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Dachmarken

Jørn Utzons Sydney Operahouse wird 40! Die Baugeschichte des australischen Opernhauses ist geprägt durch Pannen, Pleiten und eine 16-jährige Baugeschichte. Trotzdem bleibt die Oper ein „Leuchtturm“ für die weitere Entwicklung der Elbphilharmonie – denn die Geschichte ging glücklich, nein, fantastisch aus!

Die unverwechselbare Dachkonstruktion des Opernhauses von Sydney (1)

Gäbe es ein Ranking der modernen Landmarken – der erste Platz wäre dem Opernhaus der australischen Metropole sicher nicht zu nehmen, und die Elbphilharmonie müsste sich anstrengen, ihren Partner down under jemals zu überholen. Bezieht sich das vorzugsweise auf Schönheit und Architektur? Nein – das soll Geschmackssache bleiben. Es geht vor allem um die harten Fakten: Die Bauzeit dauerte ab 1957 16 Jahre lang. Am 20. Oktober 1973 wurde das Opernhaus offiziell von der britischen Königin Elisabeth II., dem australischen Staatsoberhaupt, eröffnet. Je nachdem, wie man es rechnet, bleiben der Elbphilharmonie noch einige Jahre, um gleichzuziehen. Ein anderer Superlativ, der auch noch nicht eingeholt worden ist, sind die Baukosten von Sydney, denn diese haben sich in dieser Zeit verzehnfacht!

Der Architekt Jørn Utzon (1918–2008), der nachweislich zu den besten Baumeistern des 20. Jahrhunderts zählt, wurde von den Australiern, das heißt der Regierung des Bundesstaates New South Wales, schließlich malträtiert, beschimpft, und schlussendlich wurden ihm die Gelder gesperrt. Im Februar 1966 verließ der Däne deswegen seine Baustelle und kehrte nie wieder nach Australien zurück. Eine Gruppe junger australischer Architekten hatte die verflixte Aufgabe, im Low-Cost-Verfahren vor allem den Innenausbau zu vollenden. Ich nehme es vorweg: Wegen des eher nichtssagenden Holzinterieurs muss niemand in Sydney in die Oper gehen, und für Hamburg ist das Downgrading der Architekturqualität und der Wechsel des architektonischen Personals wahrhaftig kein Vorbild.

Schalenkaskade, sich sonnende Schildkröten oder der Rücken eines Stegosaurus: Der einzigartige Entwurf des Opernhauses hat seit seiner Fertigstellung im Herbst 1973 die Fantasie unzähliger Kommentatoren beflügelt (2)

Dennoch: Als Jørn Utzon 2008 im Alter von 90 Jahren starb, gingen für eine Stunde die Lichter im Opernhaus aus. Spät, fast zu spät, zollte Australien dem Geniestreich eines Skandinaviers Tribut. Was war inzwischen geschehen? Sydney richtete im Jahr 2000 die bisher vitalsten Olympischen Spiele der Neuzeit aus, und die TV-Bilder präsentierten damals Fröhlichkeit, Surfer am Strand und ein wunderbares, weiß glänzendes Gebäude mit zwei dramatisch schön gebogenen Dächern: die Super Shells von Sydney. Eine Landmarke war zum globalen Hit geworden und zeigte dem damals sehr schnell populär gewordenen Guggenheim Museum (gebaut 1997) in Bilbao (Architekt: Frank Gehry) die Grenzen auf: Schaut her, ich bin eine wirkliche Schöne, wenn auch teure.

Das Zwillingsgebäude am Bennelong Point ist 184 Meter lang, 118 Meter breit und 67 Meter hoch. Gut eine Million weiß glasierte Keramikfliesen, die aus Schweden importiert wurden, bedecken die schwungvollen Dächer. 580 Pfähle tragen ein Gewicht von etwa 160.000 Tonnen. Die Form und die Dachhaut im südlichen Licht sind wohl der Schlüssel für die Omnipräsenz dieses Opernhauses in der ganzen Welt. Wer jemals die Sonne auf dem fünften Kontinent hat untergehen sehen, merkt sich den Ayers Rock und das Opernhaus und die Wahnsinnslage gleich neben der ebenfalls unverkennbaren Sydney Harbour Bridge. „Was für ein Wahrzeichen, trotz aller Verletzungen!“ lobte Françoise Fromonot, die ein Buch über die verrückte Bau- und Planungsgeschichte geschrieben hatte. „In ihm kristallisiert sich eine der schönsten Stadtgeografien, die es überhaupt gibt. Wahrscheinlich haben Sie es tausendmal auf Fotos gesehen“, schrieb sie in einem fiktiven Brief an Utzon, „doch Ihr Name wurde bei der Eröffnung nicht einmal mehr genannt. Sie haben sich geweigert, Ihr Geschöpf je wiederzusehen.“ Stimmt, er kam nie mehr zurück, und Utzon nannte seine Bauten tatsächlich Geschöpfe. Wer in Sydney war, ist sehr gern bereit, ihm das zuzugestehen.

Jørn Utzon (3)

1918 in Kopenhagen geboren, studierte Jørn Utzon von 1937 bis 1942 an der Royal Danish Academy of Arts. Natürlich war er stark von Alvar Aalto, seinem großen skandinavischen Kollegen aus Finnland, beeinflusst. Ebenso vom US-Amerikaner Frank Lloyd Wright und allen anderen modernen Architekten, die ihre Bauten bisweilen expressiv kneteten und als Skulptur verstanden. 1950 eröffnete Utzon sein eigenes Büro. Das Operngebäude sollte für ihn der Weg zur Hall of Fame der Architektur des 20. Jahrhunderts werden. Es war ein dornenreicher und komplizierter. Ein anderer finnischer Architekt hat ihm dann als Juror im Wettbewerb mit 233 Einreichungen die ersten Steine aus dem Weg nehmen können. Eero Saarinen war selbst mit Schalenbauten wie dem TWA-Empfangsgebäude auf dem New Yorker Idlewild Airport (heute JFK) unterwegs und soll der Legende nach die gesamte Jury beschwatzt haben, auch diese Großmuschelformen bauen zu lassen. Zu weiteren Aufträgen gehörten eine Bank in Teheran (1959), ein Stadion in Jiddah (1969) und das Parlamentsgebäude in Kuwait (1983). In Dänemark hat Utzon hingegen nur wenige Bauprojekte realisiert. Neben einigen Wohnungssiedlungen aus der Zeit um 1960 sind es die Bagsværd Kirche (1977) und das Möbelhaus Paustian (1987) im Nordhavn (Kopenhagen).

Großbaustelle Opernhaus Sydney: Mit einer Bauzeit von insgesamt 16 Jahren ist sie der Elbphilharmonie um einiges voraus (4)

Keines seiner Projekte hat so nachhaltig die moderne Architekturgeschichte bewegt wie die Muschelschalen-Dächer von Sydney. Der Erfolg ist wohl damit zu erklären, dass Utzon von vornherein die Magie des Ortes einbezogen und reflektiert hat. Das tut die Elbphilharmonie auch, aber Utzon handelte ein halbes Jahrhundert früher. Schon damals ließ er sich von dem Gedanken der Waterfront inspirieren: „Anstatt eine quadratische Form zu kreieren, habe ich eine Skulptur geschaffen – eine funktionelle Skulptur. Wenn Sie an eine gotische Kirche denken“, schrieb er einmal, „sind Sie nahe an dem, was ich bewirken wollte. Wenn man eine gotische Kirche betrachtet, wird man nie müde, man wird nie fertig mit dem Betrachten; wenn man sie umrundet oder sie gen Himmel betrachtet, passiert die ganze Zeit etwas Neues; zusammen mit der Sonne, dem Licht und den Wolken entsteht etwas Lebendiges!“ Das Abenteuer Opernhaus ist desto überzeugender, je klarer auch die ingenieurstechnische Leistung gesehen wird. Das heißt, eigentlich nicht gesehen werden soll: Denn die 160.000 Tonnen des Bauwerks hat der Däne Ove Arup konstruktiv so geschickt in den Griff bekommen, dass das Ensemble so leicht über dem Horizont zu gleiten scheint wie die Segel über das Meer. Arup Engineers sind bis heute der Maßstab, wenn es um wagemutigen Ingenieursbau geht.

Großbaustelle Elbphilharmonie: Gut Ding will Weile haben (5)

2013 wird die Oper 40 Jahre alt. Zum 50. Jubiläum des Baubeginns hat man bereits 2007 das Bauwerk zum Welterbe der UNESCO erklärt. Gut Ding will also Weile haben. Aber wenn man von Sydney in Hamburg lernen will, dann gilt nicht nur dieser Satz, sondern vieles mehr. Auch Spekulationen. Denn Jahrzehnte nach dem Bau der Oper, hat Sydney ja den Zuschlag für Olympische Sommerspiele bekommen, vielleicht auch wegen der schwingenden Dächer. Deswegen darf man dann nach der Fertigstellung der Elbphilharmonie auch in Hamburg davon träumen. Für 2024, 2028 0der 2032?

Text: Dirk Meyhöfer, Fotos: Jack Atley (1, 2), Sydney Opera House (3, 4), Thomas Hampel (5)

 

 

 

 

 

 

 

 

Quartier 23, September–November 2013 , Rubrik:    
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