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French Connection

Ob Crapaudine vom Stubenküken oder Büsumer Krabben: Alles, was die Küche des CARLS verlässt, trägt die Handschrift von Michel Rinkert.

Der Elsässer Michel Rinkert legt den Schwerpunkt auf regionale norddeutsche Küche, die er mit ausgesuchten französischen Ideen bereichert. (1)

„Manchmal kocht meine Frau für mich, weil sie mir eine Freude machen möchte“, sagt Michel Rinkert, „leider kann ich nie sagen: Das war sehr gut.“ Das ist kein Beziehungsproblem. Es ist eine Berufskrankheit. Rinkert ist Koch, und nicht irgendein Koch, sondern Chef de Cuisine im CARLS an der Elbphilharmonie.

Es muss nicht immer
Kaviar sein

Bevor er vor vier Jahren Küchenchef für die Brasserie, das benachbarte Bistro und den Salon Privé wurde, hat ihn sein Beruf von seinem Geburtsort Weißenburg im Elsass in Küchen überall in Europa geführt, nach Paris, nach Madrid, Frankfurt und Hamburg. Er weiß, wovon er spricht. „Wenn ich sage: Das ist okay, dann ist das ein großes Lob.“ Dabei ist Kochen in seinen Augen im Wesentlichen ein Handwerk, das man lernen muss. „Sonst könnte ja jeder kochen: Man mischt etwas zusammen, und entweder es schmeckt, oder es schmeckt nicht.“ Das Geheimnis eines guten Essens liegt aber nicht allein in der gelungenen Kombination von Geschmäckern, sondern in der Erinnerung, die es hinterlässt. Wenn Michel Rinkert an Essen denkt, erinnert er sich zum Beispiel an den Gemüsegarten seiner Eltern. Er denkt an seinen Vater, einen gelernten Pâtissier, oder daran, wie er als kleiner Junge im Restaurant seiner Familie zwischen den Gästen herumlief. Wie er mit seiner Großmutter am Herd stand. Oder wie die ganze Familie zum Essen zusammenkam. Was gegessen wurde, war eigentlich nebensächlich, es konnte ein einfacher Tomatensalat sein. Ausschlaggebend war, dass die Familie gerne beisammensaß und dabei aß, teilweise stundenlang. Rinkert hat sich bis heute nicht daran gewöhnt, dass manche Menschen anspruchsvolle Küche nur dann schätzen können, wenn sie irgendwie exotisch ist. Er hat wie viele seiner Landsleute einen recht unkomplizierten Zugang zum Essen. Für ihn ist es völlig selbstverständlich, in eine Brasserie zu gehen und ein Œuf mayonnaise zu bestellen, ein Ei mit Mayonnaise. Ihm geht es vor allem um Genuss und Gesellschaft, weniger um Ausgefallenes. Insofern kann man die Karte im CARLS nicht nur als Wertschätzung regionaler Küche verstehen, sondern auch als Statement: Es darf gerne einfach sein. Es gibt Pannfisch mit Senfsoße und Bratkartoffeln. Es gibt panierten Rotbarsch auf Kartoffel-Gurken-Salat, Glückstädter Matjes und geräucherten Ostsee-Aal mit Kräuter-Rührei. Und es gibt eine Hanseatenplatte mit Büsumer Krabben, Räucherrollmops, Makrele, Bismarckhering, Räucheraal und Lachs, dazu Schwarzbrot und Sahnemeerrettich.

Seit vier Jahren geben sie dem CARLS an der Elbphilharmonie ein Gesicht: der Chef de Cuisine Michel Rinkert (links) mit Restaurantleiter und Patron Francesco Potenza (rechts). (2)

Das CARLS wäre aber nicht das CARLS, sondern der Friesenkeller oder das Klopstock, wenn das alles wäre. Ein kleines bisschen ausgefallen darf es schon sein.

Köche sind wie
kleine Kinder

Neben einigen französischen Einflüssen, die inzwischen als Klassiker das ganze Jahr über auf der Karte stehen wie das Bœuf bourguignon oder die französische Fischsuppe, nimmt Michel Rinkert regelmäßig sehr erlesene Spezialitäten ins Programm: Schnecken, Froschschenkel, Kalbsbries oder auch confierte Entenmägen, die außer im Südwesten Frankreichs nur von sehr, sehr wenigen Menschen wirklich wertgeschätzt werden. Liebhaber werden es bestellen, Menschen, die genau nach dem einen Restaurant suchen, das diese Delikatessen anbietet und sie zubereitet wie sie es verdienen. Aber es sind Ausnahme-Gerichte, die nicht den Mainstream-Geschmack ansprechen und deshalb auch leichter durchfallen können. Die Stopfleber zum Beispiel wurde wieder von der Karte genommen; auch ihr eleganter französischer Name „Foie gras“ konnte es nicht abwenden. Rinkert nimmt es gelassen, denn im Großen und Ganzen geht seine Idee auf. Und diese Idee ist einfach: Er will kochen, was schmeckt. Er hat eine ganz bestimmte Vorstellung von anspruchsvoller Küche, wobei anspruchsvoll für ihn weder kompliziert noch teuer bedeutet. Er braucht keine Schäumchen und keine Gelees. Er zählt sich auch nicht zu jenen, die gerne Trends folgen. Dafür ist er viel zu neugierig. „Es würde mich ärgern, wenn ich auf etwas verzichten müsste, nur weil ich mich auf einen Stil festgelegt habe.“ Das CARLS hat sich zwar eine Marschrichtung gegeben, norddeutsche Küche mit französischem Akzent, aber das hindert Rinkert nicht daran, Ausflüge in andere Regionen zu unternehmen. Zum Beispiel mag er thailändische Küche. Er isst generell gerne asiatisch. Schon als er 2002 zum ersten Mal nach Deutschland kam und Küchenchef im Apples im Hamburger Hotel Park Hyatt wurde, legte er den Schwerpunkt auf gehobene französische Küche, mischte aber fremde Einflüsse unter, aus dem Mittelmeerraum und eben auch aus Asien. Im CARLS bedient er sich nun ebenfalls hin und wieder an der asiatischen Küche, auch wenn es in der Karte nicht jedes Mal so ausgewiesen wird. Er folgt der Linie des CARLS, mit einer starken Ausrichtung auf regionale Küche und regionale Produkte, mit Holsteiner Rind, mit Gemüse aus dem Umland, aber er fährt seine Antennen auch ein bisschen weiter aus, nicht in die Molekularküche, aber durchaus zu exotischen Geschmäckern. Weil das wichtig ist, um nicht zu gemütlich und zu routiniert zu werden, ruft Rinkert ein Mal im Monat sein Küchenteam zusammen mit dem Ziel zu experimentieren, zu kombinieren und Ideen auszuprobieren.
Obwohl er seit vielen Jahren in den Küchen namhafter Restaurants den Ton angibt, lässt es ihn nicht unberührt, wenn ein Gericht bei seinen Gästen nicht ankommt. „Wir Köche“, sagt er, „sind wie kleine Kinder: Wir brauchen Bestätigung.“ In jedem Fall ein Feedback. „Gerade negative Rückmeldungen sind wichtig“, sagt dazu der Restaurantleiter des CARLS, Francesco Potenza. „Nur höfliches Lob ist nicht gut. Man hört auf, sich verbessern zu wollen. Irgendwann ist das Restaurant leer, und niemand weiß warum.“

Kochen ist eine Art Kunsthandwerk, bei dem nicht nur die Hände viel arbeiten, denn am Ende muss alles stimmen: die Qualität der Zutaten, die richtige Zubereitung, die Komposition der Geschmäcker und die Präsentation der Speisen. (3)

Michel Rinkert hat sich nie daran gewöhnt, dass manche Menschen anspruchsvolle Küche nur dann schätzen können, wenn sie irgendwie exotisch ist.

Deshalb ist Kritik wichtig, auch die von Restaurantführern. Allerdings geht Michel Rinkert nicht so weit, dass er für das CARLS einem Michelin-Stern hinterherkocht. Er hat lange im Sterne-Segment gearbeitet, hat sogar seine Karriere dort begonnen, mit seiner Lehre, die er im Zwei-Sterne-Restaurant L’Auberge du Cheval Blanc im französischen Lembach absolviert hat. Nach insgesamt acht Jahren in Paris, war er unter anderem Chef de Partie im Le Jardin im Hotel Royal Monceau und im Pavillon Ledoyen, beides renommierte, ausgezeichnete Sterne-Gastronomien. Rinkert weiß, wie zufrieden ein Koch ist, wenn seine Arbeit durch angesehene Kritiker wie Michelin belohnt wird. Er hat sich trotzdem von dem Gedanken frei gemacht, auf einen Stern hinzuarbeiten. Sein Ziel ist, dass jeder Gast zufrieden nach Hause geht. Das muss nicht unbedingt im Michelin stehen. Beim Kochen ist es genauso wie überall sonst auch: Man muss mit dem Herzen dabei sein. Wie seine Frau. „Sie kocht weiter für mich“, sagt er. „Allerdings darf ich dann nicht in die Küche, weil ich ihr ständig hineinreden würde. Aber sie kocht mit Liebe. Das ist das Wichtigste.“

Text: Nikolai Antoniadis, Fotos: Jonas Wölk, Astrid Hüller (1, 3), Thomas Hampel (2)
Quartier 19, September–November 2012 , Rubrik:    
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