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Talismänner

Jeder Seemann hat einen, niemand fährt ohne ihn: Ein Talisman ist unverzichtbar,
wenn es auf große Fahrt geht.

Die Reihe besteht aus Bildern in Querformat bei Größen bis zu 100 mal 200 Zentimetern, Fine Art Print kaschiert auf Leinwand, bearbeitet mit China-tusche und Acryl.

 

„Ich liebe meine Frau, und ich liebe meine Mutter. Es ist nicht immer einfach, es beiden recht zu machen. Vielleicht kennen die Männer in Deutschland das Problem auch.“

Rodney Teraga, 35, Philippinen, Talisman: Jesusbild

Dritter Nautischer Offizier auf der MT ELI KNUTSEN

Das Meer ist meine Leidenschaft. Das war schon mein ganzes Leben so. An meinem fünften Geburtstag hatte meine Mutter den Geburtstagskuchen mit einem Schiff verziert. Von jenem Tag an war ich verrückt nach dem Meer – obwohl ich es noch nie gesehen hatte. Unser Dorf lag sehr weit von der Küste entfernt. Meine Mutter musste meine Geschwister und mich alleine großziehen. Wir hatten nicht viel Geld, daher bin ich nach der Schule zum Militär gegangen. Ich habe mich dort für die Marineausbildung entschieden und kam so schließlich zur See. Ich liebe sie mehr als alles andere. Irgendwann möchte ich Kapitän auf meinem eigenen Schiff sein.

Die längste Zeit, die ich von zu Hause weg war, waren acht Monate. Meine Frau war schwanger, aber wir waren noch nicht verheiratet. Wir haben geheiratet, nachdem ich von der Fahrt zurückkam. Es ist nicht leicht, so häufig getrennt zu sein. Meine Töchter sind neun und fünf Jahre alt. Ich lebe für sie. Ich vermisse sie unendlich, wenn ich unterwegs bin. Es fühlt sich nicht richtig an, als Vater getrennt von den Kindern zu sein.

Dieses Jesusbild habe ich immer bei mir. Meine Mutter hat es mir gegeben, als ich das erste Mal zur See fuhr. Das ist jetzt zehn Jahre her. In schwierigen Situationen nehme ich es heraus. Ich bete, dass Jesus mir den richtigen Weg weist. Das Leben an Bord ist für gläubige Menschen leichter zu ertragen. Wenn du Jesus im Herzen trägst, ist alles einfacher. Das Bild erinnert mich aber auch daran, was meine Mutter mir bedeutet. Manchmal hatte ich Zweifel im Leben. Zum Beispiel, als ich geheiratet habe. Meine Mutter wollte nicht, dass ich so jung heirate, aber es war eben Liebe. Ich liebe meine Frau, und ich liebe meine Mutter. Es ist nicht immer einfach, es beiden recht zu machen. Vielleicht kennen die Männer in Deutschland das Problem auch.

 

„Jetzt bin ich frei. Und jetzt habe ich viele Frauen. Sie wohnen alle in meiner Stadt. Natürlich wissen sie nicht voneinander! Wenn ich zurückkomme, muss ich aufpassen.“

Oleksandr Smola, 22, Ukraine, Talisman: Freundschaftsband

Hilfskraft an Deck auf der BALTIC WAVE

Ich komme aus Mariupol in der Ukraine. Seit drei Jahren fahre ich zur See. Ich mache das, weil mein Vater auch Seemann war. Allerdings nur kurz. Als er meine Mutter kennengelernt und sie meine Schwester gemacht hatten, sagte meine Mutter zu ihm: Bleib hier und arbeite hier im Hafen. Ich mache den Job nur des Geldes wegen. Eigentlich bin ich DJ. Ich liebe Musik. Musik ist mein Leben. Nicht das Meer. Während meiner freien Zeit lege ich in Mariupol und in anderen Städten der Ukraine auf. Wenn ich auflege, bekomme ich am Abend etwa 100 Euro. Das ist noch nicht viel, aber ich mache das ja auch erst seit drei Jahren. Ich habe schon ein paar Mal eigene Musik bei europäischen Labels herausgebracht. Das ist meine wahre Leidenschaft. Ich möchte selber Musik produzieren.

Dieses Freundschaftsband hat meine Freundin gemacht. Top ist mein Künstlername: DJ Top. White Project ist ein Projekt, das ich mit Freunden ins Leben gerufen habe. Wir wollten zusammen Musik machen und Leute für diese Musik begeistern. Zu White Project gehören auch andere DJs. D’n’B heißt Drum and Bass, das ist die Musikrichtung, die wir machen. Zurzeit ist in der Ukraine eher Minimal House und Minimal Techno angesagt. Außer in Odessa, da ist auch D’n’B sehr beliebt.

Ob ich meine Freundin vermisse? Hm, also ehrlich gesagt , habe ich mehrere. Früher hatte ich nur eine. Das war die große Liebe. Aber ich habe Schluss gemacht. Ich weiß nicht genau, warum. Vielleicht war das dumm von mir. Manchmal fehlt sie mir. Manchmal nicht. Vielleicht ist es besser so. Jetzt bin ich frei. Und jetzt habe ich viele Frauen. Sie wohnen alle in meiner Stadt. Natürlich wissen sie nicht voneinander! Wenn ich zurückkomme, muss ich aufpassen.

Ich träume davon, in fünf Jahren bekannt zu sein für meine Musik. Dann fahre ich auch nicht mehr zur See.

 

Kailas Gopal, 29, Indien, Talisman: gesegnete Sandelholzpaste

Matrose auf der MSC REBECCA

Das Zeichen auf meiner Stirn ist aus Sandelholzpaste. Man muss sie mit etwas Wasser anmischen, dann lässt sie sich auf die Haut auftragen. In Indien ist es üblich, dass Priester uns im Tempel auf diese Weise segnen. Man kann die Paste auch zum Mitnehmen kaufen. Ich mache das immer, bevor ich an Bord gehe. Dann habe ich den heiligen Tempel gewissermaßen bei mir. Es ist wichtig, vor jeder Reise neue Paste zu kaufen. Ich weiß nicht warum, aber es heißt, der Segen des Priesters wirke nur für sechs Monate, und man kann die „abgelaufene“ Paste leider nicht durch erneuten Segen wieder „aufladen“ lassen.

Randy E. Lontoc, 37, Philippinen, Talisman: Fellmütze

Matrose auf der MV ALDEBARAN

Ich fahre schon seit elf Jahren zur See. Mein Onkel und viele meiner Cousins sind auch Seeleute und haben mich ermuntert, die Ausbildung zu machen. Ich habe eine siebenjährige Tochter. Wenn ich könnte, würde ich ihr die ganze Welt zeigen. Seit einer Woche sind wir nun in Hamburg. Ein Kran an unserem Schiff muss repariert werden, und jetzt haben wir eben ein paar Tage Aufenthalt hier. Was ich an Hamburg mag? Besonders die Deutschen. Sie sind sehr freundlich. Wir waren in St. Pauli und auf dem Dom. Ich bin Achterbahn gefahren. Außerdem habe ich mir als Souvenir diese Mütze gekauft. Ich werde sie aber nicht bei der Arbeit an Bord tragen. Dafür ist sie zu schade.
Das ist eine Mütze zum Ausgehen.


 

Sonja Praxl (Text), Thomas Pritschet (Fotografie) und Ulrike Willenbrink (Malerei)

DIE KÜNSTLER

Ein Fotograf, eine Künstlerin und eine Journalistin zeigen Seeleute mit ihren Talismanen.

DIE IDEE
Als Hamburger stehen wir am Elbstrand und blicken ein bisschen wehmütig den Schiffen hinterher, die uns für den Moment mit in die weite Welt nehmen. Aber was wissen wir über die Besatzung an Bord? In Hafenkneipen und auf der Reeperbahn findet man heute keine Matrosen mehr. So gibt es auch keinen Kontakt zwischen ihnen und uns Städtern. Wir erfahren nichts von ihrem Leben, ihren Reisen, und sie sehen kaum etwas von unserer Heimat.
Thomas Pritschet, Ulrike Willenbrink und Sonja Praxl haben sich auf die Suche nach ihnen gemacht. Heute trifft man Seeleute am ehesten in der Seemannsmission, zum Beispiel in den DUCKDALBEN im Hamburger Freihafen. Dabei lernten sie Menschen kennen, die ganz anders waren, als sie sich Seeleute vorgestellt hatten. Im Mittelpunkt stand dabei die Frage nach dem Talisman, den jeder von zu Hause mitnimmt, um auf der Reise ein Stück Heimat, Familie oder Glauben bei sich zu tragen. Meist ist die Geschichte dieser Talismane eng mit der ihrer Träger verknüpft. Diese Geschichten erzählen die drei mit kraftvollen Bildern und in den unverfälschten Worten der Seeleute selbst.

Sämtliche Bilder stehen auch zum Verkauf.

www.thomaspritschet.de
www.ulrike-willenbrink.de
www.sonjapraxl.de

Quartier 19, September–November 2012 , Rubrik:    
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