« Zurück zur Übersicht

Zurückgebaut

Die HHLA hat im ehemaligen Freihafenamt in der Speicherstadt für neues Leben gesorgt. Eingezogen ist eine Hamburger Kreativagentur, ein weiteres Zeichen für den Strukturwandel in der Speicherstadt

(1)

Werner Kallmorgen (1902–1979) gilt in Hamburg als „Halbgott in Weiß“ (auch Architekten trugen früher weiße Kittel!) –
nicht nur, weil er aus einer alten Altonaer Künstler- und Baumeisterfamilie stammt, und nicht nur, weil er mit dem kantigen Kaispeicher A (1966) die Basis liefert, die Elbphilharmonie hoch über Hamburg thronen zu lassen. Sondern vor allem, weil Werner Kallmorgen, den Geist des alten Hamburgs bei hohem Verantwortungsgefühl modern weiterbaute. Dabei stand das Alte nicht gegen das Neue, sondern beides rieb sich aneinander und zog jeweils Kraft daraus. Das trifft im besonderen Maß für die teilweise stark kriegszerstörte Speicherstadt zu. Kallmorgen ist ihr wichtigster Erneuerer. Mit dem Bürohaus Speicher G (1955), der Kaffeebörse (1956), dem Bürohaus Speicher O (1958) und dem kantigen Kubus des Speicher T (1967) schuf er markante moderne Signale mitten in der altehrwürdigen dem Mittelalter nachempfundenen Wehrkulisse. Der Speicher G schmückte jahrzehntelang Hamburgs wichtigsten Architekturführer als Titelbild und Symbol für die gelungene Nachkriegsarchitektur. Aber auch der Wiederaufbau des Thalia Theaters (das hatte sein Vater Georg ursprünglich von 1911 bis 1912 mitverantwortet) und die schlanken Hochhäuser für den SPIEGEL und IBM an der Ost-West-Straße (1963–1969; heute Willy-Brandt-Straße) schmücken heute die Stadt.

Für das ehemalige Freihafen(zoll)amt hieß seine Formel: modern in der Form, dafür mit traditionellen Materialien wie Ziegel und Kupfer, die in diesem Fall sogar aus Trümmerschutt gerettet wurden und entsprechende Spuren zeigen. Das ehemalige Freihafenamt wurde als einer der ersten Nachkriegsbauten in der Speicherstadt auf dem Grundstück des völlig zerstörten Ostteils des Blocks R errichtet. Die Kassen im langsam wieder erstarkenden Hafen sollten schon bald nach dem verlorenen Krieg wieder kräftig klingeln, also wurde das „Amt“ nach einem kurzen Intermezzo im Speicherblock H entsprechend repräsentativ wieder aufgebaut. Der Bauplatz St. Annen 2 war und ist dabei ein Logenplatz, er liegt gleich hinter der Kornhausbrücke an der direkten Achse zu Altstadt, Rathaus und Jungfernstieg, gegenüber dem Verwaltungssitz der HHLA (Architekten Hansen & Meerwein, 1904), der früher das Speicherstadt-Rathaus genannt wurde. Als der Block bis 1954 durch Werner Kallmorgen neu aufgebaut worden war, hieß es in einer zeitgenössischen Würdigung, er stelle nicht die nachbarschaftliche Beziehung durch Anpassung, sondern auch durch Kontrast wieder her.

Metamorphose eines Genius Loci in der Speicherstadt: Phase I – die historische: Man will hoch hinaus! Block R 1894–1896 (Architekten Hansen & Meerwein); die Hauptkirche St. Katharinen und das „Rathaus“ der Speicherstadt Bei St. Annen machen es vor. Phase II: Ob nun mittelalterlicher oder späterer Größenwahn – vorbei: Aus dem tapferen „Fort“ wird nach einem Luftangriff von 1944 ein Trümmerhaufen. Phase III: Werner Kallmorgen ordnet eine Situation: modern, kubisch (und wie es innen aussah, fantastisch leicht! Der Mann konnte was. Das Mansarddach sitzt wie ein Hut, den man nicht mehr absetzen möchte) (2, 3, 4)

Er setzte gegen den Historismus moderne klare Formen ein, wo früher Dekoration vorherrschte. Das galt für alle seine Bauten in der Speicherstadt.
Besonders interessant war aber nun das, was damals drinnen passierte. Der Kallmorgen-Entwurf war nahezu qua-dratisch und verfügte über einen Lichthof von elf Metern Seitenlänge und umlaufende Galerien im ersten und zweiten Obergeschoss. Den architektonischen Höhepunkt bildete über dem dritten Geschoss eine beeindruckende Staubdecke aus feinen Kassetten mit künstlicher Hinterleuchtung, die sich unten auf dem schwarz-weiß gerasterten Fliesenboden widerspiegelte.
Doch warte nur ein Weilchen – kann man heute und in Anbetracht eines gro-ßen neuen deutschen Airports sagen –, dann kommt der Brandschutz auch zu dir. In den 1950ern waren Dank des Freihafenstatus noch viele Dinge baurechtlich möglich, weil der Freihafen noch nicht den Hamburger Baubehörden unterstand. Das wurde dann später nachgeholt und durch „Schutzeinbauten“ gründlich gestört, was der bekannte Architekt und Kirchenbauer Friedhelm Grundmann „Raumspiel“ und „Raumspannung“ nannte und an Kallmorgens Arbeit sehr schätzte.

Als hätte Werner Kallmorgen gerade erst den Innenhof verlassen

Wenn sich der Freihafen auflöst, gibt es auch kein Freihafenamt mehr beziehungsweise weniger Zollbehörden. Zunächst noch nutzte die HHLA das Gebäude selbst, dann stand es Jahre lang leer. Das Gebäude ist jetzt nach der Revitalisierung weder durch Nutzung noch Büroraumstruktur ein Behördenhaus. Wenn heute eine der hippen Hamburger Kreativagenturen ihr Domizil gefunden hat, ist es dem endgültigen Abbau der Zollzäune zu verdanken und natürlich auch der guten strategischen Lage und Nachbarschaft zur HafenCity. Was die baubehördliche Macht betrifft, um es vorwegzunehmen, hat sie auch wieder Zeichen gesetzt. (Weil die Menschen heute unvorsichtiger, soll heißen, unmündiger sind? Oder größer?) Der Innenhof ist nun verglast – aus Brandschutzgründen, aber auch um ein „Abstürzen“ der Besucher zu verhindern. Deswegen haben im wunderschönen alten Treppenhaus auch die Geländer eins drauf bekommen, nämlich einen weiteren Handlauf.

Der aufgearbeitete Mosaikboden im neu gestalteten Innenhof, daneben die dramatische Perspektive von unten, mit dem Lichtband, das die ehemalige Staubdecke kennzeichnet. Der Besucher nimmt allerdings aus seiner normalen Perspektive ein recht ruhiges Ensemble wahr (5)

Doch dank der sensiblen Architektin Sibylle Kramer ist das heute kein Pro-blem mehr. Sie ist eine junge Hamburger Baumeisterin, die ihren „Kallmorgen“ quasi mit der Muttermilch aufgesogen hat, wohnte sie doch in ihren ersten Lebensjahren in der Siedlung Dieckwisch in Langenhorn, an deren Entwicklung Kallmorgen beteiligt war. Auch die Speicherstadt ist so etwas wie ihr Zuhause. Schon vor Jahren war sie an der Restaurierung von St. Annen 1 (im Büro Gerkan Marg und Partner) beteiligt. Als selbstständige Architektin durfte sie mit ihren früheren Partnern Michael Biwer und Thomas Mau inzwischen mehrere alte Speicher in die Jetztzeit holen. Was bedeutete, sie musste sich meistens mit starken Holzbalken auf den alten Speicherböden auseinandersetzen.
Jetzt aber ist alles anders: Fast klingt ein bisschen Verliebtheit mit, wenn Kramer von den filigranen Säulchen im Lichthof schwärmt. Oder: „Es gibt, warum auch immer, viele kleine Ungereimtheiten und Fehlstellungen im Grundriss. Das macht das Haus so sympathisch, weil es nicht streng symmetrisch oder rechteckig ist.“ Das Bauteam hat so manche Veränderung vorgenommen, beispielsweise eine beeindruckende gläserne Aufzugskabine. Die gläserne Kassettendecke von Werner Kallmorgen ist verschwunden (ein Lichtband erinnert daran, wo sie gesessen hat). Dafür ergibt sich jetzt der Blick vom alten schwarzweiß gefliesten Boden sieben Geschosse in die Höhe. Als kleiner Aperçu ist eines der letzten originalen Paternoster in Hamburg erhalten worden. Das war möglich geworden, weil mit der Agentur ein Gesamtmieter eingezogen ist.

Neu und Alt bilden eine Einheit, Blick auf St. Annen 2 im Frühjahr 2013 (6)

Eine starke Leistung zum Thema Alt und Neu in Hamburgs Speicherstadt also. Wobei der frühere Titel einer Kallmorgen-Ausstellung „Das Neue gegen das Alte“ jetzt umgekehrt zu lesen ist und Werner Kallmorgen für das Alte steht. Das, erklärt die Architektin, sei wegen des Denkmalschutzes und trotz starker Eingriffe des Arbeitsschutzes gelungen. Zum überwiegenden Teil wirkt das Gebäude heute auf eine geheimnisvolle Weise immer noch so filigran und leicht wie eh und je, so als hätte Werner Kallmorgen gerade erst den Innenhof verlassen. Obwohl „wir nicht so entwerfen wollten, als ob schon immer alles dagewesen ist!“, sagt Sibylle Kramer – so viel zur erfolgreichen Kombination von Alt und Neu.

Text: Dirk Meyhöfer, Fotos: Unbekannter Fotograf, Hamburger Hafen und Logistik AG / Mit freundlicher Unterstützung von Kleinhempel GmbH (1), Hamburger Freihafen-Lagerhaus-Gesellschaft (Hrsg.): Strumper & Co., Photografie G. Koppmann & Co. (2), Speicherstadtmuseum (3), Thomas Hampel (4, 5, 6)
SKA–Sibylle Kramer Architekten: www.kramer-architekten.de
Quartier 21, März–Mai 2013 , Rubrik:    
« Zurück zur Übersicht