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Klassentreffen

Wenn das Festival des Art Directors Clubs im Mai in die HafenCity kommt, wird das Oberhafenquartier für drei Tage zum Ziel für Deutschlands kreative Elite, für junge Talente und für alle, die sich für kreative Ideen begeistern

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Als bekannt wurde, dass das ADC Festival nach Hamburg kommen würde, waren alle glücklich: Olaf Scholz, weil Hamburg sein Profil als Medienmetropole schärfen könnte. Die Hafen-City, weil der Oberhafen ins Spiel kam. Der ADC, weil seine Hamburger Sektion die größte im Club ist. Und die Kreativen, weil sie nicht mehr nach Frankfurt müssen.
Man ist sich einig, dass das Festival das bedeutendste Event der Branche in Deutschland ist. Der goldene Nagel, mit dem dort die besten Arbeiten des Vorjahres ausgezeichnet werden, ist eine begehrte Trophäe. Nur fünf Prozent der Einsendungen, betonte ADC-Präsident Stephan Vogel im Vorfeld, würden damit ausgezeichnet; alle anderen gingen mit leeren Händen nach Hause. Und Preise haben in der Welt der Werber, Produktdesigner und Kommunikationsexperten einen ganz außergewöhnlichen Stellenwert. Sie werden als das zentrale Mittel gehandelt, mit dem sich Agenturen ihren potenziellen Kunden empfehlen. Wer Preise gewinnt, muss gut sein. Kreative, deren Ideen ausgezeichnet wurden, können höhere Honorare verhandeln; für manche Jobs kommen sie überhaupt nur in Betracht, wenn sie ein paar Nägel oder Löwen im Gepäck haben. Preisgekrönte Agenturen locken Talente in die Agenturen und von einer Agentur in die andere. Dabei wird nicht jeder Preis gleich hoch gehandelt. Jeder spielt lieber in der Champions League als im UEFA-Pokal. Der Cannes-Löwe ist nicht der ADC-Nagel, der schwarze D&AD-Stift nicht das goldene Effie-E. Inzwischen gibt es Dutzende von Wettbewerben, vom internationalen Cannes Lions bis zum Deutschen Dialogmarketing Preis. Spätestens jetzt wird es kompliziert. Wie wichtig ist der Best of Business-to-Business Award? Wie wichtig ist Eurobest? LIA? ADC?

Mangel an Ideen

Awards sind teuer. Wettbewerbe erheben Gebühren, sagen wir 200 bis 300 Euro für jedes eingesendete Motiv. Bei zwei Dutzend Kategorien von Print bis Digital kommt da einiges zusammen. Aber die Gebühren sind der kleinste Teil. Dazu kommen Case-Filme, Einführungsfilmchen, die den Juroren die Arbeiten schmackhaft machen, dazu die Entwicklung und die Produktion der Idee. Ab November, Dezember sind in vielen Agenturen ganze Teams nur damit beschäftigt, Award-Beiträge aufzubereiten. Ideen, die bei Festivals wie dem ADC oder in Cannes Gold gewinnen, können 20.000 bis 50.000 Euro kosten. Wer seine Agentur unter den Top Ten der bekannten Kreativ-Rankings sehen möchte, kommt leicht auf 500.000 bis eine Million Euro pro Jahr nur für Wettbewerbe. Ein Titel wie „Kreativagentur des Jahres“ ist aber ein Boomerang, denn wenn Preise der Beweis für kreative Potenz sind, wirken keine Preise impotent. In Zeiten schwindender Werbeetats hat das manche Agentur in eine delikate Lage gebracht: Wollen sie weiterhin ganz oben mitspielen, müssen sie viel Geld in die Hand nehmen; steigen sie aus dem Rennen aus, leidet ihre Reputation: Sie sind einfach nicht mehr gut genug.

Internationale Anzeige für Opel, den größten Kunden von Scholz & Friends in Hamburg (links); die Marco Polo Terrassen aus Sicht einer Mülltonne: Anzeige für die Stadtreinigung Hamburg (Mitte); Todesanzeige für Loriot, ein Ehrenmitglied des Art Directors Club, entworfen für den ADC (rechts), (2)

Einen Ausweg fand Jean-Remy von Matt. Die Freude über das ADC Festival am Oberhafen hatte sich gerade gelegt, da kündigte der Mitbegründer der Hamburger Agentur Jung von Matt im SPIEGEL die Kreativ-Reform 2012 an. Kernpunkt: Jung von Matt wird nur noch in geraden Jahren an Wettbewerben teilnehmen. Warum? Um sich wichtigeren Fragen zuzuwenden. Die frei werdenden Gelder fließen in eine eigene Akademie für den Nachwuchs. Außerdem, so von Matt, gäbe es dringenden Weiterbildungsbedarf im Digital-Bereich, um mit dem rasanten Tempo der Entwicklungen Schritt halten zu können.
Das klang vernünftig. Auch wenn es bedeutete, dass die deutsche Kreativagentur Nummer eins keine Arbeiten zum ADC-Wettbewerb schicken würde. Und auch wenn die Beträge, die durch ein Sabbatjahr eingespart werden, keine Akademie finanzieren können, erst recht eine, die ohne Studiengebühren auskommen will. Weil diese Rechnung nicht aufgeht, stellte am Ende doch jemand die Frage, was eine Akademie zur Nachwuchsförderung überhaupt mit Award-Abstinenz zu tun hat? Zumal Awards ja gerade deshalb so wichtig genommen werden, weil sie junge Kreative beeindrucken. War der wahre Grund der Zurückhaltung vielleicht nicht ein Mangel an Geld, sondern ein Mangel an Ideen? Um weiter die Nummer eins zu bleiben, muss von Matt jedes Jahr im Oktober zwei Dutzend Goldideen auf dem Tisch haben. Dafür braucht er nicht nur Geld, sondern auch Ideengeber, und von denen waren gerade ein paar zur Konkurrenz gegangen; zum Beispiel wechselte Armin Jochum, der für Jung von Matt viele Awards erbeutet hatte, zur Konkurrenz bei Thjnk, Wolf Heumann zu Scholz & Friends. Was auch immer den Anstoß für die Kreativ-Reform 2012 gegeben hatte, es dauerte nicht lange, da folgten andere nach. Bei Scholz & Friends hieß es schon eine Woche später, man wolle eine Denkpause einlegen und eine Award-Auszeit nehmen. Wenig später erteilte auch die Designagentur Strichpunkt für 2013 allen Award-Shows eine Absage. Thjnk wollte nicht ganz aussteigen, sich aber auf ausgewählte Wettbewerbe beschränken. Und auch bei Kolle Rebbe wog man lange das Für und Wider ab, bevor man sich dann doch gegen einen Ausstieg aus dem Wettbewerbsgeschäft entschied. Geschäftsführer Stefan Kolle erklärte, wichtiger sei ihm gewesen, dass die Diskussion angestoßen wurde.

Zombies und Prostituierte

Die Diskussion war tatsächlich in vollem Gange. In einem Gastkommentar im Fachblatt Horizont äußerte sich etwa Johannes Krempl, Gründer der Agentur Glow, zur Initiative von Jung von Matt. „Ausgerechnet einer der größten Doper der Werbegeschichte regt nun eine Ausstiegsdebatte an“, wetterte er. „Hier gibt es keine Grenzen für Awards, auch keine ethischen.“ Was er ansprach, ist ein altes Gebrechen der Branche. Es hat viele Namen. Einer nennt es Zombie-Kreation, ein anderer Gratis-Goldidee-Prostitution, bei Krempl heißt es Doping. Die meisten nennen es einfach Fake. Eine Kampagne, die nur produziert wird, um Gold zu gewinnen. Ein Fake kehrt das Verhältnis von Problem und Lösung um: Wenn zum Beispiel ein Autohändler mit einem Problem eine Agentur beauftragt, damit sie eine Idee entwickelt, ist das echt. Wenn eine Agentur hingegen eine Idee entwickelt und dann einen Autohändler sucht, der ein passendes Problem hat, ist das Fake. Zu den Eigenschaften von Fakes gehört, dass sie noch teurer sind als echte Kampagnen. Denn in der Praxis fragt die Agentur ihren Kunden (gerne auch einen Kunden der Konkurrenz), ob sie in seinem Namen eine Goldidee veröffentlichen darf. Sie liefert die Idee umsonst, die Produktion, und häufig schaltet sie auch die Anzeige auf eigene Kosten. Wenn es dabei nur um Geld und Gold ginge, wäre alles halb so schlimm. Mit Fake-Kampagnen werden aber Preise gewonnen, und Preise sind die Basis für Kreativ-Rankings. Deshalb können die gängigen Rankings nicht mehr die kreative Leistungsfähigkeit von Agenturen abbilden, weil Goldideen eben nicht für echte Lösungen im Tagesgeschäft der Markenkommunikation entwickelt werden. Und es ist ein offenes Geheimnis, dass die meisten Awards an Fake-Kampagnen vergeben werden.

Sehen ohne Drehen durch den Totwinkel-Assistenten von Mercedes Benz (links); ein Motiv der Giro-sucht-Hero-Kampagne für den Deutschen Sparkassen- und Giroverband (Mitte); Mit 0,0 Emissionen und „Für die Umwelt unsichtbar“ wirbt das Mercedes-Modell F-Cell, hier vor der Kulisse der HafenCity (rechts), (3)

Allein, das war schon immer so. Fakes gelten deshalb auch nicht als Ursache, sondern als Auswuchs des eigentlichen Problems, als eine Art gutartiger Tumor. Denn es sind ja trotzdem gute Ideen. Das wahre Übel, heißt es, seien die Wettbewerbe: Es sind einfach zu viele. Und es ist auch noch eine dritte Theorie im Umlauf; Jean-Remy von Matt nannte sie beim Namen. Als eine Journalistin der Zeitschrift Werben & Verkaufen ihm vorhielt, das „Rattenrennen“ um Awards habe er doch selbst jahrelang forciert, erwiderte er trocken: „Nein, das haben Sie forciert, die Fachpresse mit den Kreativ-Rankings.“ Denn wer erstellt die Rankings? Richtig, die Fachpresse, allen voran Horizont, W&V und das Manager Magazin. Und weil die Fachmedien immer mehr Wettbewerbe in ihre Rankings einbeziehen, müssen sich Agenturen an immer mehr Wettbewerben beteiligen, wenn sie in der Tabelle oben bleiben wollen.

Je mehr es werden, desto weniger bedeuten sie

Unabhängig davon, warum Agenturen ihre Beteiligung an Wettbewerben hinterfragen, ob aus Geldnot, Ideenlosigkeit, Berufsethos: Dass sie es tun, scheint ein Zeichen dafür zu sein, dass die Bedeutung von Wettbewerben, Preisen und Ranglisten generell nachgelassen hat. Je mehr es werden, desto weniger bedeuten sie. Diese Award-Inflation ist auch am ADC nicht spurlos vorüber gegangen, genausowenig an den Fachblättern. Horizont und W&V haben inzwischen ihre Kreativ-Rankings überarbeitet. Sie konnten sich zwar nicht auf eine gemeinsame Liste relevanter Wettbewerbe einigen, dafür aber auf deren Anzahl: Künftig stützen sie ihre jährlichen Ranglisten nur noch auf 15 Wettbewerbe. Der ADC will ein eigenes Ranking etablieren, das nur fünf Wettbewerbe berücksichtigt: neben dem ADC selbst die internationalen Cannes Lions, D&AD, London International Awards (LIA) und One Show.
Durch die Abwesenheit von Top-Ten-Agenturen wie Jung von Matt und Scholz & Friends werden zwar Plätze in den Ranglisten frei, aber das ADC Festival wird deshalb nicht gleich zum Pokal der Verlierer. Einerseits sind die Agenturen im nächsten Jahr wieder dabei. Auf der anderen Seite stellt niemand die Bedeutung des ADC ernsthaft infrage. So hat Jean-Remy von Matt den Vorsitz der diesjährigen ADC-Jury übernommen und wiederholt die Bedeutung des Festivals unterstrichen. Außerdem ist es vielleicht ganz vorteilhaft, wenn der Jury-Vorsitz nicht am Wettbewerb teilnimmt. Das gilt nicht nur für den großen ADC-Wettbewerb, sondern auch für den ADC-Nachwuchspreis. Vorsitzender dieser Jury ist Jochen Rädeker: Letztes Jahr noch ADC-Präsident, hat er seiner Agentur Strichpunkt für 2013 Award-Abstinenz verordnet. In einer ähnlichen Doppelrolle befindet sich Dörte Spengler-Ahrens. Als ADC-Sektionsvorstand war sie entscheidend verantwortlich dafür, das Festival an die Elbe zu holen. „Ein Ortswechsel bringt immer neue Impulse“, erklärte sie, „und neue Impulse sind die Triebfeder für Kreativität.“ Als Kreativchefin bei Jung von Matt werden ihre Arbeiten aber dieses Jahr keine Preise erhalten.

Kommunikation ist alles

Man kann nicht sagen, die Debatten um Award-Wahnsinn und Ranking-Diktatur hätten hinter verschlossenen Türen stattgefunden. Es wurde gerne auch öffentlich ausgeteilt. Die Protagonisten der Agenturwelt sind untereinander nicht zimperlich. Es bleibt ja irgendwie in der Familie. Der Ton ändert sich, sobald Gäste zu Besuch sind. Keine Rede mehr von Huren oder Untoten. Stattdessen „Denkpausen“, neue „Taktung im Award-Engagement“. Es wurden Kreative mit Cutting Edge Insight gesucht und Toplevel Keynote Speaker eingeladen, etwa ein Director of Global Creative Solutions für den Kongress.

Spachteln für Essen ist die Idee für „Spachtelmasse“ von Deli Garage (links); durch Velux-Fenster fällt das richtige Licht auf „Das Mädchen mit dem Perlenohrgehänge“ von Jan Vermeer aus dem Jahr 1665 (Mitte); Preisträger in der Kategorie Fotografie aus der Kampagne „Da wo du bist, ist NEON“ (rechts), (Foto/Motive: Kolle Rebbe), (4)

Neben dem Kongress mit dem Titel „The Power of Digital Ideas“ widmet der ADC einen großen Teil seiner Aufmerksamkeit dem Nachwuchs. Um zu vermeiden, dass immer mehr Talente in andere kreative Berufe gehen, wurden Oberstufen eingeladen; Hochschulen stellen sich vor, und Agenturen wollen sich als attraktive Arbeitgeber präsentieren. Einen neuen Impuls soll auch der Ort und die Art seiner Inszenierung geben. Am Oberhafen mit seinen Lagerhäusern und Graffitis spürt man einfach eher einen kreativen Gärprozess als in der Frankfurter Messe. Nichts gegen Frankfurt! Dort war es am Ende nicht so schlimm wie manche befürchtet hatten, eigentlich sogar ganz gut, aber so richtig wollte der Festivalfunke nicht überspringen. Da half auch nicht, dass die Main-Metropole im Verbund mit dem Bundesland Hessen und der Region RheinMain große Beträge in die Waagschale warf, um das Festival am Main zu halten, dem Vernehmen nach eine halbe Million Euro, auf jeden Fall bedeutend mehr als die 150.000 Euro, die Olaf Scholz bereitstellen will. Am Ende punktete das Konzept. Mit Hamburg erhofft sich der ADC mehr Besucher, besonders junge. Frankfurt, hatte etwa Stefan Kolle geäußert, habe nur wenige Junioren angezogen, nicht weil es unattraktiv war, sondern weil die wenigsten dort jemanden kennen, bei dem man mal eben für ein paar Tage übernachten kann. Das Festival zu besuchen, war für viele deshalb einfach zu teuer. Übernachten ist für Wolf Heumann kein Thema: Dem Kreativchef von Scholz & Friends an der Kehrwiederspitze wird zwar, wie er sagt, dieses gewisse Klassenreise-Feeling fehlen, das er ihn Frankfurt hatte, aber vor allem freut er sich für die Stadt Hamburg.

Freistaat Oberhafen

Für den Umzug nach Hamburg hat der ADC eine eigene
Rahmenhandlung erfunden, indem er die Republik Neuland ausrief, mit allem Drum und Dran: Aufnahmeantrag bei der EU, eigene Verfassung, ein Staatsoberhaupt namens Grand Prix, ein Staatsgebiet. Zunächst wurde ein bisschen genörgelt. Die Republik liegt zwischen Brooktorkai und Amsinckstraße? Sie annektiert SPIEGEL und Manager Magazin (was viele verstehen), den Großmarkt und die Deichtorhallen (was niemand versteht)? Und dann: Neuland, ein Land, das von Ideen bevölkert wird! Ist es kleinlich, an „Deutschland. Land der Ideen“ zu denken? Irgendjemand hat auch darauf hingewiesen, dass es in Hamburg schon Neuland gibt, den Harburger Stadtteil Neuland. An dieser Stelle sagen wir: Stopp! Ihr habt das nicht verstanden! Es geht um Kommunikation. Und wenn der ADC alles richtig macht, werden am 14. Mai bei Neuland alle an den Oberhafen denken. Auch in Harburg.

Text: Nikolai Antoniadis, Foto: Thomas Hampel, Artwork: Maria Knuth (1)
Mit freundlicher Unterstützung des Art Directors Club für Deutschland (ADC) e. V., Foto/Motive: Scholz&Friends (2), Jung von Matt (3), Kolle Rebbe (4)
Quartier 21, März–Mai 2013 , Rubrik:    
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