

Der Mann segelt gern und hat in den Lebensjahren, in denen andere Kreuzfahrtreisen buchen, einen Flugschein gemacht. Aber meist ist er mit dem eigenen Dreimaster selbst hart am Wind. Ein Mann immer noch ungeheuerlich in Bewegung. Ihn bei Vorträgen zu beobachten heißt, ins Schwitzen zu geraten: Dieser Mann brennt für seine Profession, die Architekt oder Baumeister genannt wird. Besonders gern baut er zum Ausgleich am Wasser, wie in der HafenCity oder mit seinem Büro gmp Architekten von Gerkan, Marg und Partner in Chongqing am Yangtse Fluss eine gewaltige Oper, die wie ein gläserner Dampfer aussieht. In der großen weiten Welt ist Volkwin Marg seit dem Umbau des Berliner Olympiastadions als Stadionbau-er bekannt geworden. Seit 2006 gibt es kein großes Fußballturnier mehr, für das er nicht gebaut hätte: Zum Portfolio gehören Sportarenen in Südafrika, demnächst in Brasilien, und im Frühsommer werden die EM-Bilder aus Warschau oder Kiew seine neuesten Stadiontribünen in gewohnt artifizieller und konstruktiver Kulisse in die Wohnzimmer transportieren. Volkwin Marg ist am 15. Oktober des Olympiajahres 1936 im ostpreußischen Königsberg als Pfarrerssohn zur Welt gekommen und fand nach dem Krieg mit Zwischenstationen in Thüringen, Mecklenburg, Berlin und Braunschweig über Umwege in die Hansestadt. Dort gründete er 1965 mit Meinhard von Gerkan nur ein Jahr nach ihrem Diplom an der TU Braunschweig das Architekturbüro: gmp setzten mit einem sensationellen Wettbewerbssieg für das damalige Megaprojekt Tegeler Flughafen (1966) in Berlin den Grundstein für unzählige Großbauten; zunächst in Hamburg und Norddeutschland, später in ganz Deutschland und vor allem in der neuen alten Hauptstadt Berlin. Man muss es vorwegnehmen: Mit einer halben Tausendschaft ist diese Architektenfirma heute eine der größten in Europa und inzwischen auch in China erfolgreich. Mit Büros in Hamburg, Berlin, Peking, Shanghai, São Paulo und anderswo. Hinter dem Dreibuchstabenbüro stecken außerdem jüngere Partner, die die beiden Chefs kongenial unterstützen und ergänzen. Vielfalt und Komplexität gehören zu den Stärken von gmp, und mit Meinhard von Gerkan und Volkwin Marg stehen ohnehin zwei eigenwillige Charaktere an der Spitze. Hakki Akyol, Architekt und Meisterschüler von beiden, erklärt den kleinen Unterschied zwischen ihrer Arbeitsweise so: „Wenn von Gerkan meist mit einem Zoom-Objekt im Telebereich hantiert, gebraucht Marg den Weitwinkel!“ Anders ausgedrückt: Das Feld des Meinhard von Gerkan ist die Welt, Volkwin Marg baut für Hamburg, Deutschland und die Welt. Und das in dieser Reihenfolge.

Die Hamburger Architekten von Gerkan, Marg und Partner sind in der gesamten Welt zu Hause – vor allem in China: hier das Maritime Museum in Lingang New City bei Shanghai, deren Masterplan sie rund um einen künstlichen See entwickelt haben.(2)

Wenn John Zukowsky, der langjährige Kurator der Architekturabteilung am Chicago Institute, 1997 schreibt, „gmp folgen einfachen, etablierten Mustern mit Referenzen an Schiffs- und Industriemotiven, besonders an ihren Hamburger Bauten“, dann ist das in erster Hinsicht Volkwin Marg geschuldet. Er war es, der an zahlreichen Hamburger Projekten – darunter das Augustinum auf den alten Fundamenten, der Kubatur eines klassischen Hamburger Kühlhauses und das Zürichhaus – dem Ziegel huldigte und dabei eine Renaissance des Backsteinexpressionismus eines Fritz Högers forcierte. Der war immerhin der Architekt des Chilehauses. Allerdings kombinieren gmp dabei heute den Ziegel mit Stahl und Glas. Innerhalb der sogenannten Perlenkette entlang des Nordufers der Elbe und in der Speicherstadt gibt es über ein Dutzend solcher gmp-Pretiosen zu besichtigen. Volkwin Marg darf man einen der wichtigsten Architekten der neuen Hamburger Waterfront nennen. Es war also nur eine Frage der Zeit und der hanseatischen Logik, dass ihn der Weg zur HafenCity führte und diese ihn nicht mehr losließ. Volkwin Marg erinnert sich: „Die Feier zum 75-jährigen Bestehen des Hamburger Überseeclubs am 7. Mai 1997 geriet zur Sensation. Der frisch restaurierte große Saal des Hamburger Rathauses war mit gut 1.000 Gratulanten gefüllt. Vor der eindrucksvollen Kulisse der kolossalen, maritimen Historienmalereien beglückwünschte Bundespräsident Roman Herzog die versammelten Hanseaten zur Kontinuität und zum Erfolg ihres kosmopolitischen Handelns. Da ergriff der erste Bürgermeister Henning Voscherau das Wort und verkündete dem überraschten und staunenden Auditorium seine Vision einer neuen ‚HafenCity‘: Das gesamte nördliche Elbufer zwischen dem Sandtorhafen und den Norderelbbrücken werde als Hafengebiet aufgegeben und einer urbanen Mischnutzung aus Wohnen und Gewerbe zugeführt. Nie zuvor war solch Ungeheuerliches in Hamburg geschehen: Hafenland wird in Hamburg nicht zu Stadtland, der Weg war jahrhundertelang umgekehrt gegangen worden …“

Überall, wo Wasser ist, bauen gmp besonders gern, wie hier in Chongqing die neue Oper, die abends wie ein Oceanliner wirkt.(3)

Eines der wichtigsten Projekte in der HafenCity ist das neue Hauptquartier des Germanischen Lloyds.(4)

Voscherau arrondierte auf diese Weise geschickt die Idee von der Perlenkette, also die Rückorientierung der Stadt an die Norderelbe, wie sie der ehemalige Oberbaudirektor Egbert Kossak forciert hatte. Davon wollte man auch finanziell profitieren, die überalterten nordelbischen Hafenbecken und -anlagen sollten verkauft werden, um mit dem Erlös einen weiteren Containerhafen in Altenwerder zu finanzieren. Es verstand sich von selbst, dass der Erwerb von Hafenbetrieben als Voraussetzung für die sukzessive Umwidmung der nördlichen Freihafenteile nur bei völliger Diskretion über die damit zugleich verfolgten städtebaulichen Ziele möglich war, und nicht zuletzt deshalb musste auch die flankierende städtebauliche Planung für die zukünftige Gestaltung der HafenCity strikt vertraulich vorangetrieben werden. Deswegen wurde nicht riskiert, „diese Planung durch den Oberbaudirektor in der sonst üblichen Kooperation mit vielen zuständigen Behördendienststellen entwickeln zu lassen“. Stattdessen wurde an Volkwin Margs Lehrstuhl für Stadtbereichsplanung an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule in Aachen eine Machbarkeitsstudie für die HafenCity entwickelt. Es entstand die erste Vision für einen vielfältig gemischten Stadtteil, bei dem Wohnen, Arbeiten, Freizeit, Kultur und Tourismus als zusammengehörige Teile zu einem Ganzen verschmelzen sollten. Margs Vorschlag für die HafenCity als Backstein-Wasserstadt als Weiterbau der mediävalen Speicherstadt in der strengen Ordnung von Block und Parzelle ist nicht eins zu eins verwirklicht worden. Manche Hamburger bedauern das, doch Städtebau ist keine Sache einzelner und schon gar nicht eine Momentaufnahme. Aber eines ist Volkwin Marg nicht zu nehmen: Mit typi-schem Weitwinkelblick hatte der Pate der HafenCity schon lange vorher Themen wie Bauen am Wasser und die Potenziale der historischen Speicherstadt im Freihafen entdeckt, hatte sich mit Chancen der Wasserlandschaft zwischen City und Strom auf obsoleten Hafenflächen auseinandergesetzt. Da war einer, obwohl kein Hamburger, der den Takt der Stadt und ihre Schwingungen wie ein Seismograph aufnahm. Das bewiesen gmp in Speicherstadt und HafenCity mit der sorgfältig modernisierten HHLA-Zentrale, bei der ein gezuckertes Backsteinschlösschen ein glasstählernes Herz, sprich Atrium, erhielt oder mit dem Umbau der ehemaligen Energiezentrale der Speicherstadt zum Schaufenster und Konferenzzentrum der HafenCity. Die brandneue Zentrale für den Germanischen Lloyd ist ganz besonders typisch für Margs Auffassung: Vorn eine anständige starke Straßenfront aus Ziegel, dahinter gläserne Atrien, und auf der Rückseite sind die Büros großzügig zum Fleet ausgerichtet. In diesen Monaten tourt eine Wanderausstellung durch Deutschland und andere Länder mit dem Titel „Auf alten Fundamenten“, mit der bewiesen ist, wie sinnfällig Architekten Moderne, Geschichte und Denkmalpflege verknüpfen – wer Volkwin Marg richtig verstehen will, sollte sich die Ausstellung anschauen.

Text: Dirk Meyhöfer, Fotos: (1) Timmo Schreiber, (2, 3) Hans-Georg Esch, (4) Heiner Leiska
Quartier 17, März–Mai 2012 , Rubrik:    
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