Erbangelegenheiten
Hamburg ist das einzige Bundesland, das keine Stätten besitzt, die von der UNESCO als Weltkulturerbe anerkannt sind. Dabei gibt es mit Speicherstadt und Kontorhausviertel schon lange vielversprechende Anwärter.
„Mein Werk! Lasse die Menschheit hören deinen Klang! Sprich zu ihnen jahrtausendelang!“
Als Dichter hat Fritz Höger nie besondere Anerkennung gefunden, doch als Architekt ist er in die Geschichte einge-gangen. In der deutschen hat er schon lange seinen Platz, vielleicht bald auch in der Weltgeschichte. Im vergangenen Sommer präsentierte die Kulturbehörde mit der Sternwarte und dem jüdischen Friedhof die beiden Stätten, mit denen sich Hamburg für 2016 um die Aufnahme in die Liste des Weltkulturerbes bewerben möchte. Dabei wurde noch einmal daran erinnert, dass Hamburg sich bereits seit Jahren um diesen Titel bewirbt. Schon seit den 90er Jahren wird versucht, die Speicherstadt von der Unesco anerkennen zu lassen.
Inzwischen wurde die Bewerbung auf Högers Chilehaus samt Kontorhausviertel ausgedehnt, umfassende Gutachten sind in Arbeit. Im kommenden Jahr sollen die Unterlagen vorgelegt werden, damit die UNESCO sich damit befassen kann. Daran wird deutlich: Wer Weltkulturerbe sein will, muss einen langen Atem haben.
Der Titel wird nicht leichtfertig vergeben. Was sich neben die Chinesische Mauer, die Pyramiden von Gizeh oder den Kölner Dom einreihen will, muss – so will es die UNESCO – „ein Meisterwerk menschlicher Schöpferkraft“ sein. Ein hervorragendes Beispiel für ein Gebäude oder Ensemble, an dem sich ein bedeutender Abschnitt der Geschichte der Menschheit versinnbildlicht. Wer am Burchardplatz geparkt hat oder aus seiner Wohnung im 15. Stock des Hauses Arabica auf die Speicherstadt blickt, dem mag das hoch gegriffen erscheinen. Dabei wird vielleicht allzu leicht vergessen, dass sich hier, in einem der bedeutendsten Seehandelsplätze Europas, viele Wege der Geschichte gekreuzt haben.
Chilehaus und Speicherstadt waren bewusste Neuanfänge. Für sie wurden Straßenzüge eingerissen, Einwohner umgesiedelt, die Stadt neu geordnet. Und das in unsicheren, ja: existenziell bedrohlichen Zeiten. Beide Bauwerke sind auch ein Statement: Im ersten spiegelt sich das Selbstbewusstsein seines Bauherren und seines Architekten, im letzteren das einer ganzen Stadt.
Nicht zu überbietende Selbstreklame
Das Chilehaus ist eigentlich konkurrenzlos. Es gibt sicherlich Vorbilder wie das Wainwright Building, das Louis Sullivan 1890 in Chicago entwarf. Aber in den frühen 20er Jahren des 20. Jahrhunderts sind Großraum-Geschäftshäuser im Etagen-bau in Europa nicht verbreitet. Mit dem Kontorhausviertel entstand das erste reine Büroviertel auf dem Kontinent. Sogar jene, die sich nicht den ungeheuren Lobpreisungen anschlossen, die das Haus gleich nach seiner Fertigstellung begleiteten, hielten es für eine der bedeutendsten Leistungen der deutschen Architektur der 20er Jahre.
Ein Bekannter erinnerte sich später, wie sie zusammen eines Nachts durch Hamburg fuhren, als Höger dem Chauffeur bedeutete, zu halten, ausstieg und zum Chilehaus hinüberging, um an der Wand des Hauses niederzuknien und dort in stiller Andacht seine Stirn auf den Klinker zu pressen.
Wenn es umstritten war, dann wegen der Eigenheiten seines Architekten. Ein Zeitgenosse urteilte 1924, als das Chilehaus in Betrieb genommen wurde, Höger präsentiere es „mit nicht mehr zu überbietender Selbstreklame der Öffentlichkeit zur Bewunderung“. Und ein Bekannter erinnerte sich später, wie sie zusammen eines Nachts durch Hamburg fuhren, als Höger dem Chauffeur bedeutete, zu halten, ausstieg und zum Chilehaus hinüberging, um an der Wand des Hauses niederzuknien und dort in stiller Andacht seine Stirn auf den Klinker zu pressen. Schon in seiner ganzen Erscheinung war Höger offenbar ein Mensch, der sich gern als Künstler gab. Als er das erste Mal beim Bauherrn, dem Unternehmer Henry Brarens Sloman, vorsprach, trug er eine stilisierte Abart eines Zimmermann-Schlapphuts – er war gelernter Zimmermann – und anstelle einer konventionellen Krawatte eine schwarze Künstlerschleife. Zu jener Zeit war er kein Unbekannter. An der Mönckebergstraße, dieser neuen mondänen Geschäftsstraße, der die Altstadtquartiere zwischen Hauptbahnhof und Rathaus weichen mussten, hatte er mit dem Rappolt- und dem Klöpperhaus einige Aufmerksamkeit erregt. Und zur selben Zeit, zwischen 1908 und 1910, hatte er der Reederei Robert Miles Sloman Jr. am Baumwall ein Kontorhaus errichtet. Weil es deshalb also schon ein Sloman-Haus gab, entschied sein neuer Auftrag-geber, sein Haus Chilehaus zu nennen, nach dem Standort, an dem er seit vielen Jahrzehnten Salpeterfabriken betrieb.
Was soll ich mit dem Dreck?
Henry Brarens Sloman war, glaubt man seinem Sohn Ricardo, eher halbherzig an dem Grundstück interessiert. Im Zuge der Altstadtsanierung und des umfassenden Stadtumbaus hatte Hamburg schon vor dem Krieg entschieden, das Gängeviertel am Meßberg abzureißen und neu zu bebauen. Wegen des Krieges, der folgenden wirtschaftlichen Repressalien und der grassierenden Inflation kamen die Pläne nicht zur Ausführung; zum Schluss wurde entschieden, das Gelände zu versteigern. Nachdem es zunächst nur einen Bewerber gab, ein Bankhaus, drängte Slomans Anwalt Rudolf Hertz seinen Mandanten, sich zu beteiligen: Er könne, so Hertz, einem ganzen Stadtteil seinen Stempel aufdrücken. Das schien den Unternehmer zu überzeugen, und während er mit seinen Söhnen im Restaurant Gosselk am Alstertor saß, ließ er das Grundstück von einem Makler ersteigern. Wenige Tage später traten die Architekten des unterlegenen Mitbieters an Sloman heran. Sie hatten in der sicheren Erwartung, dass ihr Auftraggeber den Zuschlag erhielte, Unmengen an Baumaterial besorgt, minderwertigen Bockhorner Klinker, den die dortigen Ziegeleien als Ausschussware betrachteten. Slomans Sohn Ricardo, der wenig Gutes über Höger zu sagen wusste, berichtete später, wie dieser davon erfuhr, welches Baumaterial sein Auftraggeber von den Gerson-Brüdern erworben hatte, und ausrief: „Was soll ich mit dem Dreck machen?“ Höger selbst, der in späteren Zeiten einen Ziegelstein auf seinem Schreibtisch liegen hatte und sich auch sonst als dem Backstein besonders verbunden zeigte, hat eine andere Erinnerung daran, wie er zu dem prägenden Backstein des Chilehauses kam. Er habe ganz bewusst und aus gestalterischer Überlegung heraus Bockhorner Klinker gewählt, eben weil er als minderwertig galt, weil seine Färbung nicht gleichmäßig war. Eines ist aber unstrittig: Nachdem er die Backsteine hatte, setzte er sie ein wie kein anderer. Von seiner Veranlagung her eher Künstler als Architekt, formte er das Chilehaus nach seinen Vorstellungen. So missfiel ihm der Gedanke, zwei Blöcke auf das durch die schmale Fischertwiete getrennte Grundstück zu setzen, und ließ stattdessen den Weg durch kräftige Bögen überbauen, sodass ein einziger Baukörper entstand. Gleichzeitig ließ er den Bauplan so ändern, dass er die Kurve, die die Straße an den Pumpen macht, ausbilden und in sein Gebäude übernehmen konnte. Vor allem aber setzte er durch, dass man entgegen dem Bauplan die dreieckige Grundfläche gänzlich bebaute und das Gebäude so zu einer Spitze zusammenlaufen ließ, anstatt es zehn Meter vorher in einer Querwand enden zu lassen. Angeblich war ihm dabei gar nicht bewusst, welche perspektivische Wirkung dieser „Bug“, der heute das überragende Motiv des Hauses ist, besaß. Darauf soll ihn zu seiner eigenen Überraschung erst der Fotograf Franz Rompel aufmerksam gemacht haben. Gewollt oder nicht: Mit dem Chilehaus hatten Höger und Sloman den ersten Großbau nach dem Krieg verwirklicht, in einer wirtschaftlich nahezu aussichtslosen Zeit. Das Gebäude wurde schon unmittelbar nach seiner Fertigstellung 1924 als vorbildliche Großtat überschwänglich gefeiert. Ein Haus von Weltrang, ohne Zweifel. Die Speicherstadt hingegen ist ein schwieriger Fall. Ihre Architektur ist ein unvergleichliches Zeitzeugnis. Aber während ihr Bau sich vornehmlich an ihren Funktionen orientierte, wollten ihre Planer in ihrer Ausgestaltung auch eine Aussage treffen. Und es ist fraglich, ob diese Aussage heute noch ablesbar ist.
Sie wurde als „Stadt“ geplant. Schon 1882 sprach die Deutsche Bauzeitung von einer „Zukunftsstadt“. Andere redeten von einer „Handelsstadt“, mit Produktionsstätten, Lagern, Verarbeitungsbetrieben; allein Wohnungen und Einzelhandel hatten keinen Platz. Sie verfügte über eine eigene Stromversorgung, Polizei, Feuerwehr und Post, mit der HFLG auch über eine fast autonome Verwaltung, die sogar ein Rathaus besaß. Als Insel war sie nur über Brücken erreichbar, durch mächtige Tore, allen voran das „Stadttor“ an der Brooksbrücke. Ihre geschlossenen Speicherblöcke, deren einheitliche Höhe und die zahlreichen Ecktürme ließen sie von der Stadt aus, vom Zollkanal oder aus den Fenstern der Ringbahn, die an der Kaistraße fuhr, wie eine Festung wirken. Das war Absicht. Denn nachdem die Hansestadt zum Zollanschluss gezwungen worden war, wurde die Speicherstadt zum Symbol für das unbezwingbare Privileg des Freihafens. Sie ist keine reine Nutzarchitektur. Vielmehr inszeniert sie sich bewusst als Demonstration von Hamburgs wirtschaftlicher Kraft und Unabhängigkeit.
Das war einmal. Große Teile wurden im Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs zerstört. Weite Flächen wurden zwar später wieder bebaut, aber mit unterschiedlichen Ergebnissen, von Kallmorgens Kaffeebörse bis zum Hanseatic Trade Center. Dahinter wächst die HafenCity. Während sich der Sandtorkai maßstäblich noch an der Speicherstadt orientiert, ist dieses Prinzip hinter St. Annen aufgegeben worden: Aus der Innenstadt kommend, sieht man hinter der Speicherstadt das 16-stöckige Haus Arabica aufragen. Zahlreiche andere Gebäude dominieren die Speicherstadt: von der Elbphilharmonie bis zur SPIEGEL-Zentrale, dem Deichtorcenter oder auch der silber-metallischen Wasserstofftankstelle. Unabhängig davon, wie man am Ende die Qualitäten der HafenCity oder auch der Nachkriegsbebauung bewerten mag: Ihre sichtbaren Dimensionen haben die Speicherstadt zusammenschrumpfen lassen. Aus dem Symbol wirtschaftlicher Macht ist ein putziges Schmuckkästchen geworden. Für Hamburg ist sie natürlich unverzichtbar. Aber für die Welt?
Hamburgs Bewerbung soll 2014 bei der UNESCO eingereicht werden. Dort wird 2015 darüber entschieden. Sollten Chilehaus und Speicherstadt nicht den ersehnten Status als Welterbe erhalten, stehen ab 2016 die Sternwarte und der Jüdische Friedhof in den Startlöchern. Es ist ja nicht so, dass Hamburg sonst nichts zu bieten hätte.