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Rote Riesen

Hamburg ist Hauptsitz einer der größten und traditionsreichsten Reedereien
der Welt: Hamburg Süd.

Hamburg Süd investiert seit Jahren einen Großteil ihres Budgets in den Ausbau der eigenen Flotte.

Wenn in der Schiffahrt andere für Schlagzeilen sorgen, setzt man in dem markanten Unternehmenssitz der Hamburg-Süd an der Willy-Brandt-Straße 59 strikt auf das hanseatische Prinzip, mehr zu sein als zu scheinen. Das beginnt schon mit den räumlichen Gegebenheiten um das Hauptquartier, von wo aus täglich global operiert wird: „Wir sind in den letzten Jahren enorm gewachsen, sodass wir inzwischen auf mehrere Standorte in der Hamburger Innenstadt verteilt sind“, erklärt Eva Graumann, die Pressechefin der Reederei. Die ist eine Hamburger Institution mit nunmehr 141-jähriger Geschichte. Im Jahre 1871 war die „Hamburg-Südamerikanische Dampfschifffahrts-Gesellschaft“ (H. S. D. G., kurz: Hamburg Süd) von 13 Hamburger Unternehmen und Unternehmern mit dem Ziel gegründet worden, eine „regelmäßige Schiffsverbindung zwischen Hamburg und Brasilien“ herzustellen. Das gelang so erfolgreich, dass die Hamburg Süd bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges zu einer der weltweit erfolgreichsten Reedereien sowohl in der Fracht- als auch der Passagierschifffahrt avancierte. Hanseatische Kaufmannspersönlichkeiten wie August Bolten, Ferdinand Laeisz oder Martin Garlieb Amsinck prägten die ersten Jahre der Reederei, und in der Epoche europäischer Auswanderung dominierten die Dampfer mit den weißen Schornsteinen und dem roten Top die Südatlantik-Routen. Durch Zerstörungen und Beschlagnahmungen der Flotte musste die Hamburg Süd mit dem Ende des Ersten Weltkrieges praktisch wieder bei null beginnen. Doch den Vorständen Theodor Amsinck und John Eggert gelang dies in erstaunlich kurzer Zeit. Es folgten Jahre beeindruckender Expansion. Neben der Linienschifffahrt entwickelte sich die Kreuzfahrt zu einer neuen lukrativen Sparte. Ziele waren das Mittelmeer, Norwegen oder die Azoren, und die Hamburg Süd gehörte zu den Vorreitern der „Kreuzfahrt für alle“ mit Luxuslinern wie den schnellen Motorschiffen der Monte-Klasse oder der legendären CAP ARCONA, die – ungeheuerlich für die damalige Zeit – sogar über einen Tennisplatz in Originalmaßen an Deck verfügte.

„Eine Reederei ist eine Faszination, sie ist eigentlich kein Geschäft.“

Doch nach dem „Schwarzen Freitag“ 1929 kamen bald neue Einschränkungen: Die führenden Reedereien und traditionellen Wettbewerber Hapag, Norddeutscher Lloyd und Hamburg Süd wurden unter einem staatlichen Dach zusammengefasst. Mitte der 30er Jahre änderte sich die staatliche Flottenpolitik erneut, und Dr. Richard Kaselowsky, Chef der Bielefelder Firma Dr. August Oetker, nutzte die Gunst der Stunde zum Erwerb eines 25-prozentigen Anteils an der Hamburg Süd. Mit Kriegsbeginn endete die Zeit fröhlich-ziviler Schifffahrt. Auch das Haus Oetker wurde von einem schweren Schicksalsschlag getroffen: Bei einem Luftangriff auf Bielefeld kamen Dr. Kaselowsky, seine Frau Ida Oetker und die beiden Töchter ums Leben. Stiefsohn Rudolf-August Oetker, den Kaselowsky bereits seit 1937 mit einer Banklehre in Hamburg und seiner Berufung in den Aufsichtsrat der Hamburg Süd 1942 vorausschauend auf seine künftige Rolle vorbereitet hatte, musste nun mit kaum 25 Jahren die Gesamtverantwortung für das große Haus übernehmen. Nicht nur entwickelte sich Rudolf-August Oetker in den Folgejahren zu einer der erfolgreichsten Unternehmerpersönlichkeiten im Nachkriegsdeutschland und sicherte sich 1955 sämtliche Geschäftsanteile an der Reederei. Oetker lebte auch seine große Leidenschaft für die Schifffahrt in ganz eigener unprätentiöser Art. „Eine Reederei ist eine Faszination, sie ist eigentlich kein Geschäft“, erklärte Oetker, dessen Reisen auf eigenen Schiffen ebenso legendär wurden wie seine jährliche Teilnahme am Weihnachtsskat-Turnier der Hamburg Süd-Mitarbeiter. Und auf sein Erfolgsrezept angesprochen, sagte er einmal: „Ich habe viel Glück gehabt in meinem Leben. Manchmal reicht es, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein.“ Das muss dem Unternehmer allerdings häufig gelungen sein, denn Hamburg Süd erfuhr unter seiner Leitung einen ungeahnten Aufschwung. Die Passagierschifffahrt, mit Ausnahme von Frachtschiff-Reisen, hatte Oetker übrigens nicht wiederaufnehmen lassen. Anfang der 80er Jahre übertrug er das operative Geschäft seinem Sohn August, der in gleichem hanseatischem Geiste ausgebildet worden war. Es folgte eine weitere Phase überaus dynamischen Wachstums mit zahlreichen Übernahmen. Heute steht die Hamburg Süd auf Platz zwölf der weltweit größten Reedereien, generierte zuletzt mit seinen rund 4.500 Mitarbeitern und 160 Schiffen in Fahrt (davon 43 eigenen) einen Umsatz von 4,8 Milliarden Euro, erwirtschaftete damit fast die Hälfte des Gesamtumsatzes der Oetker-Gruppe – und das nach wie vor als Familienunternehmen. Nicht so schlagzeilenträchtig wie andere, aber ganz gewiss grundsolide und hanseatisch-selbstbewusst bleibt die Hamburg Süd, auch im 141. Jahr ihres Bestehens. Ihre schönste historische Visitenkarte kann man täglich im Hafen besuchen: den Stückgutfrachter CAP SAN DIEGO, der wie seine Schwesterschiffe der Cap San-Reihe von dem Hamburger Architekten Cäsar Pinnau entworfen wurde, der auch für die Unternehmenszentrale an der Willy-Brandt-Straße verantwortlich ist. Ihre aktuelle Visitenkarte gibt die Reederei hingegen wöchentlich im Hamburger Hafen ab, mit den neuesten und größten Containerschiffen, die bis zu 7.100 Standardcontainer an Bord nehmen können.

Text: Michael Hertel, Foto: Hamburg Süd/Christian Spahrbier
Quartier 19, September–November 2012 , Rubrik:    
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