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Wortspieler

Zwiebelfisch-Autor Bastian Sick offenbart im Gespräch das Geheimnis seines Erfolges, prophezeit den Niedergang der Fernsehkultur und outet sich als Liebhaber des deutschen Schlagers.

Liebt das Wasser und lässt sich von der HafenCity inspirieren: Bastian Sick auf seinem Balkon vor dem Traditionsschiffhafen

„Als ich das erste Mal von der HafenCity gehört habe, wusste ich: Da will ich hin“, sagt Bastian Sick. Seine Augen leuchten. Wir sitzen auf dem sonnigen Balkon im dritten Stock der Harbour Hall, einem der quaderförmigen Neubauten am Sandtorkai. Links blickt man auf den Traditionsschiffhafen, rechts auf die roten Klinker des Speicherblocks M. Im Juli 2009 erfüllte sich der Bestsellerautor seinen Traum und zog mit Büro und Assistentin hierher.
Sicks Aufstieg als Autor lässt sich genau datieren: Am 22. Mai 2003 erschien auf SPIEGEL ONLINE seine erste Zwiebelfisch-Kolumne. „Zwiebelfisch“ ist ein Ausdruck aus der Setzersprache. Er bezeichnet einen in falscher Schrifttype gesetzten Buchstaben. Sick, der 1995 als Dokumentationsjournalist beim Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL begann und 1999 als Schlussredakteur zu SPIEGEL ONLINE wechselte, hat den Begriff auf Grammatikfehler und andere sprachliche Schludrigkeiten übertragen. Diese spießt er in seinen Zwiebelfisch-Kolumnen auf. Die ersten 50 erschienen im Herbst 2004 als Taschenbuch unter dem Titel „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“. Innerhalb weniger Wochen eroberte der kurzweilige Appell für besseres Deutsch die Bestsellerlisten. Es folgten drei weitere „Dativ“-Bände, daneben mehrere Bilderbücher mit kuriosen Sprach-Fundstücken und zuletzt ein Quizbuch. Bis heute hat der Verfechter des Hochdeutschen mehr als vier Millionen Bücher verkauft. Hinzu kommen Bühnenprogramme, bei denen Sick Sprachverwirrungen live aufs Korn nimmt. Viele Lacher erntet der 47-Jährige beispielsweise, wenn er dem Publikum von seinem Morgenritual erzählt: Zum Munterwerden trinkt er keinen Kaffee, sondern nimmt „Vollwachmittel“ zu sich. Dazu erscheint hinter ihm auf der Leinwand das Foto eines falsch bedruckten Schildes aus einem EDEKA-Markt.

Von einer Lesung ist seine aktuelle Show „Nur aus Jux und Tolleranz“ – eines seiner typischen Wortspiele – weit entfernt. Bei seinem Auftritt im St.-Pauli-Theater streut Sick Tanzschritte ein, plaudert mit Handpuppe Regina und singt zu Schlagermelodien vor einer glitzernden Discokugel. Sick fühlt sich wohl auf der Bühne. Konnte er sich diesen Werdegang vorstellen, als er während seines Studiums anfing, als Korrektor für Verlage zu jobben? „Nein, aber als Kind habe ich es geliebt, Lehrer zu spielen. Wissensvermittlung war für mich immer etwas Schönes.“ Ein Erfolgsfaktor ist Sicks Showtalent auf jeden Fall. Doch was ist im Kern ausschlaggebend dafür, dass der Autor mit seinen Büchern zum Millionär geworden ist und seine Texte in Niedersachsen für das Zentralabitur auf dem Lehrplan stehen? Sick überlegt. Seine Begeisterung für das Thema Sprache und deren Strukturen sei sicherlich ein Grund. „Bei allem, was ich tue, bin ich von Leidenschaft erfüllt. Sonst könnte ich es gar nicht machen.“ Trotzdem: Warum fällt man ins Koma, wenn Linguisten den korrekten Gebrauch des Genitivs erklären? Sicks Texte jedoch liest man – sogar bis zum Ende. Weil er unterhält, zuspitzt und amüsiert. Zum einen arbeitet er mit Mitteln der Dramaturgie. Er hat eine Reihe fiktiver Figuren eingeführt und damit Wiedererkennungseffekte geschaffen: Es gibt den Freund Henry, der sprachliche Fehltritte unnachsichtig kommentiert – gewissermaßen Sicks Alter Ego. Die Nachbarin Frau Jackmann, die auf Kriegsfuß steht mit Fremdwörtern und Sicks Bemühungen um die deutsche Sprache für „Syphilisarbeit“ hält. Oder seine lebenskluge Freundin Sibylle, die Redewendungen verdreht, und jedem rät, der zu bescheiden ist, sein Licht nicht unter „den Schemel“ zu stellen.

„Ich bin von Leidenschaft erfüllt, bei allem, was ich tue, sonst könnte ich es nicht machen. Ich muss mit Begeisterung dabei sein. Und ich verbiege mich auch nicht. Ich stehe zu dem, was ich denke und was ich glaube.“

Zum anderen ist Sick nicht „hochprozentig wissenschaftlich“, wie er es formuliert, was ihm auch einige Kritik einbringt. Sein Ziel ist eben nicht die größtmögliche Akribie. Er sichert sich natürlich ab, schlägt im Duden nach und macht eigene Recherchen. Aber „ich habe keine Langzeitforschungen betrieben und mich zehn Jahre in irgendeiner Dialektregion eingeigelt und die Leute abgehört und alles in Lautschrift aufgeschrieben“. Der Autor greift auf vorhandene Forschung zurück. Dabei vereinfacht er vieles, um es überhaupt im Rahmen einer Kolumne darstellen zu können. Fazit: Sick hat Sprachfragen massenkompatibel gemacht. Ganz im Gegensatz übrigens zu seinem Vorgänger auf dem Heiligen Stuhl der Sprache, dem langjährigen Leiter der Henri-Nannen-Schule für Journalisten, Wolf Schneider, dem immer etwas Elitäres anhaftet.
Sick ist es gelungen, sich seine eigene Nische zu schaffen, ein einzigartiges Berufsbild, das man vielleicht am ehesten mit der Bezeichnung „Sprachkabarettist“ trifft. Er selbst sieht sich als Journalist und Ratgeber. Vorsichtig ergänzt er: „Vielleicht habe ich mich inzwischen tatsächlich zum Sprachexperten nach oben gearbeitet.“ Stellt er hier nicht selbst sein Licht unter „den Schemel“? Aber die Sprache ist keinesfalls Sicks einzige Leidenschaft. Eine andere Passion fällt sofort ins Auge, wenn man sein Büro am Sandtorkai betritt. Auf den Fotos, die die Wände zieren, sieht man ihn immer wieder strahlend im Smoking, mal neben Udo Jürgens, mal neben Mireille Mathieu oder Marianne Rosenberg. Offensichtlich liebt Sick den deutschen Schlager. 2007 hat er sogar eine Udo-Jürgens-CD zusammengestellt mit weniger bekannten Stücken des Sängers. Was einen guten Schlager ausmache: „In drei Minuten eine berührende Geschichte zu erzählen, und das mit einer Melodie, die sich im besten Fall so einprägt, dass man sie nie wieder vergisst, ist nicht bloß Unterhaltung, sondern eine Kunstform.“ Heutige Popstücke hätten leider nur noch selten Ohrwurm-Charakter. „Wer bitte könnte ‚Satellite‘ von Lena Meyer-Landrut nachsingen?“, fragt Sick und stimmt auch gleich – wie zum Beweis – „Ein bisschen Frieden“ von Nicole an. Jedes Jahr feiert Sick mit seinen Freunden eine Grand-Prix-Party in der HafenCity. In seinem Wohnbüro, und dieser Ausdruck trifft es: Es gibt eine Küchenzeile, eine Dusche, ein Badezimmer mit Wanne (und Quietscheentchen) sowie ausklappbare Schlafsofas. Auf 116 Quadratmetern können Gäste übernachten und Praktikanten arbeiten. Einige seiner sieben Neffen und Nichten haben ihm hier schon bei der Recherche geholfen. Überhaupt bemüht sich Sick, der selbst keine Kinder hat, seine Familie zu versorgen. Er investiert in Immobilien, die er auch an seine Neffen vermietet. Von seinen ersten Buchtantiemen hat er sich in Uhlenhorst seine eigene Wohnung gekauft. Zum Arbeiten zieht er die quirlige HafenCity vor. Was ihn am meisten an dem neuen Stadtteil fasziniert? „Erstens das Wasser, zweitens das Wasser und drittens das Wasser.“ Auch einige der Gebäude finde er schön bis atemberaubend. Das neue SPIEGEL-Gebäude an der Ericusspitze mit seinem Lichthof und den brückenartigen Galerien sei „großartig“, sagt Sick, der seine Zwiebelfisch-Kolumnen seit 2009 als freier Autor für SPIEGEL ONLINE schreibt. „Das ist gelungene moderne Architektur.“

Der „stolze Hanseat“, wie Sick sich selbst nennt, hat in Hamburg Romanistik und Geschichtswissenschaft studiert. Der Sprachkritiker findet es wunderbar, dass bei der Benennung von Plätzen und Gebäuden in der HafenCity „die großen Entdecker gewürdigt werden: Vasco da Gama, Ferdinand Magellan oder Marco Polo“. Erst nach den überseeischen Entdeckungen sei „Hamburg zu wirklicher Größe aufgestiegen“. Zuvor, in der Hochzeit der Hanse sei die Elbstadt nichts weiter gewesen als der „Nordseehafen Lübecks“, sagt der gebürtige Lübecker.
Aufgewachsen ist er im ostholsteinischen Ratekau, zehn Kilometer von Lübeck entfernt. Schon während seiner Schulzeit hat Sick sich fürs Schreiben begeistert, verfasste Abenteuergeschichten und Theaterstücke. Zur Schule ging er immer gern und hatte gute Noten. Sollte man auch erwarten bei einem, der heute in den Medien als „Deutschlehrer der Nation“ oder gar „Sprachpapst“ gehandelt wird. Wichtig ist ihm, zu betonen, dass es ihm in seiner Sprachkritik nicht darum gehe, bildungsferne Schichten zu verspotten. Sein Angriffsziel sei die Sprache im öffentlichen Raum. Zum Beispiel die aktuelle Werbekampagne des Multimilliardenkonzerns Unilever. Da wird für sehr viel Geld ein „Axe Effekt für’s Haar“ beworben – mit überflüssigem Apostroph. Offensichtlich seien die Verantwortlichen unfähig, ins Wörterbuch zu sehen. Solche Rechtschreibfehler seien Ausdruck mangelnder Professionalität. Was plant er als Nächstes? Mit Reinhold Beckmann habe er eine Fernsehshow konzipiert, die derzeit allerdings beim NDR auf Eis liege. Auf unterhaltsame Weise Bildung zu vermitteln, finde im heutigen Fernsehen so gut wie gar nicht mehr statt, bedauert Sick. In den Intendanzen glaube niemand mehr ans Bildungsfernsehen. Der von ihm befürchtete Niedergang der Fernsehkultur ist ein Thema, über das sich Sick mit großer Leidenschaft ereifern kann. Die Medienmacher, die nur noch auf die Quote blickten und immer dümmlichere Formate entwickelten, um bloß niemanden zu überfordern, und sich dabei an den Zuschauern mit dem geringsten Bildungsniveau orientierten, seien „die eigentlichen Vergewaltiger unserer Kultur“. In den nächsten Monaten wird Sick sich zurückziehen und am fünften Band der „Dativ“-Reihe arbeiten. Er soll im Frühling 2013 erscheinen, passend zum zehnten Jubiläum der Zwiebelfisch-Kolumne.

Kurzweiliges zur Sprache


Wie gut ist Ihr Deutsch? (2011)
Bastian Sick strapaziert mit seinem Deutschtest a) Ihr Zwergfell b) Ihr Zwerchfell c) Ihr Zwärchfell d) Ihr Zwärgfell?

230 Seiten, KiWi, 9,99 EUR
ISBN 978-3-462-04365-5



Hier ist Spass gratiniert (2010)
Ein Bilderbuch aus dem Schilder- und Anzeigendschungel. Mit „fleischigen
Lieschen“ für den „Strebergarten“ usw.

192 Seiten, KiWi, 12,95 EUR
ISBN: 978-3-462-04223-8



Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod Folge 4. (2009)

Der Irrgarten der deutschen Sprache: Lautet der Plural von Uhu Uhus oder Uhue?

208 Seiten, KiWi, 8,99 EUR
ISBN: 978-3-462-04164-4

Text: Bettina Mertl-Eversmeier, Fotos: Jonas Wölk
Quartier 19, September–November 2012 , Rubrik:    
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