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Einfach gut

Der Brite David Chipperfield ist der diesjährige Generalkommissar der 13. Architekturbiennale in Venedig und hat auch in Hamburg seine Spuren hinterlassen.

Sein Architekturdialekt setzt auf traditionellen Satzbau mit den Elementen Licht, Raum und Material. Das Überzeugende daran: Dieser Architekt verweigert sich, mühsam eine Theorie seiner Architektur zu stricken, er baut einfach, und das zwingend gut.

Er ist so etwas wie der Architekt des Jahres; nicht nur, weil er ab Ende August als Generalkommissar der 13. Architekturbiennale von Venedig agiert, sondern weil er wohl in Zeiten bunter und greller Stararchitektur mit Landmarken und Aufgeregtheiten als ein „stiller Star mit enormer Resonanz“ (Kunstzeitung) oder als „Architekturflüsterer“ (SZ) gefeiert wird. David Chipperfield unterhält dabei eine sehr starke Beziehung zu Hamburg; schon Anfang der 1990er Jahre widmete die „Galerie Renate Kammer“ am Münzplatz dem damals in Deutschland Unbekannten eine Ausstellung mit dem schlichten Namen „Three Houses“. Im Katalog war über den jungen Architekten (jung heißt unter 40) die geheimnisvolle Ankündigung zu lesen, Chipperfield gehöre zu den wenigen, die begonnen hätten, einen neuen Humanismus aufzuzeigen.

Der Neubau des Museums Folkwang in Essen: Die Eröffnung des Erweiterungsbaus wurde im Rahmen von „RUHR.2010 – Kulturhauptstadt Europas“ als bedeutendes kulturelles Highlight gefeiert. (2)

Später hat er sich zwei Mal baulich in Hamburg geäußert. Dabei geschah etwas Eigenartiges in der Wahrnehmung. Der schlichte Bau des Pantaenius-Haus- es (2007) am Kaiserkai galt zunächst als schwächerer Entwurf. Hatte der Meister ein B- oder C-Team angesetzt? Mitnichten – wie bei all seinen Bauten muss man genauer hinschauen, um Qualitäten in der Proportionierung zu sichten, um zu erkennen, wie ein einfacher Bau zum genialen wird. Mit jedem fertiggestellten Bauwerk im Quartier gewann dieses Geschäftshaus dann an Achtung und Wirkung als Mitspieler des ersten gelungenen Straßenraums der HafenCity, dem Kaiserkai, den man elegante moderne Stadtstraße nennen darf. Das Haus lebt vor, wie ruhig und ausgewogen gute Architektur sein kann, ein Vorbild für viele ein wenig überdrehte Nachbarn, die sich so schrecklich vordrängen wollen. Bei gewissen sonnigen Wettersituationen erwacht die helle Klinkerfassade zum Leben. Weniger ist auch hier mehr, besonders an der Seite zu den Magellan-Terrassen lohnt die Begutachtung, wie die dunklen Fensterbänder ganz sinnig tief in der hellen Wand das Schweben lernen.
Ganz anders die Situation auf St. Pauli. Dort hat David Chipperfield 2007 das Empire Riverside Hotel fertiggestellt. Und on top ein touristisches Hamburger Highlight geschaffen. Wer dort oben ist, hat einen wirklichen Überblick: Zu Füßen Hamburgs höchster Bar 20up im 20. Stockwerk mit Fernblick liegt der Hafen hinter sieben Meter hohen Panoramascheiben. Das Hotel mit 328 Zimmern im 21-geschossigen Turm bildet zusammen mit den benachbarten Hochhäusern und dem Turm der St. Michaeliskirche nach Willen der Bauherren eine neue „Hafenkrone“. Architekturenthusiasten loben die sensible Fassadearbeit: „Die homogene Schicht der feingliedrigen Fassade fasst das skulpturale Gebäudeensemble zu einer Einheit zusammen und betont die Vertikale“, sagt David Chipperfield. Heißt so viel wie: Der Hotelbaukörper ist keine bloße hochgestellte Kiste, sondern ändert Kontur und Format je nach Perspektive und Position des Betrachters. Innen herrscht das gepflegte Phlegma eines modernen Großstadthotels mit großzügigen Hallen und hervorragendem Ausblick vom Konferenzsaal direkt ins Trockendock von Blohm + Voss. Zu dem gesamten Ensemble gehört auch das ähnlich gestaltete Brauhaus von derselben Architektengruppe.

oben (1): Literaturmuseum der Moderne, Marbach; von links nach rechts: (3) Peek & Cloppenburg, Wien; (4) Townhouse O-10, Berlin; (5) Neues Museum, Berlin; (6) Pantaenius-Haus, Hamburg; (7) Galeriehaus „Am Kupfergraben 10“, Berlin; (8) Empire Riverside, Hamburg; (9) David Chipperfield

Richtig bekannt in Deutschland wurde der britische Architekt David Chipperfield im preußischen kulturellen Allerheiligsten auf der berühmten Berliner Museumsinsel im Jahre 2009, nachdem fast ein Jahrzehnt für die Planung des Wiederaufbaus des Neuen Museums aufgewendet worden war. Der Vertreter eines konsequenten Minimalismus, kurzum ein moderner Architekt wie er im Buche steht, landete seinen größten Erfolg mit der sanften Transformation eines Bauwerks aus dem 19. Jahrhundert (ein Hauptwerk des klassizistischen Baumeisters Friedrich August Stüler) ins 21. Drei Jahre vorher hatte David Chipperfield mit dem Literaturmuseum in Marburg und einer modernen Säulenhalle schon einmal an die deutsche Seele gerührt. Auch wenn er inzwischen in Berlin ein großes Büro führt, liegt die Zentrale weiterhin in London, wo er 1953 geboren wurde. Dort absolvierte er an der elitären Architectural Association sein Studium und arbeitete dann bei den High-tech-Stararchitekten Richard Rogers und Norman Foster. 1984 gründete er ein eigenes Büro, schloss sich aber keiner der damaligen Modeströmungen zwischen Postmoderne und Dekonstruktivismus an, sondern suchte nach einer Neuinterpretation der klassischen Moderne. Seine frühen Wohnhäuser sehen aus wie Villen der 1930er Jahre, als stammten sie direkt von Le Corbusiers Weißenhofhäusern oder den Landhausvillen von Mies van der Rohe ab: das Knights House (1992/2001), das Kao House (1993), ein Wohnhaus in Berlin (1996), Apartments in Kensington (1999).

Man muss genauer hinsehen, um zu erkennen, wie ein einfacher Bau
zum genialen wird.

Später kamen andere Vorbilder hinzu wie der Japaner Tadao Ando und dessen Präzision und pointierter Tageslichteinsatz. Von seinen englischen Hightech-Kollegen schaute er sich deren neue Konstruktionsmöglichkeiten ab. Alle diese Einflüsse bleiben bei Chipperfield nicht einzeln sichtbar, sie werden auch nicht addiert, sondern verwoben und verschmolzen. Sein Architekturdialekt setzt vor allem auf traditionellen Satzbau mit den Elementen Raum, Licht und Material. Perfekt zu erleben und zu studieren im Neuen Museum und dessen Treppenhaus. Das Überzeugende daran: Dieser Architekt verweigert sich, mühsam eine Theorie seiner Architektur zu stricken, er baut einfach.
Seine aktuellen Bauten stehen in der ganzen Welt, natürlich in London und im deutschsprachigen Raum, so in Essen mit dem gelungenen Weiterbau des Museums Folkwang 2010 und in Wien, wo er 2011 mitten im UNESCO-geschützten ersten Bezirk ein neues Textilkaufhaus an der Kärntner Straße vollendete. In diesem Sommer stellte er die Sanierung des Gesellschaftshauses Palmengarten in Frankfurt vor. Sie hätten einfach nur aufgeräumt, lässt Chipperfield in einer Mischung aus Understatement und britischem Humor wissen. Hier in Frankfurt, im Neuen Museum in Berlin, aber auch in der HafenCity gelingt es ihm in einer lauten Welt mit leiser Stimme Gehör zu bekommen. Sicher haben die zackigen Architekturen eines Frank Gehry, einer Zaha Hadid oder auch eines local Heros wie Teherani dabei geholfen, denn in einer Menge aus Masken sieht man plötzlich, wenn einer sein Gesicht zeigt.
Seine diffizile Aufbereitung von Traditionen für eine zeitgenössische Architektur hat ihn an die Spitze der Architekturelite gebracht. Und es tut der Szene gut. In Venedig wird er die Biennale unter dem Titel „Common Ground“ Abschied nehmen lassen von dem, was viele Architekten immer wieder einklagen: Solokünstler zu sein. Zusammenhänge aufdecken, gemeinsame Verantwortung für Stadt und Haus aufzeigen will er. Spannend ist, dass natürlich die großen Egomanen der Szene wie Koolhaas oder Hadid auch dabei sind.

Text: Dirk Meyhöfer, Fotos: Ute Zscharnt für David Chipperfield Architects (1, 3, 4, 7), Christian Richters (2, 8), Ingrid von Kruse (9), SPK ⁄ David Chipperfield Architects, Jörg von Bruchhausen (5), Thomas Hampel (6)
Quartier 19, September–November 2012 , Rubrik:    
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