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Alles im Fluss

Ob Alster, Elbe oder Fleete: Wohnen am Wasser ist begehrter denn je. Da die Flächen aber begrenzt sind, führt der nächste Schritt konsequent zum Wohnen auf dem Wasser

Hausboote im Eilbekkanal

Hausboote im Eilbekkanal: Im Rahmen eines Pilotprojekts wurden hier 2006 Liegeplätze für zehn schwimmende Häuser genehmigt (1)

Die Wettbewerbsbeiträge zum Baakenhafen haben es kürzlich wieder demonstriert: Sechs Wohntürme, die auf mächtigen Pfeilern mitten im Hafenbecken stehen, sind ein deutliches Zeichen dafür, dass Wasserflächen für mehr als Schiffsverkehr, maritime Folklore oder schwimmende Promenaden geeignet sind. Und das gilt nicht nur für die HafenCity.

Wasserhäuser im Baakenhafen

Der Siegerentwurf des japanischen Architekten Shigeru Ban (Büro Paris) für die Wasserhäuser im Baakenhafen (2)

Auch die Internationale Bauausstellung (IBA) in Wilhelmsburg experimentiert mit Wohnformen auf dem Wasser, etwa mit den neunstöckigen WaterHouses, die in einem Rückhaltebecken für Regenwasser stehen und ihren Bewohnern Bootsstege, schwimmende Terrassen und Unterwassergärten bieten. Einen noch größeren Stellenwert hatte Wasser als Wohnfläche auf der anderen IBA, im Fürst-Pückler-Land in der Lausitz, die 2010 zu Ende ging. Sie wollte die Region mit entsprechenden Pilotprojekten zu einem Zentrum für die Entwicklung schwimmender Häuser machen. Aber auch die Hamburger IBA versucht, Möglichkeiten auf dem Wasser weiter auszuloten. Zusammen mit der Stadt Hamburg und dem Deutschen Jugendherbergswerk (DJH) wollte sie eine schwimmende Jugendherberge für den Müggenburger Zollhafen bauen. Nachdem das DJH dann aber ausstieg, weil man inzwischen mit 16 anstelle von sechs Millionen Euro Kosten rechnen musste, entschied sich die IBA kurzerhand, das sogenannte IBA-Dock in einer abgespeckten Version allein anzuschieben.

Während das IBA-Dock zu einem halbwegs glücklichen Ende fand, liegen heute viele Projekte auf Eis. Dabei sind die Grenzen zwischen überambitioniertem Stadtmarketing und der Suche nach vernünftigen Alternativen auf dem Wasser sozusagen schwimmend. Zu den bemerkenswerteren gehört das Alsterkristall, das die Berliner Künstlerin Susanne Lorenz 2007 zusammen mit Wilk Salinas Architekten entwarf: ein Schwimmbad in der Alster in Form eines gigantischen sechseckigen Wasser-Moleküls. Damit wollte die Stadt Hamburg – neben dem erhofften Show-Effekt – die Tradition seiner Alsterbäder aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert wieder aufgreifen. Und damit steht Hamburg nicht allein. Inzwischen wollen sich weltweit Städte wieder ihren Gewässern zuwenden, vom Schwimmdock am Mainufer bis zu den Plänen für den Plus Pool in New York, ein riesiges schwimmendes Plus-Zeichen, in dem man baden kann und das gleichzeitig das Wasser des Hudson Rivers reinigt.

Ein sehr erfolgreiches Beispiel ist das Islands Brygge Havnebad, das seit 2003 vor Kopenhagens Hafen liegt. Im Jahr darauf hatte auch Berlin in einem umgebauten Transportschiff auf der Spree ein Freibad eingerichtet. Mit einer Gesamtlänge von 33 Metern ist es ziemlich klein, war aber für Hamburg Grund genug, die verantwortlichen Architekten Wilk Salinas samt Susanne Lorenz mit dem Alsterkristall zu beauftragen.

Aber Hamburg importiert nicht nur Ideen, sondern exportiert sie auch. Als Rotterdam im Jahr 2001 seine Hafenpromenade De Boompjes umgestalten wollte, luden die verantwortlichen Stadtplaner vier Städte ein, die bereits Erfahrungen mit der Umnutzung von Hafenbrachen gemacht hatten, darunter neben Baltimore, Barcelona und London auch die Hansestadt. Oberbaudirekter Jörn Walter rief zu diesem Zweck die Büros Jan Störmer, André Poitiers und Renner Hainke Wirth zusammen, um einen gemeinsamen Entwurf auszuarbeiten. Im Ergebnis schlugen die Hamburger Architekten unter anderem mehrere schwimmende Inseln in der Maas sowie ein funktional durchmischtes Hochhaus im Wasser vor.

Floating Pavillons Rotterdam

Pilotprojekt für solarbetriebene Floating Pavillons im Alten Hafen von Rotterdam (3)

Einen Bezug zu den Niederlanden hatte auch ein weiteres, allerdings weniger erfolgreiches Wasser-Projekt in Hamburg. Im Rahmen des Leitbilds „Wachsende Stadt“ pries der Senat 2003 mit einigem Elan die Idee „Schwimmender Häuser“ an. Hausboote seien flächensparend, preisgünstig und anpassungsfähig für Änderungen der Bedarfslage am Wohnungsmarkt. Man versprach sich davon „enorme Möglichkeiten“ für den „Sprung über die Elbe“, Stadtentwicklungssenator Michael Freytag (CDU) nannte Hamburg schon im selben Atemzug wie Amsterdam. Nach einigen Vorarbeiten ließ sich das Potenzial für Liegeplätze in ganz Hamburg dann auf die ernüchternde Zahl von knapp 100 eingrenzen. Denn trotz des großen Wasseranteils an der Gesamtfläche Hamburgs gibt es nur sehr wenige geeignete Standorte, besonders zum Wohnen, denn innerhalb des Hafens und neben Gewerbeflächen ist Wohnen generell untersagt. Das änderte sich zwar in einigen Fällen mit der Entlassung der Gewässer aus dem Hafenentwicklungsgesetz, doch brachte das auch nicht mehr Bewegung in die Sache. Es dauerte bis 2006, dass der Senat schließlich grünes Licht gab und zwei Pilotprojekte ankündig-te, am Victoriakai in Hammerbrook und im Eilbekkanal.

In Hammerbrook wurden die Liegeplätze dem Architektenbüro Förster Trabitzsch an die Hand gegeben, die auch das Floating Home entwickelt haben, das im Sporthafen am Baumwall angelegt hat. In Hammerbrook hingegen tat sich wenig. Das einzige, was sich heute sehen lässt, ist das schwimmende Kongresszentrum für das Mercure-Hotel. Die zehn Liegeplätze in Eilbek sind hingegen inzwischen vergeben. Aus 80 Baugemeinschaften wurden die kreativsten ausgewählt, die dann ihre Entwürfe auf eigene Kosten realisieren durften. Wer bei Hausboot an das etwas verschlafene Handwerker- und Bastler-Idyll im Spreehafen oder im Harburger Binnenhafen denkt, liegt ganz falsch. Im Eilbekkanal handelt es sich um Neubauhäuser auf schwimmenden Pontons, die bei Quadratmeterzahlen von etwa 120, 130 durchschnittlich zwischen 350.000 und 400.000 Euro gekostet haben, zuzüglich der Liegeplatzgebühren, denn die Wassergrundstücke können nicht von der Stadt gekauft werden. Hausboote bleiben in Hamburg eine seltene Spezies, anders als etwa in Amsterdam (mit über 2.500 Booten europäische Hausbootmetropole), Paris oder Kopenhagen, wo die Stadtverwaltung die Ansiedlung von Hausbooten mit einem Entwicklungskonzept gezielt fördert.

Inachus

Die INACHUS, ein nachhaltiges schwimmendes Haus, das während des London Design Festivals 2012 vorgestellt wurde (4)

Unabhängig von den spezifischen regionalen Ausprägungen ist der Trend unverkennbar: Rund um den Globus werden ehemals ausschließlich landfeste Nutzungen aufs Wasser gebracht. Als Graz 2003 europäische Kulturhauptstadt wurde, ließ sich die Stadt von dem Designer Vito Acconci den Entwurf für eine schwimmende Insel in der Mur liefern, ein Theater für 350 Personen, das aussah wie eine offene Muschel. Schwimmen konnte auch das Open-Air-Kino Archipelago Cinema, das der deutsche Architekt Ole Scheeren im letzten Jahr zur Architekturbiennale ins Hafenbecken von Venedig setzte. Besonders intensiv ist die Experimentierfreudigkeit mit amphibischen Wohnformen und künstlicher Landgewinnung in Holland, einem Land, das zur Hälfte unterhalb des Meeresspiegels liegt. Von dort erreichen uns zahlreiche Projekte wie die komplexen Ideen einer „Rotterdam WaterCity 2035“ oder der Entwurf der „Citadel“ von Koen Olthuis, „Europas erstem schwimmenden Apartmentkomplex“. Er ist Teil eines Bauvorhabens für 1.200 Häuser, die in einem Polder entstehen, der durch Pumpen künstlich trocken liegt. Nach Fertigstellung der Gebäude werden die Pumpen abgestellt und der Polder geflutet.

Der Fantasie der Architekten und Planer sind keine Grenzen gesetzt. So war Hadi Teheranis Vorschlag einer Living Bridge trotz des offensichtlichen Mangels an Verhältnismäßigkeit nichts anderes als die Nutzung einer Wasserfläche für Funktionen, die üblicherweise an Land angesiedelt sind, Büros, Einzelhandel und 1.000 Wohnungen. Dasselbe gilt für seinen Vorschlag für ein Light House, einen 288 Meter hohen Turm, den er sich in der Elbe vor der HafenCity dachte. Und damit sind die äußersten Bereiche architektonischer Fantastereien noch nicht erreicht. In Buenos Aires wurde 2006 der Plan für ein Hochhaus vorgestellt, dem Aussehen nach das Horn eines Einhorns, allerdings 1.000 Meter hoch (richtig: 1.000 Meter). Dieses „Buenos Aires Forum“ sollte in der Mündung des Rio de la Plata auf einer Plattform aus schwimmenden Pontons stehen, jeder mit einer Größe von 55 Hektar.

Im Baakenhafen geht es nur um acht bis zwölf Stockwerke; aber auch die haben, gegründet auf Pfählen im Hafenbecken, einige Münder offen stehen lassen. Deshalb wird nun einige Zeit vergehen, um die Machbarkeit der Entwürfe zu prüfen. Der Senat hatte den Baakenhafen 2006 als möglichen Standort für Hausboote ausgewiesen, ebenso den Oberhafen, den er für gewerbliche, gastronomische, touristische und kulturelle Nutzungen geeignet fand, wenn auch nicht für Wohnungen. Überlegungen, die Wasserfläche des Oberhafens nach einem Umzug des Großmarkts zu nutzen, haben bereits Studenten der HCU unter Leitung von Professor Paolo Fusi vor einigen Jahren durchgespielt. Vielleicht erhalten sie mit der Entwicklung des Oberhafenquartiers wieder neue Aktualität. In jedem Fall werden Wasserflächen zwar nur begrenzt nutzbar sein, aber diese Potenziale werden sicherlich weiter ausgeschöpft.

Text: Nikolai Antoniadis; Fotos: Thomas Hampel (1), William Veerbeek (3), Sanitov Floating Homes (4); Visualisierung: Shigeru Ban Architects Europe, Paris (F) / Quelle: HafenCity Hamburg GmbH (2)
Quartier 22, Juni–August 2013 , Rubrik:    
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