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Gekaperte Legende

Vor 30 Jahren gelang es Dieter Grohs, das Störtebeker-Denkmal in den Freihafen zu holen. Der Wahlhamburger mit einem Faible für die Originale der Stadt stieß dabei auch auf Widerstand.

„Störtebeker könnte heute wohl kaum politisch anders denken als ein Grüner. Ob das den Hamburger Architekten Dieter Grohs beflügelt hat, als er die Idee für das Denkmal hatte?“, fragt sich Hafenbaudirektor Heinz Julius Rieper, Leiter der Abteilung „Zentrale Aufgaben“ beim Amt für Strom- und Hafenbau. Weiter schreibt er in dem Rundbrief an die Mitarbeiter vom 2. August 1982: „Wir haben ihn nicht gewollt, nicht bestellt, nicht bezahlt, den Bronzemann.“ Was war da los gewesen?
Rückblende: 1. August 1982. An der Magdeburger Brücke,
direkt an der Einmündung Brooktor, strömt eine Menschenmenge zusammen. Früher befand sich hier eine unwirtliche, sumpfige Insellandschaft, der Grasbrook, mit dem Richtplatz der Stadt. Dort verlor Klaus Störtebeker 1400 seinen Kopf. Doch an diesem Sonntag im Sommer feiern die geladenen Gäste und Neugierigen. Nach musikalischer Einstimmung durch eine
Pankoken-Kapelle enthüllt Karl-Ludwig Mönkemeier, damaliger Hafendirektor, das 200 Kilo schwere Bronzestandbild des sagen-umwobenen Seeräubers. Mönki, wie ihn die Hamburger liebevoll nennen, pflegt offensichtlich ein entspanntes Verhältnis zum legendären Piraten – im Gegensatz zu seinem Beamtenkollegen bei Strom- und Hafenbau, der jedoch nicht allein stand.
„Mit so viel Widerstand habe ich nicht gerechnet“, erinnert sich Dieter Grohs. „Aber das hat mich nur angespornt.“ Auch der damalige Vorstandsvorsitzende der HHLA Helmuth Kern stellte sich gegen das Denkmal. Ebenso der Vorstand der Springer-Verlags AG Peter Tamm. Letzteres dürfte den aufmerksamen Zeitungsleser nicht überraschen: Nach Angaben des Hamburger Abendblatts ist Tamm nämlich Nachfahre eines Störtebeker-Jägers. Und dann gab es da noch jenen älteren Rechtsanwalt, der drohte, Grohs vor Gericht zu bringen, wenn er „diesem Banditen“ ein Denkmal setze. Da könne man ja gleich Hitler in Bronze gießen. Nach so vielen Jahrhunderten kochten die Emotionen erstaunlich hoch.
Und das bei einem Mann, über den nur wenige gesicherte historische Erkenntnisse existieren. Weder seine soziale Herkunft noch sein richtiger Name sind bekannt. „Störtebeker“ war nur ein Spitzname, weil er so gern „den Becher stürzte“. Der Vitalienbruder soll den Krug Met bevorzugt auf Ex gelehrt haben. Literangaben variieren in den Quellen – selbst um seine Trinkfestigkeit ranken sich Legenden.
Fest steht, Störtebeker war kein Chorknabe. Einfache Seeleute, die ihm und seinen Männern in die Hände fielen und kein Lösegeld versprachen, gingen in der Regel über Bord. Dem Mythos vom Sozialrebellen konnten solche Einwände wenig anhaben. Störtebeker und seine „Likedeeler“, also Gleichteiler, die ihre Beute untereinander gerecht aufteilten, machte die Volkssage zu aufrechten Burschen, die den Armen Gutes taten und die Pfeffersäcke in ihre Schranken wiesen.

Trotzdem unterstützten Hamburger Geschäftsleute Grohs bei seinem Unterfangen, den Feind der Hanse zu verewigen. Selbst bei Strom- und Hafenbau waren nicht alle gegen das Denkmal. Eine Abteilung vermittelte sogar den Findling, auf dem der metallene Haudegen noch heute steht. Die Inschrift „Gottes Freund und aller Welt Feind“ fanden die Zuständigen des Amts allerdings zu glorifizierend. Ein Jahr nach der feierlichen Enthüllung schickte Grohs einfach den Steinmetz hin und ließ die Worte ergänzen. „Ich habe gespannt darauf gewartet, ob sie entfernt würden. Aber es geschah nichts.“
Unterstützung für den „Bronzemann“ erhielt der Architekt noch von anderer Seite. Bildzeitung, Mopo und Abendblatt trommelten für seine Initiative. Bild brachte mehrere kurze Artikel, in denen das Blatt berichtete, welche Fortschritte das Denkmal in der Werkstatt des Münchener Bildhauers Hansjörg Wagner machte, vom Entwurf über das Tonmodell bis hin zur fertigen Statue. Die 40.000 DM, die diese am Ende kosten sollte, waren privat finanziert. Grohs selbst gab 4.000 DM dazu, keinen Pfennig hingegen die Stadt. Sie richtete nur ein Spendenkonto ein.
Es war natürlich keineswegs die Sympathie für die Grünen, die den heute 80-Jährigen beflügelt hatte. Den gebürtigen Rheinländer, dem Hamburg auch die bronzene „Zitronenjette“ am Fuße des Michels und das Stahlrelief des „Aalwebers“ in St. Georg verdankt, faszinierte die Verwegenheit des Freibeuters. Der geschichtsbewusste Wahlhamburger wollte, dass die Leute Störtebeker zu Gesicht bekämen, ihn anfassen könnten: „Schließlich wird sein Name bei jeder Hafenrundfahrt erwähnt.“

Text: Bettina Mertl-Eversmeier, Fotos: Heinz-Joachim Hettchen (1), Dieter Grohs Archiv (2)

Quartier 20, Dezember 2012–Februar 2013 , Rubrik:    
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