Der Grundsteinleger: Ole von Beust
Zunächst wenig von der Idee begeistert, wurde die HafenCity unter seiner Regierung in die Tat umgesetzt: Ole von Beust über Oppositionsreflexe, Salamitaktik und die Schattenseiten der Urbanität
Herr von Beust, am 19. Mai 2003 wurde am Sandtorkai mit dem Bau der HafenCity begonnen. Sie mussten als Bürgermeister etwas realisieren, das Sie als CDU-Fraktionschef noch abgelehnt hatten. Haben Sie sich die HafenCity zu eigen gemacht, oder haben Sie sich – wie Sie einmal in der Bürgerschaft gesagt haben – dem gefügt, was Sie nicht mehr ändern konnten?
Die Idee zu einer HafenCity kam von meinem Vor-Vorgänger Henning Voscherau mitten im Wahlkampf 1997. Dass man in so einer Situation als Gegenkandidat nicht gerade begeistert ist, liegt auf der Hand. Wir hatten außerdem damals die Idee, uns innerstädtisch um die Messe herum weiterzuentwickeln. Der Flughafen sollte nach Kaltenkirchen verlegt werden, die Messe wiederum auf das alte Flughafengelände. Im Nach-hinein muss ich sagen, die Idee von Henning Voscherau war unterm Strich die richtige Entscheidung. Und die Gegend um die Messe hat sich auch so entwickelt. Das war damals also eher ein gewisser Oppositionsreflex.
Wohnungen haben Sie zunächst für den falschen Weg gehalten. Was sprach aus Ihrer Sicht in der Vorbereitungsphase der HafenCity gegen Wohnungsbau?
Es gab damals zunächst die Philosophie, aus dem Erlös der Grundstücke in der HafenCity Altenwerder zu finanzieren. Man war daher darauf angewiesen, einen hohen Grundstückspreis zu verlangen. Für den Wohnungsbau hätte das bedeutet, dass es nur hochpreisige Wohnungen gegeben hätte und die HafenCity ein Schickimicki-Quartier geworden wäre. Außerdem war Hamburg hoch verschuldet, und es musste Geld in die Kasse kommen. Das ist naheliegend: Man will ja auch die Zinsen drücken und weniger Schulden machen.
Wann ist Ihrem Senat deutlich geworden, dass die Finanzierung von Altenwerder durch die HafenCity so nicht funktioniert?
Ziemlich am Anfang schon, man hat aber nicht groß darüber geredet. Das Viertel als solches hat dann eine solche Eigendynamik entwickelt, dass wir nicht mehr sagen mussten: Wir brauchen das jetzt um Altenwerder zu finanzieren. Es lebte aus sich selbst heraus. Deshalb hat sich auch die Maxime vom Höchstgebot bald aufgelöst. Wir haben nachher gesagt: Wir nehmen andere Parameter mit auf, um von dem Höchstgebot wegzukommen.
War es trotz Abkehr vom Höchstgebotsverfahren so, dass in erster Linie ein Büro- und Einzelhandelsstandort entstehen sollte?
Als die HafenCity geplant wurde, war das Unterangebot an Wohnungen nicht so groß wie heute. Wir hatten teilweise sogar Leerstände im sozialen Wohnungsbau. Die Situation wie wir sie jetzt haben, hat sich erst 2007/08 abgezeichnet. Die Überlegung war immer, im ersten Abschnitt auch Wohnungsbau zu betreiben, aber sehr viel Büro und Einzelhandel. Wie wir jetzt sehen, ist der Einzelhandel schwierig. Das liegt auch daran, dass sich der Bau des Überseequartiers verzögert und es nur im Fragment fertig ist.
Würden Sie sagen, dass die HafenCity Ihrem Slogan der Wachsenden Stadt gerecht wird, obwohl sie noch keine 12.000 Einwohner hat?
Ja, absolut. Das ist ein Prozess, der sich über 20 Jahre hinweg entscheidet und nicht in zehn. Ich glaube, wenn wir – so Gott will – in zehn Jahren gesund und munter wieder hier sitzen, wird man sehen, dass ein Stadtteil entstanden ist, der in keiner Weise mehr artifiziell ist, sondern in dem völlig normal gelebt wird. So etwas dauert einfach.
Der ehemalige Baudirektor Egbert Kossak hat Ihnen massive Vorwürfe gemacht, zum Beispiel, dass der HafenCity jede städtebauliche Vision fehle; sie sei ein „Gewerbepark mit Luxuswohnungen“ geworden.
Ich habe das gelesen. Es klingt ein bisschen verbittert. Und es stimmt ja auch nicht, wenn Sie an den östlichen Teil der HafenCity denken. Ich finde es ein bisschen einfach und nicht gerecht. Aber natürlich sind auch in der HafenCity nicht alle Träume wahr geworden.
Haben Sie als Bürgermeister Entscheidungen getroffen, die Sie heute anders treffen würden?
Das kann ich so nicht sagen, ich denke oft über die Planung des Überseequartiers nach. Ich weiß noch genau, wie wir zusammen gesessen und geplant haben, wie das Überseequartier aussehen soll. Mit unserem politischen Verstand hielten wir das, was jetzt da ist, für eine architektonisch interessante Lösung. Die Überlegung war nicht, einen Boulevard zu schaffen, sondern etwas, das verschachtelt ist und Plätze hat, auch, um die Windeinflugschneise etwas zu reduzieren. Jetzt sehe ich, dass das Quartier schlecht angenommen wird. Es kann daran liegen, dass der Südteil noch nicht fertig ist. Und wenn etwas nicht angenommen wird, fragt man sich natürlich: Haben wir alles richtig gemacht? Es gibt zum Beispiel Wohnungen, die in Ecken liegen, die eng und dunkel sind. Wenn Urbanität an einem Ort dazu führt, dass keiner dorthin ziehen will, wird es schwierig. Nach der Erfahrung mit dem, was wir heute dort sehen, würde man nicht alle Entscheidungen wieder so fällen, aber das ist normal im Städtebau.
Bei der HafenCity denkt man sofort an die Elbphilharmonie, ein Bau, der anfänglich von allen begrüßt wurde, inzwischen aber die Stadt spaltet. Was ist schief gelaufen?
Zunächst einmal war die Euphorie für die Elbphilharmonie quer durch die ganze Stadt und durch das Parlament groß. Ich erinnere mich noch gut an das erste Gespräch mit den Architekten Herzog und de Meuron, als es um die Kosten ging. Als Anwalt hatte ich wenig, aber ein bisschen Erfahrung mit Baurecht. Und ich habe den beiden gesagt, ich weiß es noch wie heute: „Tun Sie mir einen Gefallen und nennen Sie realistische Kosten, ruhig höher, denn nichts ist schlimmer als der Eindruck von Salamitaktik.“ „Nein, darauf können Sie sich verlassen, das ist überhaupt kein Problem“, war die Antwort. Und dann kam eine Kostenschätzung von 130 Millionen Euro. Da hieß es, das sei schon dicke über’n Durst. Niemand hat die Elbphilharmonie bewusst schön gerechnet. Das ist doch Käse! Was haben Sie denn davon? Es kommt doch ohnehin heraus.
Meinen Sie, dass Großprojekte mit realistischen Kostenangaben überhaupt mehrheitsfähig sind?
Das Interessante ist: In Berlin wirft man dem Senat vor, dass er den Flughafen nicht mit HOCHTIEF gebaut hat, und in Hamburg wird bemängelt, dass man es nicht selbst gemacht hat. Wie Sie es machen, ist es falsch. Woran liegt das? Wenn ich das so genau wüsste! Sehen Sie sich einmal den Privatbereich an. Da ist es genauso. Es gibt oft gigantische Kostensteigerungen. Hier ist die Dimension eine andere. Ich glaube, das hat mehrere Gründe: Einmal ist die öffentliche Hand an ganz strenge Ausschreibungskriterien gebunden, die sie lähmen, sich so zu verhalten wie ein privater Bauherr. Im Nachhinein sieht man, dass wir in Hamburg das Problem einer komplizierten Vertragskonstruktion hatten, die ein wenig der Historie geschuldet war. Die Stadt selbst hat den Plan nicht entwickelt. Das waren private Architekten. Wir waren nicht Herr des Entwurfs, das war anders als bei anderen Bauvorhaben. Dann gab es riesige Pannen, und es kam viel Mist zusammen. Irgendwann können Sie nicht mehr zurück. Es war 2007 oder 2008, als HOCHTIEF gesagt hat, dass sie so etwa 200 Millionen Euro mehr wollten. Da stehen Sie vor der Frage: Kündigen können Sie nicht so einfach, was ist also die Alternative? Wenn wir gesagt hätten, dass wir das Ding wieder abreißen, als schon so hohe Kosten entstanden waren, wäre die Hölle los gewesen!
Die Architekten Herzog und de Meuron haben bereits im Juni 2006 vor den Mehrkosten gewarnt, als die Planung noch nicht abgeschlossen war. Warum wurde das Vergabeverfahren fortgesetzt? Gab es ein Interesse an einer zügigen Vergabe?
Mich haben die Architekten nicht gewarnt. Verantwortlich war die ReGe. Da mag viel zwischen den Kulissen gelaufen sein. Mir ist das leider nicht bekannt gewesen. Es gab auch das Problem, dass HOCHTIEF das einzige Unternehmen war, das bei der Ausschreibung übrig geblieben war. Es ist ja nicht so, dass die Leute sich gedrängt hätten, die Elbphilharmonie zu bauen. Es waren wenige. Damals hätte man sagen können: Wenn nur einer übrig ist, machen wir eine neue, modifizierte Ausschreibung. Das hätte aber über zwei Jahre gedauert, und ich sage Ihnen: Da wäre die öffentliche Meinung uns an die Gurgel gegangen. Alle hätten gesagt: „Wir wollen das Ding jetzt haben!“ Und: „Typisch Politik, die sind nicht in der Lage zu planen! Da hat Hamburg einmal eine große Vision, und die kriegen das nicht gebacken!“ Im Nachhinein kann man natürlich sagen: Hätten wir bloß noch einmal ausgeschrieben.
Die Verkehrsprobleme, die mit der Elbphilharmonie auf die HafenCity zukommen, waren damals absehbar. Hat man die bewusst nach hinten geschoben?
Die Kopflage der Elbphilharmonie am Kaiserkai war immer schwierig. Deshalb entstand die Idee, vom Baumwall her mit dem Skywalk eine vernünftige Lösung zu schaffen. Ich gebe zu, die Kosten hat man erst einmal draußen gelassen. Wir wollten zunächst die Kosten für die Elbphilharmonie berechnen und haben gedacht, dass wir alles andere später hinbekommen. Wir wollten die Begeisterung für die Elbphilharmonie nutzen. Ohne Euphorie bekommt man keine ganz großen Würfe hin. Keiner hat ja geahnt, wie das Ganze laufen würde. Normalerweise hätte kein Hahn danach gekräht, wenn man hinterher eine großzügige Verkehrsregelung gefunden hätte, weil sich alle auf die Elbphilharmonie gefreut hätten.
Was halten Sie von der bisherigen Benennung der Straßen in der HafenCity?
Ich habe die Diskussion in der Zeitung verfolgt. Ich finde, dass man bei so einem neuen Viertel auch ein Wagnis eingehen und Namen wählen kann, die internationalen Bezug haben. Ich bin gebürtiger Hamburger, und ich weiß: Am liebsten soll hier alles Plattdeutsch sein. Das ist ganz nett, aber wer von außen kommt, versteht das nicht. Und in einem Viertel, das anders ist als die anderen und das internationale Anziehungskraft haben will, sollte man unemotional nach einer vernünftigen Mischung suchen. Ich würde davor warnen, alles zu sehr durch die Hamburger Brille zu sehen.
Welchen Stellenwert und welche Auswirkungen haben die Elbphilharmonie und die HafenCity für die ganze Stadt?
Wenn Sie heute im Wettbewerb mit Städten stehen, brauchen Sie ein Alleinstellungsmerkmal. Das ist ganz banal. London hat den Tower, Paris den Eiffelturm, Sydney die Oper. Für Städte, die einen Weltnamen haben, brauchen Sie irgendeine architektonische Assoziation, und die fehlt in Hamburg. Der Michel ist unser Wahrzeichen; das wissen wir vielleicht bis Hannover, aber in Köln kennt ihn schon keiner mehr. Nichts gegen den Michel, ich finde ihn toll. Aber er ist kein internationales Wahrzeichen. Wir wollten in einer anderen Liga von Städten mitspielen. Einer Liga, in der alle sagen: „Oh. Hamburg, Kultur, Elbphilharmonie!“ Das bringt auch Tourismus in die Stadt, Kaufkraft und Investitionen. Wir wollen auf der internationalen Landkarte auffallen, und das wird auch funktionieren.
Wie ist Ihre Vision für die HafenCity 2030?
Die HafenCity ist dann ein in die Stadt Hamburg integriertes Viertel mit einer guten Generationenmischung, Jung und Alt, normale Menschen, gerne auch wohlhabend. Ich glaube, dass die HafenCity dann nicht mehr als etwas Besonderes gesehen wird, sondern dass Normalität eingekehrt ist. So wie man heute sagt: „Ich fahre jetzt mal in die Schanze“, wird man dann sagen: „Ich fahre jetzt mal in die HafenCity.“
Wann waren Sie zum letzten Mal in der HafenCity?
Ich gehe sehr häufig abends in der HafenCity spazieren. Ich finde die Atmosphäre toll.
Könnten Sie sich vorstellen, dort zu wohnen?
Das ist schwer zu sagen. Ich könnte es mir vorstellen, wohne aber seit 23 Jahren am Rothenbaum. Aber ich kann gut verstehen, wenn die Menschen dorthin ziehen. Ich habe schon Unterschiedliches gehört. Manche macht ein Balkon Richtung Westen wegen des Windes wahnsinnig, andere maulen wegen der Spinnen, manche sagen, es sei zu künstlich. Aber das wird sich ändern. Man kennt es ja selbst leidvoll: Patina entsteht mit der Zeit, und auch Bäume wachsen nun einmal nicht innerhalb von drei Jahren.
Interview: Conceição Feist und Dagmar Garbe, Fotos: Thomas Hampel