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Der Stratege: Henning Voscherau

Er gilt als jener Politiker, der die Idee zur HafenCity entwickelt und ihr den Weg geebnet hat. Henning Voscherau spricht über Geheimhaltung, richtiges Timing und einen Abriss der Elbphilharmonie

Henning Voscherau

Henning Voscherau im Büro der Kanzlei Breiholdt & Voscherau im Steinwayhaus

Herr Voscherau, Sie werden allgemein der „Vater“ der HafenCity genannt. Wie fühlt man sich als Vater, wenn sein Kind von anderen großgezogen wird?

Vater – das ist nicht ganz richtig. Es war sozusagen ein Fall gleichgeschlechtlicher Adoption. Die Idee entstammte einer Vier-Augen-Diskussion mit Peter Dietrich, dem damaligen HHLA-Chef. Wie fühlt man sich später? Unterfordert und ein bisschen entrechtet, aber das ist in der Demokratie nach einem Amtswechsel nun mal so. Ich war mit allerlei Dingen frühzeitig nicht wirklich glücklich, aber man kann nicht verkennen, dass das Ganze sich insgesamt sehr positiv entwickelt  und dass die zuständigen Personen mit Herrn Bruns-Berentelg und Herrn Walter an der Spitze sich intensiv und kompetent darum kümmern.

Ihre Ankündigung der HafenCity 1997 hat viele überrascht. Wann kam Ihnen die Idee, wer hat sie bei den Planungen unterstützt, und wie ist es gelungen, die Pläne geheim zu halten?

Peter Dietrich dachte an Altenwerder und suchte nach kompensatorischen Angeboten des Hafens an die Stadt, wenn Altenwerder gebaut würde. Ich dachte zwar an die Finanzierung des Containerterminals Altenwerder, aber es schlug auch gleich der Blitz der Idee einer HafenCity ein: eine unglaubliche städtebauliche Chance, unsere City in dieses Gebiet an der Elbe zu erweitern. In ein Gebiet, das bis zu 120 Jahren vorher zur Innenstadt gehört hatte. Außerdem wollten wir die Entvölkerung des Wallrings durch Wohnbevölkerung in der HafenCity ausgleichen, um die Hamburger Innenstadt etwas belebter zu machen, was ihr, glaube ich, auch gut bekommt.

Zur Geheimhaltung: Dadurch, dass wir, Voscherau-Dietrich, das bilateral an allen Gremien vorbei gemacht haben, konnten wir das Geheimnis wahren und einer Preisexplosion vorbeugen. Es war klar: Wir konnten das Projekt erst offenbaren, wenn die Grundstücksfragen in trockenen Tüchern waren. Inwieweit Herr Dietrich seinen HHLA-Vorstand eingeweiht hat, weiß ich nicht. 1995 hat dann Volkwin Marg vom Architekturbüro von Gerkan, Marg und Partner gmp an seinem Aachener Lehrstuhl zusammen mit Studierenden ein erstes Grobkonzept zur Bebaubarkeit gemacht. Auch das haben wir geheim gehalten.

Nun wissen wir doch alle, dass man in der Hamburger SPD nichts geheim halten kann. Wer war von der SPD mit im Boot?

Lange Zeit niemand, dann vor allem Thomas Mirow.

Welche Nachteile hatte die Geheimhaltung?

Gar keine. Sie hätte große Nachteile gehabt, wenn es nicht nachträglich einen alles heilenden Beschluss von Senat und Bürgerschaft gegeben hätte. Den hat es aber gegeben, und ich habe das Ganze ja nicht ohne Grund in der Vorwahlphase im Mai 1997 öffentlich gemacht, nicht nur, weil es gerade fertig war, sondern auch, weil es vier Monate vor einer Wahl keine Widerworte aus der eigenen Fraktion gibt.

Sie haben einmal gesagt, die HafenCity müsse wie der Jungfernstieg und die Binnenalster vor dem Urteil vieler kommender Generationen Bestand haben. Was ist an der HafenCity so geworden, wie Sie es sich erträumt hatten, und was nicht?

Wir haben nach 1997 Zeit verloren bei der Vorbereitung und Planung des öffentlichen Personennahverkehrs, weil dann Rot-Grün eine Straßenbahn in die HafenCity wollte. Ich bin nicht abschließend gegen die moderne Stadtbahn, aber wenn Sie eine City-Erweiterung umsetzen – und es brummt schon von U1, U2, U3, S1, S2, S3 –, dann ist es einfach nur Ideologie zu sagen: „An dieses Netz binden wir die HafenCity nicht an, sondern wir wollen an diesem Standort ein neues System, eine sogenannte moderne Stadtbahn.“

Die Folge waren vier verlorene Jahre bei der Sicherung einer attraktiven, aufgeständerten Hochbahntrasse. Die Folge ist die U4 unter der Erde – touristisch ein unglaublicher Verlust für die Stadt. Das finde ich nach wie vor grundfalsch, für die HHA nützlich, gesamtstädtisch ein Jahrhundert-Fehler. Aus heutiger Sicht: Wenn es schon eine Elbphilharmonie gibt, eingeschnürt durch die verkehrsungünstige Landzunge an der Kehrwiederspitze, dann hätte man die U-Bahn nicht daran vorbei, sondern die U4 in das zweite Obergeschoss führen sollen. Dann kämen die Damen trockenen Fußes vom Bahnsteig auf der Rolltreppe zur Garderobe. Insgesamt aber wird die HafenCity so komplett und so gut werden, wie ich es mir erhofft habe. Allerdings ist sie erst halb fertig. Die sehr verantwortliche Aufgabe einer positiven städtebaulichen Weiterentwicklung bis zu den Elbbrücken wird in der Diskussion zu oft ausgeblendet. Diese Entwicklung hat aber sehr viel zu tun mit dem Thema Belebung der Innenstadt durch ergänzende Wohnbebauung und zwar nicht nur für Multimillionäre. Man muss die weiteren Gebiete, deren Lagegunst ostwärts abnimmt, jetzt lebendig und attraktiv gestalten.

Was halten Sie vom städtebaulichen Konzept und der Architektur in der HafenCity?

1997 war das gesamte Konzept städteplanerisch nicht abschließend durchgeknetet. Volkwin Marks Konzept von 1995 war ein Bebauungsbeispiel, keine fertige Architektur, keine Stadtplanung. Unsere Ziele waren: Kultur, Freizeit, Arbeiten Wohnen und Belebung der Innenstadt. Es ist in der heutigen Rechtslage sehr schwer, Bauherren und Architekten eines einzelnen Objekts einzubinden in die Verpflichtung, auch an die Quartiergestaltung und Entwicklung zu denken. Und Sie brauchen ja nur in das sehr verdichtete Wohnquartier um den Innocentiapark zu gehen, dann wissen Sie, was eine Quartiersentwicklung über das einzelne Haus hinaus ist. Aber die Stadt hat das Instrumentarium nicht, man kann die Leute nicht zwingen, solange sie sich im Rahmen des Planungsrechts befinden, weder ästhetisch noch von der Nutzung her. Es gibt heute eine internationale Großinvestoren-Szene, die ans globale Geldverdienen denkt und nicht daran, wie das Quartier und das Haus lokal in 100 Jahren aussehen.

Die CDU sagt heute, dass die SPD langweilig regierte und regiert. Sie sehen das naturgemäß vollkommen anders: Die CDU ist für Leuchtturmprojekte und die SPD für die Stadtverwaltung. Wie stehen Sie heute zu dieser Aussage?

Die SPD ist für die Menschen in Hamburg, und wer Leuchtturmprojekte vom Zaun bricht und Eventspektakel subventioniert, der muss die Frage beantworten, wer die Zeche bezahlen soll. Davor haben sich die CDU-Senate während ihrer ganzen Zeit gedrückt. Das Folgeproblem des Leuchtturmprojekts Elbphilharmonie wird ja erst zutage treten, wenn sie in Betrieb ist. Wie hoch ist der jährlich notwendige Verlustausgleich, und wer bezahlt den? Müssen John Neumeier, die Staatstheater, Isabelle Vertes-Schütter, alle Privattheater und unsere Museen die Zeche zahlen? Ich bin ein Anhänger der These, dass die von der Elbphilharmonie unabhängige, aber meines Erachtens gefährdete Hamburger Kulturszene sich jetzt präventiv zusammenschließen und das öffentliche Thema besetzen muss: nicht zu Lasten der Hamburger Kultur!

Die Elbphilharmonie war nicht Ihre Idee. Wie stehen Sie dazu?

Man brauchte einen Kultur-Leuchtturm in der HafenCity, um zu zeigen: Es ist ernst gemeint. Ich wollte das Operngrundstück an der Dammtorstraße verkaufen, dann hätte man den Grundstückserlös und dazu noch die Gelder aus der unterlassenen Investition in die rückwärtige Bebauung für eine spektakuläre neue Oper an der Elbe einsetzen können, direkt am Wasser, aber deutlich weiter östlich Richtung Elbbrücken. Hamburg hätte halb ins Wasser, halb an Land eine weltweit beachtete Oper à la Sydney bauen können. Das war meine Lieblingsvorstellung. Die habe ich dem Nachfolgesenat zur Kenntnis gebracht, aber die haben es eben nicht gemacht. Jetzt bekommen wir einen ganz anderen Kulturtempel an der schmalen Landzunge. Darauf sollten wir uns freuen und ganz praktisch abwarten, wie die Besucher abends pünktlich mit der An- und Abfahrt fertig werden.

Was muss aus Ihrer Sicht passieren, damit das Thema Elbphilharmonie ein gutes Ende findet?

Ich bin nicht wirklich im Film der vielen Mängel. Ich wünsche mir aber, dass das ganze Ding zu den Konditionen, die Bürgermeister Scholz jetzt ausgehandelt hat und die er nach dem Gesichtspunkt politischer Taktik vielleicht besser ein Jahr früher durchgehackt hätte, mangelfrei fertig wird, dass die Fassade dann die Winterstürme aus Nordwest heil übersteht, dass die Hamburger diesen Kulturmagneten annehmen und dass der Betrieb mit einer schwarzen Null erfolgreich läuft.

Wer einen Leuchtturm will wie die CDU mit Herrn von Beust an der Spitze, muss ja wohl Vorsorge getroffen haben, dass die zusätzlichen Betriebsausgaben für die Elbphilharmonie aus dem allgemeinen Betriebshaushalt bezahlt werden und nicht aus dem Kulturhaushalt, der ja ohnehin nur knapp drei Prozent des Haushalts ausmacht. Ich glaube keine Sekunde, dass man in Bezug auf klassische Musik die Laeiszhalle und die Elbphilharmonie rentabel bespielen kann. Die Stunde der Wahrheit wird kommen. Für Popkonzerte in der Not mit internationalen Stars ist der Saal in der Elbphilharmonie  auf jeden Fall zu klein.

Sollte man die Elbphilharmonie besser wieder abreißen?

Dazu ist es zu spät.

Welchen Stellenwert hat die HafenCity für die Stadt Hamburg? Und welche Auswirkungen hat sie?

In der interessierten Öffentlichkeit – das bedeutet in der weltweiten Community der Stadtplaner und Architekten, Metropolenentwickler und Tourismusmanager – ist das Ganze ein Nummer-eins-Thema. Die 1989 vor dem Fall der Mauer etwas verschlafene, schrumpfende, frühere Weltstadt Hamburg ist plötzlich wieder auf die Tagesordnung gekommen.

Haben Sie die Diskussion verfolgt, die sich um die Vergabe der  Straßennamen in der HafenCity dreht?

Nein. Ich bin allerdings kein großer Anhänger des Namens „Kaiserkai“. Der letzte Kaiser war – daran wird 2014 wegen des Ersten Weltkriegs immer wieder erinnert werden – ein hochfahrender Dummkopf, der uns das ganze Unglück des 20. Jahrhunderts eingebrockt hat. Die Benennung in „Busanbrücke“ und „Dar-es-Salaam-Platz“ hätte ich auch nicht gemacht.

Den Kaiserkai kann man ja irgendwann umbenennen in den Bürgermeisterkai. Dann braucht da nur noch dieses kleine, blaue Erklärungsschild drunter, auf dem steht: „In Erinnerung an die Bürgermeister Henning Voscherau und Ole von Beust, den Vater und den Bauherrn der HafenCity.“ Aber das darf ja nach der Tradition erst dann passieren, wenn wir beide tot sind! Also sind wir selbst diejenigen, die das geringste Interesse an dieser Umbenennung haben. Ich will ja noch lange Enkelkinder heranwachsen sehen.

Wann waren Sie das letzte Mal in der HafenCity?

Das ist noch gar nicht so lange her.

Könnten Sie sich vorstellen, dort zu wohnen?

Das könnte ich mir vorstellen, obwohl einer meiner besten Freunde wieder weggezogen ist, weil er am Wochenende vor Touristen kaum aus der Tür kam.

Wie ist Ihre Vision der HafenCity für 2030?

Ich wünsche mir ein pulsierendes, ein attraktives und international wahrgenommenes Quartier, das von den Menschen angenommen wird und das Tourismus und Freizeit, Arbeiten, Wohnen und Kultur aufs Beste miteinander kombiniert. Das sind alles Ziele, die wir uns damals gesetzt haben. Die Lage am Wasser besitzt eine hohe Attraktivität, es muss aber auch Begrünung geben. Die Künstlichkeit der Startphase muss einem wirtlichen und gutnachbarlichen Alltag gewichen sein. Erst, wenn das eingetreten ist, kann man ein neues Quartier abschließend beurteilen.

Interview: Conceição Feist und Dagmar Garbe, Fotos: Thomas Hampel
Quartier 22, Juni–August 2013 , Rubrik:    
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