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Kunst und Kartoffeln

Die Deichtorhallen, heute europaweit bekannte Ausstellungshäuser, standen einst im Mittelpunkt von Hamburgs erstem zentralen Großmarkt. Zusammen mit der Markthalle sind sie heute das letzte Zeugnis des ehemaligen Marktes.

Der Deichtormarkt im Spätsommer 1931: Er reichte von der Wandrahmsbrücke im Westen bis zum Fruchtschuppen jenseits der Bahngleise, im Norden bis zur Blumenmarkthalle von Fritz Schumacher gegenüber dem Hühnerposten. (1)

Nachdem die beiden traditionellen Marktplätze für Obst und Gemüse auf dem Hopfenmarkt und am Meßberg in der engen Innenstadt buchstäblich an ihre Grenzen stießen, entschied die Stadt sich am Ende des 19. Jahrhunderts, einen einzigen zentralen Großmarkt zu gründen. Die Wahl fiel auf einen Platz beim Deichtor. Dort hatte man gerade den Berliner Bahnhof aufgelöst, der mit dem Bau des Hauptbahnhofs überflüssig geworden war. In diesem Zuge waren dort auch provisorisch zwei Hallen errichtet worden, die nun für den Großmarkt ausgebaut wurden. Um ihre neue Funktion als Markthallen zu betonen, erhielten sie an ihren Giebeln schlichten Schmuck, an der Südhalle Figuren aus dem Hamburger Alltagsleben: eine Vierländerin, einen Milchmann, eine junge Köksch, also eine Köchin, einen Honigverkäufer und eine Fischfrau; am Hauptgiebel der Nordhalle zwei streitende Händler und einen Marktpolizisten.

Zu den neuen Anlagen gehörte auch ein lang gezogener Fruchtschuppen östlich der Oberbaumbrücke sowie eine Blumenhalle westlich vom Hühnerposten, die nach Plänen von Fritz Schumacher errichtet wurde. Weil aber der dortige Wagenausstellungsplatz des Bahnpostamtes weiter benötigt wurde, baute man die Halle auf Stützen über den Platz. Diese Stützen sind heute noch zu sehen, allerdings sind ihre Zwischenräume inzwischen zugemauert. Die Anlagen waren zum 1. Oktober 1911 so weit fertiggestellt, dass der Obst- und Gemüsehandel dorthin verlegt wurde. Fruchtschuppen, Bahnanlagen, die Blumenmarkthalle sowie ein Erweiterungsbau an der Nordhalle wurden im Verlauf der folgenden Jahre dem Betrieb übergeben. Der neue Großmarkt erwies sich aber schon bald als zu klein. An jedem Markttag fanden sich hier 1.600 Verkäufer und ebenso viele Einkäufer ein. Jährlich wurden an den Landeanlagen 7.000 Schiffe gelöscht, die dem Markt 15 Millionen Kilogramm Obst, ebenso viel Gemüse sowie weitere 7 Millionen Kilogramm Kartoffeln zuführten, dazu Ware per Bahn und Fuhrwerk, außerdem Lieferungen von Großhändlern aus Holland, Frankreich, Österreich, Italien, Spanien, Algier und West-Indien.

Aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg konnte man die Verlagerung in Angriff nehmen. Das benachbarte Hammerbrook war durch alliierte Bomben fast vollständig zerstört worden und bot sich nun als Fläche für einen neuen Großmarkt an, der schließlich 1962 eröffnet wurde. Der Blumenmarkt wanderte vom Klosterwall zum Deichtor, wurde aber 1984 ebenfalls auf das neue Gelände verlagert. Danach verloren die Deichtorhallen endgültig ihre Bedeutung und verfielen, bis die Körber-Stiftung sie großzügig zu einem Ausstellungszentrum umbaute, das 1989 seine Tore öffnete. Der alte Marktplatz wurde danach Gegenstand mehrerer städtebaulicher Wettbewerbe, erst als Landschaftsgarten, 1993 dann für den SPIEGEL-Verlag, bevor dieser dann ins IBM-Hochhaus zog. Schließlich verkam die Fläche zum Parkplatz, bis sie 2002 mit Hadi Teheranis Deichtorcenter bebaut wurde. Vom Deichtormarkt zeugen seitdem nur noch die beiden Ausstellungshallen und die Markthalle.

Deichtormarkt im Jahr seiner offiziellen Eröffnung (1911) (2)

Die Landungsstelle an der Wandrahmsbrücke (3)

Die dominante Skulptur auf dem Vorplatz der Deichtorhallen entstand auf Wunsch des Stifters, es symbolisiert das Logo der Körber-Gruppe. (4)

Die Pontonanlage am Oberhafen erinnert heute kaum noch an das Marktgeschehen der 20er und 30er Jahre. (5)

 

Text: Nikolai Antoniadis, Fotos: (1) Hamburger Hafen und Logistik AG, (2, 3) ELBE&FLUT Edition Archiv,
(4, 5) Astrid Hüller
Quartier 18, Juni–August 2012 , Rubrik:    
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