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Architektur mit IQ

Jan Störmer hat in der HafenCity Spuren hinterlassen, von der Wölbern Bank und
Kühne + Nagel bis zum Brooktorkai. Fast hätte er den Zuschlag für den SPIEGEL erhalten.
Mit Quartier spricht er über Bauklötze, Bürgerinitiativen und Beton.

Jan Störmer in seinem Büro auf der Fleetinsel (1)

Herr Störmer, wann sind Sie erstmals mit der HafenCity in Berührung gekommen?
Früh, im Grunde genommen 1985, als Oberbaudirektor Egbert Kossak zum internationalen Bauforum eingeladen hatte. Damals habe ich mit dem englischen Architekten und Philosophen Cedric Price ein Team gebildet, und wir haben uns gesagt: Lass uns einfach mal ein bisschen herumspinnen. Wir hatten die Idee, das Gelände auf sein natürliches Höhenniveau abzusenken, um ein Wasser-Biotop zu schaffen, ein Duckland. Ich finde das bis heute unheimlich spannend, das Spiel des Wassers, die Schlicklandschaft, die das ablaufende Wasser freilegt. Natürlich stand das im Gegensatz zu den Investitionsgedanken der Finanzbehörde, die aus den Flächen Kapital schlagen wollte. So ist es ja dann auch gekommen.

Sie haben die Idee 1998 an den Landungsbrücken noch einmal aufgegriffen, als die Hansestadt eine „Wissensmeile“ mit einem Infopavillon zum Wattenmeer plante.
Dieser Infopavillon gehört immer noch zu meinen Lieblingsprojekten. Er sollte ursprünglich eine Rolle in der Expo 2000 spielen, als Botschafter für den Norden. Am Ende ist es aber am Geld gescheitert.

Die Handschrift von Jan Störmer (von links nach rechts): die Wölbern Bank, eines der ersten acht Gebäude der HafenCity (2005); Berliner Tor Center (2004); Fährterminal am Fischereihafen in Altona (1993) (2)

Das Projekt wurde noch einmal aufgepeppt, mit Imax-Kino, Science Center, Gastronomie und Einzelhandel. Das kommt uns irgendwie bekannt vor …
Ich glaube, dass ein Science Center an diesem Ort beim Elbtunnel viel besser gelegen hätte als in der HafenCity. Da gibt es genug andere Attraktionen. Aber auch in der HafenCity müsste man dafür heute ein neues Konzept finden. Die Zeit ist darüber hinweggegangen.

Dabei stammen die Pläne aus derselben Zeit, in der Sie mit der Wölbern Bank eines der ersten Gebäude der HafenCity gebaut haben. Wie haben Sie sich dem neuen Stadtteil angenähert?Die ersten Wettbewerbe hatten sehr unterschiedliche Ergebnisse. Am Ende hat dann Kees Christiaanse einen etwas festgezurrten Masterplan vorgelegt, und auf dieser Basis fingen wir an, am Sandtorkai die ersten Klötze zu planen. Es war entschieden worden, den Sandtorkai im Überflutungsgebiet der Elbe zu belassen, weil dahinter die Speicherstadt lag, die man nicht gegen Hochwasser sichern konnte. Deshalb entstanden dort Polder, auf denen die Gebäude gebaut wurden. Die Architekten hatten außerdem die Vorgabe, ihre Bausteine auf Abstand zu setzen, damit eine Verbindung zur späteren Entwicklung der HafenCity und auch zur Speicherstadt möglich wurde. Es sollte einerseits Transparenz hergestellt werden, auf der anderen Seite ein klares Bekenntnis zum neuen Stadtteil.

Wie wollten Sie das umsetzen? Der neue Stadtteil existierte nur auf dem Papier.
In einer so frühen Phase einen Baustein zu setzen, kann zum Maßstab für die folgende Entwicklung werden. In der Hauptsache waren für mich deshalb zwei Dinge von Bedeutung: die Materialität und die architektonische Aussage. Ich wollte dem Gebäude eine Geschlossenheit zur Speicherstadt und eine Offenheit zum neuen Stadtteil geben. Daraus ist ein Gebäude mit zwei Fassaden entstanden, die sich ineinander verschieben. Nach Süden und Westen offen und verglast, nach Norden und Osten geschlossen mit Lochfenstern. Die Materialität ist im Sinne der Speicherstadt, kopiert sie aber nicht. Wir haben große, durchgefärbte Betonelemente verwendet, die sich mir ihrer Umwelt verändern wie Backstein. Besonders an dieser wichtigen Stelle dient dieser erste Baustein als Brücke und Verbindung zur Stadt, als Fortsetzung der Speicherstadt, aber in einer anderen, zeitgemäßen Sprache.

Als die Hamburger am Sandtorkai zum ersten Mal sehen konnten, was die HafenCity sein würde, hat das einen mittelschweren Architekturstreit ausgelöst.
Es gab anfangs tatsächlich eine fast aggressive Ablehnung, besonders gegenüber den Poldern. Ich glaube aber, dass das ein sehr guter, ein sehr mutiger Anfang war. Städtebaulich ist das eine absolut gelungene Lösung. Im städtebaulichen Verbund müssen wir uns heute eher fragen, ob die späteren Gebäude das auch geschafft haben. Das würde ich ein bisschen kritischer sehen. Inzwischen ist die Kritik an der HafenCity aber abgeklungen und wird wohl auch noch stärker nachlassen.

Die Beteiligung von Bürgern an Debatten über Architektur und Städtebau hat aber eher zugenommen. Halten Sie das für eine gute Entwicklung?
Ich bin ausgesprochen dafür, dass Bürgerbeteiligung auch in der Architektur, in der Findung von Konzepten und der Bestimmung von Standorten eine Berechtigung hat.

Als Sie kürzlich Ihre Pläne für die Rindermarkthalle in St. Pauli vorgestellt haben, hat sich die Bürgerbeteiligung zu Ihrem Nachteil ausgewirkt.
Ich muss gestehen, dass das für mich eine große Enttäuschung war. Wir haben an dem Wettbewerb teilgenommen mit der Absicht, etwas für die Menschen in der Schanze zu tun. Unsere Idee war, die alte Halle zu erhalten, um dort endlich wieder einen türkischen Markt zu schaffen. So einen Wochenmarkt hat es bei den Deichtorhallen gegeben, wo heute der Kunstverein sitzt. Als Student habe ich da fast täglich gegessen. Da war ein Wahnsinnsleben! Ich habe das für eine starke Idee gehalten, und ich habe nicht verstanden, warum wir dafür so massiv angegriffen wurden. Jedes Wort, das mein Partner Martin Murphy und ich sagten, wurde von Zwischenrufen unterbrochen. Da war für mich die Frage nach Bürgerinitiative zu Ende. Es ging um sehr einseitige Interessen, die nicht städtebaulich und nicht zukunftsorientiert waren. Jetzt bleibt alles wie es ist. Keiner will da mehr ran. Man scheitert mit der großen Idee, und am Ende wird dann klein herumgebastelt.

Früher war mir das Skulpturale, das Kreative manchmal wichtiger als das Vernünftige.

Wie am Domplatz …
Das war etwas anderes. Dort gab es schon vor dem Wettbewerb eine große Opposition, weil viele den neuen Standort der Zentralbibliothek am Hühnerposten so gut fanden, dass sie eigentlich keinen Bedarf mehr am Domplatz sahen. Ich saß zwar damals im Preisgericht, aber ich war nicht glücklich mit den Zielen. So wie der Platz sich heute darstellt, ist er doch in Ordnung.

Es ist aber nur eine Übergangslösung.
Das reicht doch auch. Wir müssen in unserer Generation nicht alles lösen. Jedes Mal, wenn wir das versuchen, geschieht das unter solchen finanziellen Zwängen, dass es am Ende häufig nicht optimal wird. Am Domplatz sollten zum Beispiel noch Räume für die Bürgerschaft geschaffen werden, Wohnungen wurden auch noch hineingequetscht, weil der Senat sich für einen 20-Prozent-Anteil Wohnungen entschieden hatte. Ein absolut überzogenes Volumen. Das war zum Scheitern verurteilt. Gott sei Dank! Man muss sich aber auch fragen: Wie kann eine Beteiligung von Bürgern die gleichen Beurteilungsfähigkeiten erlangen wie die jener Leute, die sich mit Architektur jahrelang auseinandergesetzt haben, die dreidimensional sehen, wo noch nichts ist? Oft bringt Bürgerbeteiligung diesen Weitblick nicht mit. Stattdessen urteilt sie aus der Vergangenheit heraus, vielleicht auch noch aus der Gegenwart, während wir Architekten die Aufgabe haben, in die Zukunft zu sehen. Aber wir müssen uns auch vermitteln können. Da ist Auseinandersetzung gefragt. Diese Lücke wird man nur schließen können, wenn man etwas mehr Fachwissen in die Bürgerbeteiligung integriert, wenn zum Beispiel qualifizierte Architekten oder Stadtplaner beteiligt werden, auf jeden Fall auch andere als nur diejenigen, die allein ihr Quartier, ihre Wohnung, ihre Miete im Sinn haben. Das darf nicht alles sein. Es muss Visionen geben, auch bei den Bürger-initiativen.

Wie kann das gehen?
Das muss im Grunde genommen im Kindergarten anfangen. Unsere Kinder haben zu Hause riesige Kästen mit Bauklötzen und Eisenbahnen. Sie lernen früh, die Welt in kleinen Dimensionen zu sehen. Darauf muss man aufbauen.

Hat das Ihr Vater Rolf Störmer getan?
Als Philosoph und als Mensch hatte er sehr großen Einfluss auf mich, als Architekt nicht. Hauptsächlich hat er ja Schiffe eingerichtet. Was Cäsar Pinnau für Hamburg Süd machte, hat mein Vater für die „Stein“-Schiffe des Norddeutschen Lloyd in Bremen getan. Nach 1945 hat er dann versucht, seinen Weg in die Moderne zu finden, und hat mit seinem Entwurf für die Alsterdorfer Schwimmhalle gezeigt, dass er diesen Sprung geschafft hat. Sie war sicherlich seine größte Arbeit, ein großartiges Werk, aber trotzdem habe ich seine Architektur nicht weiterführen wollen wie das etwa bei Kleihues + Kleihues in Berlin oder bei Behnisch Architekten in Stuttgart der Fall ist. Allerdings ist mein Sohn auch Architekt. Er war lange bei Kleihues + Kleihues und kommt jetzt zu mir ins Büro.

Als Teilhaber?
Als Angestellter. Ich habe bereits zwei gute Partner.

Hat sich Ihre Philosophie in den letzten 30 Jahren verändert?
Unbedingt. Ich habe mich enorm verändert, immer wieder. Als ich mit Will Alsop zusammenarbeitete, mit dem ich 1989 unter anderem das Fährterminal in Altona entworfen habe, war mir das Skulpturale, das Kreative manchmal wichtiger als das Vernünftig-Reale. Nachdem wir uns beruflich getrennt haben, fing ich an, den Ort, die Menschen, die soziale Einbindung etwas ernster zu nehmen.

Kann man das sehen?
Sicher. Das Berliner Tor Center ist ein schönes Beispiel. Das sind zwar Glasbauten, aber sehr, sehr intelligent. Sie bestehen aus zwei Schalen mit einem Raum von fast einem Meter zwischen der äußeren und der inneren Glasscheibe, in dem der Wind beruhigt, Energie gesammelt, der Sonnenschutz geführt wird. Das schafft ein außerordentlich angenehmes Gebäudeklima, auch wenn die Konstruktion natürlich entsprechend gepflegt werden muss. Ein anderes Beispiel ist das Projekt Intelligent Quarters. Man wird dort zwischen geschlossenen und offenen Flächen leben, und wir mussten dafür sorgen, Luft in das Gebäude zu bekommen, damit die Menschen nicht das Gefühl bekommen, als lebten sie in einer Thermoskanne.

Helfen Wettbewerbe dabei, die Balance zwischen ästhetischen und funktionalen Lösungen zu finden, oder verleiten sie Architekten, durch Entwürfe zu glänzen?
Das kommt auf den Architekten an. Es ist ohne Frage richtig, dass Wettbewerbe für Investoren und Architekten eine Plattform für Egoismus bieten. Investoren haben klare Maximen, die sie umgesetzt sehen wollen, und Architekten sind in diesem Moment Erfüllungsgehilfen. Das Wettbewerbswesen ist aber grundsätzlich eine gute Plattform, allerdings auch nicht in jedem Fall richtig.

Inwiefern?
Ich habe mich zum Beispiel dafür eingesetzt, dass der Entwurf von Herzog & de Meuron für die Elbphilharmonie keinen Wettbewerb erzeugt. Ich hatte das Gefühl, dass man diesen Entwurf nicht mehr durch einen Wettbewerb toppen kann. Ich habe ein Schreiben an den Bürgermeister aufgesetzt und auch an die wichtigen Hamburger Architektenbüros verteilt, um darum zu bitten, dass wir Architekten auf einen Wettbewerb verzichten, um das Projekt stark zu machen, weil es in seiner Wichtigkeit für die Stadt indiskutabel war. Wie es dann weitergegangen ist, ist eine andere Frage.

Sie waren länger im Aufsichtsrat der Elbphilharmonie Bau KG …
Richtig, ich bin im Herbst 2008 ausgetreten. Aber das ist ein anderes Thema.

Interview: Nikolai Antoniadis, Fotos: (1) Thomas Hampel, (2) Thomas Hampel (links), Jan Störmer Partner (Mitte, rechts)
Quartier 18, Juni–August 2012 , Rubrik:    
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