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Kreuzfahren

Hamburg hat sich zum Kreuzfahrthafen entwickelt. Das hat nicht nur Folgen für den Einzelhandel in der HafenCity, sondern auch für die Tourismusstrategie der Hansestadt

QUEEN MARY 2: Das Flaggschiff der Cunard Line gehört zu den beliebtesten schwimmenden Sehenswürdigkeiten in Hamburg

AIDAluna: Das schwimmende Clubschiff bietet unter anderem elf Bars, sieben Restaurants und 6.400 Quadratmeter Sonnendeck

Es war eine Art Erweckungsereignis für den Kreuzfahrttourismus in Deutschland, als am 19. Juli 2004 mit der QUEEN MARY 2 das damals größte und teuerste Passagierschiff der Welt ihren 345 Meter langen schwarzen Rumpf majestätisch über die Elbe hinauf in den Hamburger Hafen schob. Die Ufer von Blankenese bis zum Großen Grasbrook von Hunderttausenden gesäumt, wurde der königliche Ozeanriese umzingelt, belagert und ehrfurchtsvoll bestaunt. Eine eindrucksvollere Begrüßung ihres Flaggschiffes hätte sich die britische Cunard-Reederei nicht denken können und eine bessere Werbung durch die um die Welt gehenden Bilder auch nicht. Spätestens an diesem Tag outete sich Deutschland als „kreuzfahrtverrückt“, und Hamburg präsentierte sich als der natürliche Anlaufpunkt der jungen Fangemeinde. Beinahe unmittelbar spiegelte sich das auch in den Buchungen für die QUEEN MARY 2, und so entschloss sich die Cunard Line, ihr Schiff regelmäßig in die Hansestadt zu schicken. Andere Reedereien zogen bald nach.
War der internationale Kreuzfahrttourismus bis dahin an Deutschlands „Tor zur Welt“ praktisch vorbeigeschwommen, so ebnete das britische Flaggschiff den Weg in eine junge Boombranche, erinnert sich Gerd Drossel, geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Hamburg Cruise Center e. V. „Der Aufschwung ist nicht zuletzt Leuten wie Dr. Stefan Behn zu verdanken“, erklärt er. Das HHLA-Vorstandsmitglied und heutiger Aufsichtsratsvorsitzender der HCC GmbH, die die Terminals in der HafenCity und in Altona betreibt, hatte erkannt, dass sich Hamburg in der Kreuzfahrtbranche unter seinen Möglichkeiten „verkaufte“.

Kreuzfahrtschiffe locken jedes Jahr Tausende von Schaulustigen an die Elbe

MEIN SCHIFF: Die Betreibergesellschaft TUI Cruises sitzt in Hamburg und zählt zu den jüngeren Kreuzfahrtunternehmen auf dem Markt

Behn zählte 1998 auch zu den Mitbegründern des Vereins, um dem Kreuzfahrttourismus in der Hansestadt zum Durchbruch zu verhelfen und die Interessen der beteiligten Mitgliedsunternehmen unter einen Hut zu bringen. Gab es zur Gründungszeit im Durchschnitt jährlich 20 Besuche von Kreuzfahrtschiffen mit etwa 10.000 Passagieren in der Hansestadt, so stieg die Zahl der „Anläufe“ ab 2004 deutlich und ab 2008 rasant. So konnte die Hansestadt im abgelaufenen Rekordjahr 160 Anläufe (+ 36 Prozent im Vergleich zu 2011) mit insgesamt 430.329 Passagieren zählen. Damit hat sich die Zahl der Passagiere, die Hamburg auf einer Kreuzfahrt zu sehen bekommt, seit 2008 (90.000) fast verfünffacht und die Hansestadt unter den deutschen Kreuzfahrthäfen 2012 erstmals an die Spitze vor Kiel und Rostock katapultiert.
An Hamburg schätzen die internationalen Reedereien die strategisch hervorragende Lage als Ausgangsstation zu unterschiedlichen Fahrtgebieten sowie vielfältigen Landgangs-angeboten, die erstklassige Verkehrsanbindung, Infrastruktur und Service im Hafen sowie die Attraktionen der Hansestadt selbst. So führen rund 35 Prozent der in Hamburg starten-den oder endenden Kreuzfahrten entlang der europäischen Atlantik-Westküste, 31 Prozent gehen Richtung Norwegen, acht Prozent um die britischen Inseln, fünf Prozent Richtung Ostsee und zum Nordkap und drei Prozent sogar ganz traditionell über den Atlantik. Bildlich gesprochen, liegt Hamburg wie die Spinne im Kreuzfahrtnetz. Die hervorragende Lage der Elbmetropole hat inzwischen den Kreuzfahrtboom in einer selbst von Experten vor Kurzem nicht für möglich gehaltenen Weise befördert: War einst die Nordeuropa-Saison auf die Monate Mai bis September fixiert, ist Hamburg inzwischen auf gutem Weg zur Ganzjahressaison. Das mag einerseits an der immer umfangreicheren, luxuriösen Ausstattung der Schiffe für wetterunabhängige Vergnügungen liegen. Aber auch die Beliebtheit deutscher Weihnachtsmärkte bei Briten trug dazu bei, dass sogar im Dezember 2012 noch mehrere auswärtige Touristenschiffe im Hamburger Hafen festmachten.

„An diesem Tag outete sich Deutschland als kreuzfahrtverrückt, und Hamburg präsentierte sich als natürlicher Anlaufpunkt der jungen Fangemeinde“

Einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zum Kreuzfahrtboom in der Hansestadt leistet das provisorische Terminal am Chicagokai, das an seinen zwei Liegeplätzen auch die ganz großen Pötte beherbergen kann. Die Zahl der jährlich anlegenden Schiffe hat sich seit 2005 von 32 auf 90 erhöht. Das macht sich natürlich auch in den Kassen des umliegenden Einzelhandels positiv bemerkbar, insbesondere an den Auslauftagen. „Die neuen Kreuzfahrtgäste sind meistens gegen 10 Uhr am Terminal, um ihre Koffer abzugeben. Anschließend haben sie noch einige Stunden Zeit zu einem Einkaufsbummel“, weiß HCC-Managerin Nadine Palatz. Doch nicht nur Kreuzfahrttouristen selbst bevölkern HafenCity und Speicherstadt. Nach wie vor ziehen QUEEN MARY & Co. zahlreiche Neugierige an. So weiß Mahmoud El Chani ganz genau, worin sich „Sehleute“ und „Seeleute“ unterscheiden. Die erste Gruppe komme zum Schiffegucken. Das sind Mahmouds Lieblingsgäste in der Dat-Backhus-Filiale am Dalmannkai. Die zweite Sorte dagegen residiert auf den großen Schiffen, die um die Ecke anlegen. „Die kommen sowieso nicht zu uns, weil sie an Bord das Essen umsonst kriegen.“ Beim Souvenirladen I love Hamburg schräg gegenüber ist das Verhältnis schon anders: „Die Kreuzfahrttouristen kaufen mehr als die normalen Besucher“, weiß Isabella Hofmann. Gefragte Mitbringsel sind vor allem T-Shirts mit Hamburg-Motiven und Schlüsselanhänger. Und beim HafenCity-Shop von Orhan Abaci, einem Zeitungsladen mit „Western Union“-Service, trifft man vor allem Crewmitglieder: „Die kommen mit ihren Dollars, um sie in die Heimat zu senden.“ Welche finanziellen Auswirkungen der Kreuzfahrttourismus auf die Hansestadt hat, wurde jüngst von der Handelskammer für das Jahr 2011 untersucht. Danach lag die Wertschöpfung bei insgesamt rund 204 Millionen Euro. Allein die auswärtigen Besucher der Cruise Days 2012 sollen rund 35 Millionen Euro umgesetzt haben, berichtet Gerd Drossel.
Der Kreuzfahrtboom hat allerdings zwei Seiten. Trotz der Eröffnung eines zweiten Terminals in Altona im Jahr 2011 stößt man in der Hochsaison (Mai bis September) an die Grenzen der Liegeplatz-Kapazitäten. Da außerdem die Schiffe immer größer werden, hofft man beim HCC auf grünes Licht vom Senat für den Bau eines weiteren Terminals.

MS DEUTSCHLAND: Das Schiff ist vor allem bekannt als Drehort der TV-Serien „Traumschiff“ und „Kreuzfahrt ins Glück“

AIDAblu: Das Clubschiff liegt vor der Kulisse des ehemaligen Terminals der Englandfähre am Fischereihafen Hamburg-AltonaAIDAblu: Das Clubschiff liegt vor der Kulisse des ehemaligen Terminals der Englandfähre am Fischereihafen Hamburg-Altona

„Bislang verfügen die meisten Kreuzfahrtschiffe über eine Kapazität von rund 2.500 Passagieren“, sagt Drossel. „Aktuelle Neubauten bringen es aber schon auf 4.500 Personen, und in der Karibik fahren sogar Schiffe für bis zu 6.000 Passagiere.“
Ein weiteres Problem wird seit Jahren kontrovers diskutiert: Wie andere Hochseeschiffe werden auch Kreuzfahrer mit Schweröl betrieben, das außerordentlich umweltschädlich ist. Die Motoren laufen dabei zur Stromversorgung der schwimmenden Hotels während der Liegezeiten weiter. Kein Wunder also, dass nicht nur Naturschützer, sondern auch Hafen-Anwohner eher heute als morgen Entlastung fordern. „Man muss die Größenordnung des Problems richtig einordnen. Pro Jahr gibt es in Hamburg rund 12.000 Anläufe von Handelsschiffen. Da machen 175 Anläufe von Kreuzfahrtschiffen gerade 1,4 Prozent aus“, erklärt Drossel. „Es gibt aber bereits Verbesserungen. Schon jetzt darf im Hafen nur noch schwefelreduzierter Treibstoff verwendet werden. Ab 2015 gilt das für den gesamten Bereich von Ost- und Nordsee.“ Aber auch er sieht Handlungsbedarf. Eine Möglichkeit sind Landstromanschlüsse an den Liegeplätzen. Alternativ könnten Power-Bargen, Flüssiggasturbinen auf Pontons, die Schwerölverbrennung überflüssig machen. Der Senat arbeite, wie es heißt, „an einem Konzept für Bau und Betrieb einer Landstromanlage in Altona“ und begrüß auch die private Initiative zu Power-Bargen.

Ob Landstrom oder Power-Bargen, eines ist sicher: Die Kreuzfahrtsaison 2013 wird erneut alle Rekorde brechen: 34 Schiffe wollen mit einer halben Million Passagiere 173 Mal in der Hansestadt anlegen. Allein AIDA-Schiffe werden sich 73 Mal im Hamburger Hafen präsentieren. Mit AIDAstella,EUROPA 2, AZAMARA QUEST und der CARNIVAL LEGEND legen vier Neubauten erstmals an der Waterkant an. Weitere Highlights: Zum Hafengeburtstag haben sich elf Kreuzfahrer angesagt, wobei am 10. Mai die Europa 2 feierlich getauft wird. Die Cunard-Liner sind mit 14 Anläufen wieder Stammgäste, davon zehn Mal Hamburgs Lieblingsschiff QUEEN MARY 2.

Text: Michael Hertel, Fotos: Thomas Hampel
Quartier 21, März–Mai 2013 , Rubrik:    
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