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Klar Schiff

Die langwierigen und aufwendigen Sanierungsarbeiten an und in der Kirche St. Katharinen sind abgeschlossen. Rechtzeitig zum 1. Advent öffnet die Kirche wieder ihre Pforten.

Jemand bringt Farbe auf die Wand. Ein anderer Handwerker kniet auf dem Ziegelboden und verlegt an einem der Pfeiler Kabel. Über allem schwebt in luftiger Höhe ein gotisches Kreuzrippengewölbe. Es ist wie das Mauerwerk in frischem Weiß getüncht und lässt den Raum im Licht baden. Die Kirchenfenster leuchten, an der Decke schimmern wie Vorboten goldene Sternornamente. Lange wird es nicht mehr dauern. Bis zum ersten Adventssonntag soll ein Großteil der Sanierungsarbeiten in der Hauptkirche St. Katharinen abgeschlossen sein. Dann öffnet die über 750 Jahre alte Kirche in einem großen Festakt wieder ihre Türen für Gottesdienste und kulturelle Veranstaltungen. Die Pröpstin und Hauptpastorin Ulrike Murmann hofft, dass nach über einem Jahr Schließung auch die Gemeindemitglieder ihre Kirche wieder annehmen werden. Kollegen, die Erfahrungen mit ähnlich langwierigen Sanierungen gemacht haben, sagen: „Ihr werdet auch ein Stück von vorne anfangen müssen.“
Es wäre nicht das erste Mal für St. Katharinen. Den wohl schwierigsten Neustart hatte sie nach dem Zweiten Weltkrieg vor sich. Die Kirche war nach dem Luftangriff in der Nacht vom 29. auf den 30. Juli 1943 derart zerbombt, dass ihr zeitweise der Abriss drohte. Da mit dem Schwund der Wohnbevölkerung in der Hamburger Innenstadt auch die Gemeinden schrumpften, konnten nicht alle Hauptkirchen wieder aufgebaut werden. Der Senat gab schließlich die benachbarte St. Nikolai als Kirchenbau auf. Ihre Gemeinde bekam 1962 am Klosterstern ein neues Gotteshaus. Bis 1956 rekonstruierte man das Äußere von St. Katharinen.

Die Mittel waren damals spärlich, sodass nachhaltige Baumaßnahmen nicht möglich waren. Für die Substanz der Kirche hatte das Jahrzehnte später Folgen. Weil der Sandstein zerbröselte, das Mauerwerk riss und Strebepfeiler verrotteten, war eine Sanierung für den Erhalt des Gebäudes zwingend. Insgesamt fließen 23 Millionen Euro in das Bauwerk, wobei noch 3,5 Millionen zur Fertigstellung fehlen. Neben dem Bund, der Stadt Hamburg sowie dem Kirchenkreis engagierten sich auch bürgerliche Stiftungen und Privatleute. Gespendet haben laut Ulrike Murmann auch Menschen, die aus den unterschiedlichsten Gründen aus der Kirche ausgetreten waren. Viele fühlten sich verpflichtet, die Katharinenkirche als Kulturgut und Baudenkmal für Hamburg zu erhalten.
Wahrlich ist St. Katharinen eng mit der Geschichte der Hansestadt und ihres Hafens verflochten. Als Hamburg sich Mitte des 13. Jahrhunderts zur Elbe hin orientierte und durch Eindeichung der Elbinseln neues Land gewann, bauten die neuen Bewohner – Bierbrauer und Schiffsbauer – hier ihre Kirche. Noch heute findet sich an der Westwand des Kirchturmes das älteste aufrecht stehende Mauerwerk der Stadt. Über die Bau-epochen der vielen Jahrhunderte hinweg wuchs und wandelte sich die Kirche mehrfach. Die charakteristische Turmhaube, die im Zusammenklang mit den anderen Türmen der Innenstadtkirchen Hamburgs Stadtsilhouette so unvergleichlich macht, baute 1657 Thomas Marquard. Bei der Gestaltung der barocken Turmfassade in den Jahren 1732 bis 1736 war der Baumeister Nikolaus Kuhn federführend. Heute gehört der jüngste Stadtteil HafenCity zum Gemeindegebiet von St. Katharinen. Das Gemeindeleben, so die Hauptpastorin, zeichnet sich durch die Verbindung von Neuem und Altem, Vergangenheit und Gegenwart sowie Tradition und Moderne aus. „Wir wollen mit der Sanierung des Gebäudes Hamburgs Wurzeln an diesem Ort markieren. Dabei bleiben wir nicht bei uns, sondern wollen von hier aus den neuen Stadtteil mitentwickeln.“

Das Kirchenschiff kann nach dem Abriss der Winterkirche erstmals in seiner ganzen Größe wahrgenommen werden.

Ulrike Murmann sieht die Kirche grundsätzlich nicht als „Closed Shop“, als Institution, die sich selbst genügen darf. Da in einer Stadt wie Hamburg über 50 Prozent der Bewohner keiner kirchlichen Konfession angehörten, müsse die Kirche ihre Themen mit denen der Stadt verweben. „Das geht nur, wenn man sich einbringt, sich einmischt und sich den Spiegel vorhalten lässt. Das Schöne ist, dass dann in der Auseinandersetzung mit anderen eigene Themen und Werte wieder auftauchen. Nicht unbedingt im christlichen, sondern eher im humanistischen Gewand.“
Abgesehen von den klassischen Sonntagmorgengottesdiensten versucht St. Katharinen daher, ihr Programm zusammen mit anderen Kulturschaffenden zu gestalten. Mit dem „Flexiblen Flimmern“ kommt das Kino in die Kirche, mit dem Thalia-Theater das Schauspiel. Auch für Vortragsreihen, Ausstellungen und Konzerte bietet der Innenraum der Kirche eine stimmungsvolle und gut nutzbare Bühne. Somit hat die Kirche nach der Zerstörung der Inneneinrichtung während des Zweiten Weltkrieges das Beste aus ihrem Schicksal gemacht. Zwar finden hier Besucher weniger mittelalterliche oder barocke Kunstwerke als in anderen Hamburger Kirchen, dafür konnte St. Katharinen ihren Innenraum seitdem vielseitiger nutzen. Nach der Sanierung wird sich das gotische Kirchenschiff noch unverstellter zeigen und damit mehr in seiner Gesamtheit wahrnehmbar sein. Sichtachsen zu den jüngeren Schätzen von Katharinen, wie das in den 1950er Jahren von Hans Gottfried von Stockhausen gestaltete Kirchenfenster, werden freigestellt. Die Winterkirche ist bereits abgebaut. Für besondere Veranstaltungen werden in Zukunft auch die schweren Eichenholzkirchenbänke aus dem Mittelschiff ausgeräumt werden können. „Ich finde es großartig, dass wir den Raum jetzt noch flexibler bespielen können“, freut sich Ulrike Murmann.

Offenheit findet sich bei St. Katharinen nicht nur in den Räumlichkeiten, auch gegenüber Experimenten zeigte sie sich aufgeschlossen. In einer Nacht wurde das alte Gemäuer in buntes Neonlicht getaucht: Katharinen-Christen trafen hier auf Techno-Fans. Idee war, die verwandten musikalischen Strukturen von Gregorianik und Techno zusammen zum Tönen zu bringen.
In der Stadt ist Katharinen noch mehr für Klassisches bekannt. Die Kirche füllt sich zu Gottesdiensten dann besonders, wenn ihre Kantorei die Liturgien begleitet. Was ihren hohen Rang in der Hamburger Kirchenmusik noch verstärken wird, ist der Wiederaufbau der barocken Katharinen-Orgel. So wie andere Schätze der Hauptkirche ist auch sie in der besagten Bombennacht zerstört worden. Auf dem Ziegelboden liegen jetzt schon die blanken Orgelpfeifen zum Einbau bereit. Insgesamt sind es 520, die mit den originalgetreu geschreinerten Engeln, Säulen und Ornamenten der Orgel ein zweites Leben einhauchen werden. Ihren Ruhm verdankt das Instrument Johann Sebastian Bach, der nachweislich von seinem Klang tief beeindruckt war.
Auch in der Auseinandersetzung mit dem Glauben spielte und spielt die Hauptkirche noch immer eine zentrale Rolle. Hier konnten Hamburger 1521 die erste evangelisch-lutherische Predigt hören. St. Katharinen ist zudem seit 1950 Universitätskirche. Studierende und Lehrende suchen und erproben hier neue Gottesdienstformen. In diesem Rahmen entstand zum Beispiel auch das Ritual vom Durchfeiern der Osternacht, das bei Katharinen bis heute Tradition hat.

Solche frischen Ideen locken Christen aus der ganzen Stadt in das alte Gemäuer am Zollkanal. Sie kommen, „weil sie den Raum mögen, die Musik, den Prediger und auch diesen Ort“, erklärt Ulrike Murmann. Dabei war die Kirche vor der Entwicklung der HafenCity alles andere als von ihrer Lage begünstigt. Mit dem Bau der Speicherstadt und der Errichtung der Freihafenzollgrenze war die Hafenkirche an den Rand der Stadt gedrängt. Da die etwa 16.000 Bewohner der Brookinseln nach Hammerbrook, Rothenburgsort oder in andere Innenstadtbezirke umsiedeln mussten, verlor sie zudem einen Großteil ihrer Ortsgemeinde. Diese periphere Situation verschärfte sich in der Nachkriegszeit, als der Bau der Ost-West-Straße
St. Katharinen auch noch von der Innenstadt abschnitt. Mit der HafenCity gewinnt sie ein Stück ihres alten Gemeindegebietes zurück. Von Anfang an hat sie als geistliches Zentrum die Entwicklung des neuen Stadtteils begleitet. Die erste Schule sowie die Kindertagesstätte im Quartier, die sie mitbegründet hat, tragen den Namen ihrer Patronin Katharina.
Dass die Katharinenkirche ins Zentrum gerückt ist, merken die Pröpstin und ihr Pfarrteam an den Besucherströmen, die sich vom Rathausmarkt in Richtung HafenCity bewegen. „Die stehen vor der Tür und wollen hier rein!“, so Murmann. Lange müssen sie nicht mehr warten. Wenn sie ihre Türen wieder öffnet, können sich Besucher direkt bei den Kirchenhütern über St. Katharinen informieren. Überrascht war das Pfarrteam über die zahlreichen Anmeldungen für diese ehrenamtliche Tätigkeit. Nach einem Aufruf der Gemeinde hatten sich nach kurzer Zeit 60 Personen vormerken lassen. Wenn das kein guter Anfang ist.

TERMINE

Festgottesdienst zur Wiedereröffnung
mit Bischöfin Kirsten Fehrs, Hamburgs Erstem Bürgermeister Olaf Scholz, dem Pfarrteam und der Kantorei St. Katharinen. Nach dem Gottesdienst besteht die Gelegenheit, sich mit einer Suppe zu stärken und auf dem anschließenden Empfang
Interessantes über die Sanierung zu erfahren.
So, 2. Dezember, 12 Uhr

Die Adventsnacht in St. Katharinen
Konzerte, Lichtzauber und Poetry mit Christine Rauh (Cello), Alexander Raytchev (Piano und Synthesizer), Rapper Mahrano und Katrin Bethge (Projektionen) und Marion Gretchen Schmitz (Schauspielerin); künstlerische und liturgische Leitung: Pastor Frank Engelbrecht, Markus Riemann (Klub.K), Wolfgang Stockmann (Die Kulturfirma); Eintritt: 10 Euro.
Sa, 8. Dezember, 20–24 Uhr

Das Weihnachtsoratorium
Das Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach in voller Länge mit der Kantorei und dem Kantatenorchester St. Katharinen unter der Leitung von Andreas Fischer. In der Pause wird ein Imbiss gereicht. Eintritt: 8–36 Euro.
Sa, 15. Dezember, 17 Uhr Teil I–III und 19:30 Uhr Teil IV–VI

Musik in der Silvesternacht
Joseph Haydn: Missa in Honorem Beatissimae Mariae (Große Orgelsolo-Messe) mit der Kantorei und dem Kantatenorchester St. Katharinen unter der Leitung von Andreas Fischer;
Ansprache: Hauptpastorin und Pröpstin Dr. Ulrike Murmann.
Mo, 31. Dezember, 23 Uhr

Lausch Lounge in St. Katharinen
Eine Mischung aus etablierten Musikern und dem Pop-Nachwuchs des Nordens, die eines gemeinsam haben: Sie schreiben ihre eigenen, vorzugsweise deutschen Texte und komponieren ihre Lieder selbst. Moderation: Michy Reincke; Eintritt: 16 Euro.
Sa, 26. Januar, 20 Uhr; Einlass: ab 19 Uhr

 

Text: Ljubica Heinsen, Fotos: Thomas Hampel
Quartier 20, Dezember 2012–Februar 2013 , Rubrik:    
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