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Vom Wollen und Können

Vor über 20 Jahren wurden die Planungsgrundlagen für das Hanseatic Trade Center an der Kehrwiederspitze gelegt. Zeit für einige Sentimentalitäten mit der Erkenntnis,
dass Baugeschichte sich im Detail doch wiederholt.

Das Hanseatic Trade Center bildet heute das westliche Entree zur HafenCity.

Manchmal sagt auch ein Buchtitel nicht die Wahrheit: Die HafenCity hat in diesen Wochen eine 200-seitige, erste umfassende Dokumentation unter dem Titel „HafenCity – das erste Jahrzehnt“ herausgegeben; ein opulenter Foto- und Textband, der in vielen Teilen dem heute alles bestimmenden Just-in-time-Geschäft huldigt, und lebendige, umtriebige Quartiere schon bei Eröffnung nachweisen will. Und tatsächlich scheint die HafenCity solchen Erwartungen gerecht zu werden – auch, wenn das eine oder andere Stottern im urbanen Motor wie im Überseequartier zu registrieren ist. Schon beginnt eine omnipotente, bisweilen polarisierende Würdigung der Architektur der HafenCity – und so kommt der Chronist ins Grübeln, weil ihm das bekannt und verfrüht vorkommt.
1997 stand im Hamburger Architekturjahrbuch, viele bisherige Kritiker bedauerten mangelnden Wagemut bei der Architektur. Es passe aber „gerade an dieser Stelle besser zu Hamburg, mit seinen Möglichkeiten zu leben, als internationale architektonische Absichtserklärungen zu suchen“. Gemeint war das Hanseatic Trade Center (HTC), die als Erweiterung der Speicherstadt in Richtung Kehrwiederspitze gedacht wurde. Diese ist wohl der allererste Neubauabschnitt der HafenCity. Es gab also vor dem „Ersten Jahrzehnt“ ein Warm-up, eine diskrete Undercover-Probephase, so wie man heute das neue Musical „Rocky“ auch vorab einem ausgesuchten Probepublikum zeigt, um grobe Fehler vor der Premiere noch zu korrigieren.

„Was ist schon Wagemut? Ich weiß es nicht. Aber ich will an dieser Stelle gar nicht wagemutig sein, sondern ein Haus, das auf den Ort zugeschnitten ist.“

Das Hanseatic Trade Center sollte in verschiedenen Phasen realisiert werden. Die erste Phase am Sandtorkai wirkt ein wenig verlegen und ein bisschen Backstein-trivial, weil die östlich angrenzende Reihe der ersten Stadthäuser in der HafenCity ihnen heute sichtbar den Schneid abkauft, auch wenn sie von amerikanischen Superstars (Kohn Pedersen Fox) stammt. Gert Kähler schrieb 1991 in seiner Kritik „Land unter“, dass die Ergebnisse der Wettbewerbe erstaunlich enttäuschend seien und das langwierige Verfahren kaum gerechtfertigt sei. Die offenbar qualvolle Planungsgeschichte begann in den frühen 1980er Jahren. Hamburg hatte mit Egbert Kossak einen neuen Oberbaudirektor, der erstaunlich viel Gas gab. Er erfand das Format der „Bauforen“, wohin er die internationale Architek-tenelite zum Stegreif-Entwurf einfliegen ließ, die wiederum das „Backsteinröschen“, genannt Hamburg, wachküssen sollte. Und so saßen dann damals Jungarchitekten wie der heute noch im Katharinenviertel praktizierende Rüdiger Brinkmann mit Stars wie Zaha Hadid zusammen. Brinkmann zählte zu jenen Hamburgern, die im Studium bei den Großen in der ganzen Welt gelernt hatten, begrüßte die Öffnung des Binnenmarktes und hoffte auf internationale Architektur an der Elbe. Kossaks gute Idee traf aber bei vielen anderen Hamburger (Backstein-)Baumeistern auf wenig Resonanz. Hamburger sollten Hamburg bauen, hieß es in der gut aufgestellten hanseatischen Architektenszene.
Doch Kossak bat bald konkret zum Wettbewerb, als es um die Kehrwiederspitze ging. Die angrenzende Speicherstadt galt in den 1980er Jahren noch als so sakrosankt, dass ihr, so der Oberbaudirektor, „keine neuen Nutzungen zugeführt werden sollten, solange die jetzigen Nutzungen als Speicher exis-tieren“. Die benachbarten Flächen sollten im entsprechenden Maßstab ergänzt werden. Doch wer dann die Ergebnisse des Wettbewerbs zum Ende der 1980er Jahre sah, rieb sich die Augen: Architekturzoo, Rummelplatz, Versuchslabor? Ein wilder Ideenhaufen war ausgeschüttet worden. Den ursprünglichen
Masterplanwettbewerb hatte man als typisch Hamburger Kompromiss einem kaum handlungsfähigen Team aus den Hanseaten Kleffel und Köhnholdt sowie dem schon damals als unberechenbar geltenden Römer Massimiliano Fuksas zugeschlagen. Aber in diesem Fall hatte er ein Motiv erfunden, das inzwischen anderweitig Karriere gemacht hat: tanzende Türme. Damals riet das Jahrbuch im Scherz, einfach die Entwürfe diagonal aufzuteilen. Irgendwie ist diese Unentschiedenheit den späteren Bauten anzumerken. Auch deswegen, weil noch das Element eines Entwurfes von Gerkan Marg und Partner (gmp) eingefügt wurde: Mit diesem Abschnitt wurde das Ensemble der Speicherstadt mit vier großen verglasten Atrien zum Binnenhafen hin schlicht verlängert. „Der Baukörper“, kommentierte gmp, „nimmt die angrenzenden Höhen der alten Speicherstadt sowie der benachbarten Neubauten auf. Die Außenwände sind als klassische Mauerwerksfassaden in der Ziegelfarbe der Speicherstadt ausgebildet, rhythmisiert durch unterschiedliche Fenstergrößen.“ Genauso ließe sich der Germanische Lloyd am Brooktorkai beschreiben.

Das Hanseatic Trade Center: Was im Zusammenspiel mit der Kulisse des kleinteiligen traditionellen Niederhafens großstädtische Atmosphäre ausstrahlt, wurde nach seiner Fertigstellung vom überwiegenden Teil der Fachwelt als trivial abgetan.

Schon damals ließ sich mit Bedauern feststellen, dass die anderen Wettbewerbsvorschläge für immer in der Asservatenkammer der Baubehörde verschwinden würden: ein „Tintenfisch“ von Thomas Leeser aus New York oder „U-Bootrümpfe“ von William Alsop aus London. Alsop hatte einen Bauteil entworfen, der schwingend und bauchig an der Stelle hätte stehen können, wo jetzt ein recht fader Hochhausrundling so aussieht, als sei er nur als Sockel für eine Antenne gebaut. Ja, es war wohl richtig, wenn es damals im Jahrbuch hieß, man müsse begreifen, „dass auf den Bauforen gesponnen werden durfte, gebaut aber unter Aufsicht und mit dem Geld der Investoren wird“. Später erklärte Bernd Gundermann, einer der Architekten der Kehrwiederspitze: „Was ist schon Wagemut? Ich weiß es nicht. Aber ich will an dieser Stelle gar nicht wagemutig sein, sondern ein Haus, das auf den Ort zugeschnitten ist.“ In der Fachwelt heißt das „situative Architektur“ und wird merkwürdigerweise inzwischen als Nachfolger der Signature Architecture wie die der Elbphilharmonie gefeiert.
Heute, knapp zwei Jahrzehnte später, bleibt die Erkenntnis: In Hamburg lädt man gern Architekten ein, aber am Ende gewinnt der Backstein. Und was wäre denn gewesen, wenn die Kehrwiederspitze der damaligen Forderung nach einer Strahlkraft wie die der New Yorker Freiheitsstatue gerecht geworden wäre, was, wenn Alsops Punk-Gebäude statt des braven Rundlings in den Hamburger Himmel ragen würde? Die Elbphilharmonie wäre überflüssig. Seien wir also gnädig mit der HafenCity-Kritik. Nicht einmal das 20 Jahre alte HTC kann gerecht kritisiert werden, wenn man die Hintergründe kennt. Wie dann die HafenCity, die im Bau ist?

Text: Dirk Meyhöfer, Fotos: Thoams Hampel
Quartier 20, Dezember 2012–Februar 2013 , Rubrik:    
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