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Jägerin und Sammler

Am Alten Wandrahm war lange das Naturkundliche Museum Godeffroy zu Hause, dessen Sammlung maßgeblich von Amalie Dietrich geprägt wurde

Museum Godeffroy

Der Alte Wandrahm um 1883: rechts der Eingang zum Museum Godeffroy (1)

Studiert man alte Stadtpläne, kann man das Kontorhaus der Firma Godeffroy gegenüber dem heutigen Block W lokalisieren. Hier hatte der Kaufmann und Reeder Johan Cesar Godeffroy (1813–1885) vor dem Bau der Speicherstadt ein Naturkundliches Museum eingerichtet, in dem er eine umfangreiche Sammlung von Naturalien und ethnografischen Objekten zeigte, die er anfangs von seinen Kapitänen, später von eigens von ihm „angeheuerten“ Forschern sammeln ließ. Besonders erwähnenswert unter diesen ist die Botanikerin und Naturforscherin Amalie Dietrich (1821–1891), die von ihrem Mann, dem Apotheker Wilhelm Dietrich, zum Pflanzen- und Insektensammeln angeleitet worden war. Wochenlang waren sie durch Wälder, Wiesen und Felder unterwegs, um Pflanzen zu sammeln. Mit der Zeit entzog sich Wilhelm Dietrich jedoch den strapaziösen Reisen und wandte sich wohl auch anderen Frauen zu. Amalie Dietrich zog daher allein, nur begleitet von ihrem Hund Hektor, der vor einen Handwagen gespannt war, durch die Botanik. Auf einer dieser Reisen erkrankte sie an Nervenfieber, sodass sie erst nach elf Wochen heimkehrte, wo sie ihren Mann nicht mehr antraf. Im Glauben, seine Frau sei gestorben, hatte er eine Stellung als Hauslehrer angenommen.

Amalie Dietrich

Amalie Dietrich (Reproduktion einer Zeichnung von Christian Wilhelm Ahlers, 1881) (2)

Nach der Trennung begann Amalie Dietrich, für Godeffroy zu arbeiten. 1863 reiste sie für ihn nach Australien und erforschte zehn Jahre lang die Nordostküste des Kontinents. Renommierte Wissenschaftler bestimmten die von ihr gelieferten Pflanzen und Tiere und benannten einige von ihnen nach ihr, etwa den Sonnentau (Drosera dietrichiana) oder die Wespenarten Nortonia amaliae und Odynerus dietrichianus. Dietrich lieferte auch anthropologische und ethnografische Objekte wie Schädel und Skelette von australischen Ureinwohnern, die sie aus Grabstätten von Aborigines stehlen ließ. Godeffroy verkaufte sie an Museen und wissenschaftliche Vereinigungen in halb Europa. Daneben verdiente er Geld mit 45 Niederlassungen und Agenturen in der Südsee und ließ Plantagen für Kokospalmen, Kaffee, Zuckerrohr und Baumwolle anlegen.

Nach ihrer Rückkehr nach Hamburg erhielt Dietrich eine Anstellung im Museum, doch einige Jahre später musste Godeffroys Firma Konkurs anmelden, das Museum wurde geschlossen. Den größten Teil der Dietrich’schen Sammlung kaufte das Völkerkundemuseum in Leipzig. Die Stadt Hamburg erwarb die Herbarien, die zoo-logische und Reste der ethnografischen Sammlung für das Naturkundliche Museum am Steintorwall, bei dessen Zerstörung 1943 dann vieles verloren ging.

Amalie Dietrich starb am 9. März 1891 im Alter von 70 Jahren an einer Lungenentzündung, als sie bei ihrer Tochter in Rendsburg war.

Text: Rita Bake, Birgit Kiupel; Abbildungen: Strumper & Co., 1883 / ELBE&FLUT Edition (1), Hamburg Museum / Museum für Hamburgische Geschichte (2)
Quartier 22, Juni–August 2013 , Rubrik:    
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