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Kreativ-Kommune

Das Areal am Oberhafen ist auf dem Weg vom reinen Gewerbegebiet zu einem Quartier
für die Kreativwirtschaft

Petra Sommer und Jens Gottschau in ihrer Materialverwaltung am Oberhafen

Sturmböen fegen zwischen den Lagerhallen, Gras wuchert über die Gleise, und irgendwo liegt ein totes Kaninchen. Ein paar alte Hallen, Bahngleise, Verwaltungsgebäude, ein langgezogener Streifen Brachland, eingeklemmt zwischen Bahndamm und Hafenbecken, das ist das Oberhafenquartier. Hier, zwischen den Hallen 3 und 4 parkt ein alter umgebauter Bus: Hinten stehen ein paar Schreibtische, Fahrer- und Beifahrersitz lassen sich zum Wageninneren umdrehen und bilden mit einem betagten Sofa eine Sitzecke. Der Heizlüfter läuft, im Elektrokocher brodelt Kaffeewasser. Und wenn dann die Filmausstatterin Petra Sommer und der Künstler Jens Gottschau enthusiastisch von ihrem Projekt sprechen, dann kann man schon den Geist spüren, der den Oberhafen bald durchwehen soll.
Auf seinen 6,7 Hektar war im HafenCity-Masterplan ein Gewerbegebiet vorgesehen. 2010 aber wurde beschlossen, die Grundstücke nicht zu verkaufen, die Bauten zu erhalten und, so die ehemalige Stadtentwicklungssenatorin Anja Hajduk, im Oberhafen „einen interessanten Potentialraum für Künstler und Kreative“ entstehen zu lassen. In den Bürogebäuden haben sich in den letzten Jahren bereits Kreative angesiedelt: der Kammerkunstverein etwa, der Veranstaltungen für Kammermusik oder kleine Theaterformen organisiert. Der Chamäleon-Service fertigt Bauten für Film- und Theaterproduktionen, die Agentur Living Art produziert Fotostrecken für Einrichtungsmagazine oder Baumärkte.

Wo heute Lagerhallen überwiegend von Logistikfirmen genutzt werden, soll ein Kreativquartier entstehen

Für eine Halle wurde von der HafenCity Hamburg GmbH und der Hamburg Kreativ Gesellschaft erstmals 2011 ein Mieter gesucht – und gefunden: Die Wahl fiel auf Sommer und Gottschau. Ihr Projekt ist in Europa ziemlich einmalig: Werden gewöhnlicherweise Relikte von Bühnenbildern, Messen oder Filmdrehs kostenpflichtig entsorgt, können sie künftig von der Hanseatischen Materialverwaltung umsonst abgeholt, systematisch eingelagert und an Schulen, Kultureinrichtungen oder Künstler weitervermittelt werden. Vorbild für dieses Kulturstoff-Umschlagsystem ist das New Yorker „Material for the Arts“. Es hat 2011 Material im Wert von fünf Millionen Dollar an 1.800 Empfänger weitergeleitet.
Ob der Oberhafen insgesamt zu einem inspirierenden Ort wird, könnte sich bald entscheiden. Denn Ende des Jahres werden weitere 8.000 Quadratmeter frei, für die mehrere kreativwirtschaftliche oder kulturelle Projekte als Mieter gesucht werden. Interessenten müssen mit Mieten von 3 Euro pro Quadratmeter und schwierigen Bedingungen umgehen: Es gibt keinen Hochwasserschutz, und in den Hallen gibt es weder Heizung noch Wasser und meist keine belastbaren Stromanschlüsse.
Akteure, die an der Entwicklung teilhaben möchten, gibt es bereits: den Oberhafen e. V. etwa, der sich als Inte-ressenvertretung aktueller und künftiger Nutzer versteht. Interesse meldet auch die HafenCity Universität (HCU) an: Studenten entwerfen im Rahmen eines Wettbewerbs Konzepte für studentische Arbeitsplätze in den Hallen des Oberhafens. Zwei weitere Maßnahmen für das Areal sind in Planung: Ab 2015 soll am südlichen Ende der Hallen eine Sportfläche entstehen.

Das fahrbare Büro der Materialverwaltung

Für sie müsste allerdings ein Stück des Hafenbeckens überbaut oder ein Teil der Halle 4 abgerissen werden. Und ab 2016/17 wird das Quartier, das bislang nur an seiner Nordwestecke einen Zugang hat, mit einem Tunnel unter dem Bahndamm in Höhe der U-Bahn-Station HafenCity Universität zusätzlich geöffnet werden.
Bis dahin kann im Oberhafen einiges passiert sein: Vielleicht ist ein FabLab entstanden, eine offene Spezialwerkstatt, in der mit 3-D-Druckern Kleinserien hergestellt werden. Oder man kann in Sommernächten unter neu gepflanzten Apfelbäumen an der Kaimauer sitzen, zusammen mit Künstlern, die in Ateliers arbeiten, die wabenförmig in eine Halle geschichtet sind. Und einige Wandverkleidungen oder ein seltsames Leuchtobjekt könnten von der Hanseatischen Materialverwaltung stammen. Dass so ein krauses, quirliges und produktives Miteinander entstehen wird, darauf lässt deren Ansiedlung jedenfalls schon mal hoffen.

Text: Karin Schulze, Fotos: Die Hanseatische Materialverwaltung
Quartier 21, März–Mai 2013 , Rubrik:    
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