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Grenzwerte

Vor 20 Jahren hat das Zollmuseum seine Tore geöffnet. Seitdem hat es
nichts an Aktualität verloren. Im Gegenteil.

Der Kampf gegen Produktpiraterie hat für den Zoll in den vergangenen Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen. (1)

Ein alltäglicher Vorgang. Auf dem Formular wird als Einreiseort Honolulu, Hawaii aufgeführt; bei der Fracht handelt es sich um ein paar Steine. Das Datum lautet auf den 24. Juli 1969, die Flugnummer ist … Apollo 11. Abfahrtsort: Mond. Die Zollerklärung, die Neil Armstrong, Edwin Aldrin und Michael Collins bei ihrer Rückkehr auf die Erde für die mitgeführten Gesteinsproben abgeben mussten, ist nur eine von vielen Kuriositäten aus 5.000 Jahren Zollgeschichte, die das Deutsche Zollmuseum in der Speicherstadt während seines 20-jährigen Bestehens angesammelt hat. Dabei hatte Finanzminister Theo Waigel seine Eröffnungsrede am 21. Mai 1992 mit den Worten eingeleitet, die deutsche Zollverwaltung sei nicht museumsreif. Der Zoll galt ihm vorzugsweise außerhalb von Schaukästen und Wandtafeln als bedeutende Einrichtung.

Kokain und Meerschweinchen

„Die Freude der Menschen, Steuern und Zölle zu zahlen“, sagte er, „war sicherlich niemals sehr groß.“ Sehr richtig. Aber, fuhr er fort, gerade aus dem angespannten Verhältnis zwischen allgemeiner Zahlungsunlust und der Einsicht in die Notwendigkeit staatlicher Einnahmen ergäben sich Aspekte, die auch in der Konzeption des neuen Museums zum Ausdruck kämen. Der Zoll hat natürlich nicht nur die Aufgabe, Zölle einzutreiben. Er ermittelt gegen Schwarzarbeit genauso wie gegen Umweltvergehen und kontrolliert die Qualität von Waren und muss sich dabei auf Warenströme einstellen, die in den vergangenen Jahrzehnten in nahezu unglaublicher Weise angestiegen sind. Das Volumen des Welthandels hat sich seit 1950 mehr als verhundertfacht. Entsprechend gestiegen ist auch die Herausforderung, inmitten dieser Mengen bestimmte faule Lieferungen aufzuspüren. So geht man zum Beispiel davon aus, dass heute beinahe acht Prozent des Welthandels auf Fälschungen und Plagiate entfallen, Tendenz steigend.

Die Palette der Produktpiraten reicht von Sportschuhen, Handtaschen und Marken-Jeans bis zu Designerbrillen, Luxus-Uhren und Parfums. Denselben Schwierigkeiten begegnen die zuständigen Behörden bei der Bekämpfung von Schmuggel, egal ob von Zigaretten, Rauschgift, Waffen oder exotischen, gefährdeten Tierarten. Dabei finden sich äußerst schwierig zu entdeckende, fantasievolle Verstecke wie etwa Kokain in Mandeln, die alle einzeln geöffnet, mit Kokain gefüllt und anschließend wieder verschlossen worden waren. Leichter zu finden war hingegen eine Lieferung, die heute im Zollmuseum ausgestellt wird und die sich als Dosenfutter tarnte, allerdings als gemeinsames Allround-Dosenfutter, das sich sowohl für Hunde, für Katzen und für Meerschweinchen eignete. Grund genug für die Zollbeamten, sich diese Dosen einmal genauer anzusehen.

Zwei Exponate aus der aktuellen Ausstellung im Zollmuseum: eine alte Zollkelle (links) und eine Zolluniform, die der deutsche Designer Heinz Oestergaard in den 70er Jahren entworfen hat (rechts) (2)

Das Zollmuseum am Alten Wandrahm hat einige sehr unterhaltsame Exponate zu bieten. Zum Beispiel die Erläuterungen zum Harmonisierten System, das von der Weltzollorganisation ins Leben gerufen wurde und in dem alle – alle! – Waren, die es gibt, beschrieben und codiert sind, um eine Zuordnung zu Tarifen zu erleichtern. Dieses System muss natürlich fortwährend aktualisiert werden, um neue Produkte zu erfassen. Dabei müssen richtungsweisende Entscheidungen getroffen werden wie die zum Monchhichi, die der Europäische Gerichtshof 1985 fällte: Man kam darin überein, dass das Monchhichi ein Spielzeug sei und keine Puppe, weil es keine menschlichen Gesichtszüge besitzt. Deshalb musste seine Kleidung extra verzollt werden. Einen höheren kulturellen Beitrag hat sicherlich die Reform der Dienstkleidungsvorschriften geleistet, die rechtzeitig zu den Olympischen Spielen in München 1972 angeschoben wurde, damit sich deutsche Beamte der Welt zeitgemäß präsentieren konnten. Dafür wurde eigens der Quelle-Modedesigner Heinz Oestergaard engagiert, der früher Romy Schneider, Hildegard Knef, Maria Schell und Zarah Leander eingekleidet hatte, und nun die langlebige grün-beige Polizeiuniform erfand, aber auch eine ganz bezaubernde Kostüm-Rock-Uniform für Zollbeamtinnen.

Museumsreif

Das Museum am Alten Wandrahm ist nicht das erste seiner Art. Schon 1927 hatte Johannes Popitz in Berlin ein Zollmuseum gegründet. Popitz hat sich nicht nur den zweifelhaften Ruf erworben, Schöpfer der modernen deutschen Umsatzsteuer zu sein, sondern wurde später erster Finanzminister im Dritten Reich. Eher monarchistisch gesinnt als nationalsozialistisch, geriet er angesichts der massiven Judenverfolgungen in einen tiefen Konflikt, schloss sich schließlich dem Widerstand gegen Hitler an, wurde verhaftet und 1944 hingerichtet. Sein Museum überlebte ihn nicht. Im Bombenhagel der Alliierten wurde es mitsamt seinen Beständen vollständig zerstört. Erst 40 Jahre später wurde die Idee zu einem Deutschen Zollmuseum wieder aufgegriffen. Nachdem mehrere Städte sich bewarben, fiel schließlich die Entscheidung für Hamburg.

Für einen kurzen Moment wird der Besucher zum Zöllner: Zu welcher Tarifgruppe gehört welches Produkt? (3)

Der Zoll stand und steht in der Hansestadt seit jeher in einer ganz besonderen Beziehung zum Hafen. So drohte die EU bezeichnenderweise in dem Jahr, in dem das Museum seine Türen öffnete, Bananen aus dem Dollar-Währungsgebiet mit Zöllen und Importquoten zu belegen. Für Hamburg war das keine schöne Aussicht, war die Stadt doch gerade dabei, sich mit einem Volumen vom 700.000 Tonnen zum führenden Umschlagsplatz für Bananen in Europa zu entwickeln.

Deshalb konnte es sich Senator Peter Zumkley während seiner Eröffnungsrede auch nicht verkneifen, den Finanzminister zu bitten, sich dafür einzusetzen, dass Protektionismus, Importquoten und andere wirtschaftsfeindliche Mittel möglichst bald „den ihnen gebührenden Platz im Museum“ erhielten. So viel zu Museumsreife. Museumsreif ist bald auch der Freihafen. Schon seit Jahren weicht er zusehends aus der Stadt zurück. Zum 1. Januar 2003 fiel der Zollzaun, der Speicherstadt und HafenCity von der restlichen Stadt trennte. Und inzwischen ist es beschlossene Sache, dass der Hamburger Freihafen zum Jahresbeginn 2013 vollständig aufgehoben wird. Der Aufwand, der betrieben wird, um ihn zu erhalten, steht in keinem Verhältnis mehr zum tatsächlichen Nutzen, spätestens seit das europäische Zollrecht für einen Freihafen fast die gleichen Formalitäten vorsieht wie für einen normalen Seehafen. Es gibt keinen Grund, dem Freihafen nachzuweinen, zumindest nicht für den Zoll. Er hat auch ohne ihn genug Arbeit. Die Zeiten, in denen das Museum selbst im Zollausland stand, sind dann allerdings nur noch Erinnerung.

Text: Nikolai Antoniadis, Fotos: (1) Joon-sung Lim, (2, 3) Deutsches Zollmuseum Hamburg / Ulf Büschleb
Quartier 18, Juni–August 2012 , Rubrik:    
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