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Fast wie im richtigen Leben

Der Bestsellerautor, Musiker und Schauspieler Heinz Strunk spricht vor seiner Lesung beim Harbour Front Literaturfestvial über triviale Literatur, über Menschenhass – und nicht über die HafenCity
Heinz Strunk

Der Schriftsteller Mathias Halfpape, besser bekannt als Heinz Strunk

Ihr aktuelles Buch „Junge rettet Freund aus Teich“ bezeichnete die FAZ als „ein weiteres Protokoll des beschädigten Strunk-Lebens“. Arbeiten Sie in Ihren Büchern Ihre Biografie ab? Als eine Art Selbsttherapie?

Selbsttherapie gibt es meiner Meinung nach gar nicht. Jedenfalls nicht in der Literatur.

Aber Sie haben wahrscheinlich in den letzten Jahren mit Dutzenden von Journalisten, Literaturagenten und Buchkritikern über Ihre Mutter geredet.

Nö.

Ich meine, wenn man so starke autobiografische Rückgriffe macht, spricht man doch bei Buchbesprechungen automatisch auch über seine Biografie, oder nicht? 

Nein, ich finde nicht. Es sind immer noch Romanfiguren. Meine Bücher sind ja keine Tagebücher oder Tagebuchabschriften. So was ist langweilig. Die Figur ist eine Romanfigur, auch wenn ich schreibe, dass ich es bin.

Der Protagonist Mathias Halfpape in „Junge rettet Freund aus Teich“ ist nicht Mathias Halfpape im richtigen Leben.

Nein. Es ist schon sehr viel dran, aber wieviel, das bleibt das letzte Geheimnis des Autors. Abgesehen davon ist das schon so lange her, dass ich gar nicht mehr genau sagen kann, wie ich damals war. Es ist der Versuch eines 51-jährigen, sich irgendwie in die Gefühlswelt eines Kindes oder Jugendlichen hineinzuversetzen.

Was für eine Geschichte erzählen Sie denn in dem Buch?

Es ist die Geschichte vom Zerfall einer kleinbürgerlichen Familie in den späten 60ern und 70ern in Hamburg-Harburg, geschildert aus der Perspektive des zuerst 6-, dann 10-, dann 14-jährigen Protagonisten. Gleichzeitig ist es die Geschichte von der Entwicklung einer Kindheit zur Jugend und Pubertät mit den damit zusammenhängenden dramatischen Einbrüchen: dem Einbruch der Sexualität, dem Wechsel aufs Gymnasium, wo er dann plötzlich gar nichts mehr begreift. Das Besondere an dem Buch ist, dass sich die jeweilige Intonation der Lebensabschnitte in der Sprache wiederfindet. Das war der Ansatz, das Buch überhaupt zu schreiben, und ich finde in aller Bescheidenheit, dass das sehr, sehr gut geglückt ist. Ich muss mir das erst selbst glauben, bevor ich es an den Verlag gebe. Und ich fand, dass ich die Gefühls- und überhaupt die Welt eines 6-jährigen und auch eines 14-jährigen sehr gut getroffen habe.

Es ist sicherlich nicht einfach, sich in die verklemmte, komplexbeladene Innenwelt von sexuell frustrierten Heranwachsenden hineinzudenken.

Gerade was sexuelle Frustration angeht, würde ich sagen: Das geht minimal zwei Dritteln aller Männer so, egal ob verheiratet oder nicht. Was diesen Punkt angeht, spreche ich Männern sicherlich aus dem Herzen. Ich habe dieses Ausbreiten von sehr privaten, sehr intimen Geschichten nie als beklemmend oder als zu weit gehend empfunden. Vielleicht will man ja gar nicht so genau wissen, wie das war mit den Pickeln und dem Onanieren und so. Aber wenn dieser sogenannte Fremdschäm-Effekt auftritt, hätte ich das sicher gemerkt. Dann hätte ich darauf verzichtet. Es geht immer auch um die Form, darum, wie man etwas schreibt. Man kann es auf eine Weise schreiben, dass es echt peinlich ist. Man kann es auch so schreiben, dass es o.k. ist. Und das ist mir hoffentlich einigermaßen geglückt.

Es ist vor allem so wie Philip Roth einmal gesagt hat: „Man soll nur über Dinge schreiben, von denen man auch etwas versteht“. Da bietet sich natürlich eine erzählende Biografie an. Da hat man einige Sicherheit. Man weiß, wie’s war. Und weil der Fundus bei mir für fünf Bücher gereicht hat, habe ich mich erst einmal darauf beschränkt. Aber dieses aktuelle Buch markiert auch den Abschluss …

… der autobiografischen Rückgriffe?

Ja, in der Richtung wird es nichts mehr geben. Ich werde fiktional arbeiten, genau wie andere Autoren auch. Natürlich fließt immer noch sehr viel Subjektives und Persönliches ein, ist ja klar, aber grundsätzlich werden sich die Geschichten nicht an meiner Biografie orientieren.

Ist der erste Erfolg von „Fleisch ist mein Gemüse“ dabei ein heimlicher Maßstab, an dem Sie sich selbst messen?

Nein, das kann generell kein Ziel mehr für mich sein. So ein Erfolg ist einem wahrscheinlich nur einmal vergönnt, zumindest mir. Da muss man auf die Zwölf treffen wie „Er ist wieder da“.

Der Roman von Timur Vermes?

Ja, aber das ist ja wiederum keine Literatur. Das ist letztendlich irgendwie trivial. Leichte Unterhaltung. In diesem Segment bewege ich mich gar nicht. Aber einmal reicht ja auch. „Fleisch ist mein Gemüse“ hat sehr viele Türen aufgemacht.

Ist das nicht auch ein bisschen frustrierend? Man wird als Autor immer besser, verkauft aber immer weniger?

Ich bin schon seit 30 Jahren im Kunst- und Kulturbetrieb. Davon war ich 20 Jahre daran gewöhnt, gar nichts hinzubekommen. Dafür ist das Niveau, auf dem ich mich seit 2005 befinde, für meine bescheidenen Verhältnisse hoch. Wenn ich mich da behaupten kann, bin ich zufrieden.

Sind Sie wie viele Ihrer Protagonisten jemand, der sich in der Welt umschaut und sich dabei wie ein Außenseiter fühlt?

Ja, würde ich schon sagen. Das ist ja nicht gerade angenehm. Ich versuche immer, dass es nicht zum allgemeinen Menschenhass führt. Aber wenn ich mir anschaue, was offensichtlich der große Massengeschmack ist, und das mit meinem Kram vergleiche, dann ist das, was ich mache, in jeder Beziehung special interest. Da kann ich echt von Glück sagen, dass mir so etwas gelungen ist wie „Fleisch ist mein Gemüse“. Das war ja total unwahrscheinlich.

Ändert der Erfolg etwas daran? Allein „Fleisch ist mein Gemüse“ ist 400.000 Mal verkauft worden, dazu kommen vier weitere Romane, Inszenierungen am Theater, Kinofilme wie „Fraktus“. Heinz Strunk ist zwar deshalb kein Mainstream geworden, aber auch kein Außenseiter mehr, oder?

In der allgemeinen Wahrnehmung ist es wahrscheinlich nicht so, dass der Strunk in erster Linie mit einem Außenseiter in Verbindung gebracht wird. Ich muss allerdings auch sagen: Außenseiter klingt mir eine Spur zu sehr nach Nerd, zu nerdig und zu lebensuntüchtig. Man will nicht, man kann auch nicht. Ich kann schon! Ich kann in jedem sozialen Kontext einigermaßen funktionieren, aber ich spüre häufig eine große Fremdheit.

Gibt es eine Grenze, die Sie nicht überschreiten würden, sagen wir mal, zum Klamauk? Ich denke zum Beispiel an das Strunk-Prinzip, Ihre Kolumne in der „Titanic“.

Das Strunk-Prinzip ist auf virtuosem sprachlichen Niveau. Das ist zwar irgendwie alles Quatsch, aber sprachlich soll mir das mal jemand nachmachen! Ich finde das richtig gut.

Wo hört der Spaß auf? Wo fängt Comedy an?

Comedy fängt da an, wo es drauf steht. Ganz einfach. Alles, wo Comedy draufsteht, ist Scheiße. Aber die Leute, die dieses Segment beackern, legen sehr viel Wert auf diese Signatur. Das ist denen gar nicht peinlich. Natürlich kommt es gelegentlich auch mal vor, dass in irgendeiner Provinzzeitschrift mangels besseren Wissens etwas wie „der Comedian Heinz Strunk“ steht. Das macht mir nichts aus. Die wissen es halt nicht besser. Aber ernstzunehmende Publikationen würden in meinem Zusammenhang niemals von Comedy sprechen. Ich habe eine weiße Weste.

Sie haben mit Charlotte Roche eine Lesung aus einer Dissertation mit dem Titel „Penisverletzungen bei Masturbation mit Staubsaugern“ gemacht.

Ich gebe zu, das würde ich wohl nicht noch einmal machen. Ich finde aber auch nicht, dass man sich dafür irgendwie schämen muss. Ehrlich gesagt, war ich damals ganz stolz darauf, das zusammen mit Charlotte zu machen, die ich schon länger kannte. Inhaltlich war das kein großer Wurf und auch nur bedingt komisch.

Es klingt komisch.

Es klingt komisch, ist aber nur so mittelkomisch.

Sind Sie noch in der PARTEI aktiv?

Ich bin mal wieder als Spitzenkandidat für Hamburg-Harburg eingetragen, aber ich habe bisher noch keinen Finger dafür gekrümmt. Das kann aber noch kommen. Wenn mir noch etwas Gutes einfällt, werde ich vielleicht in der heißen Phase des Wahlkampfes eine Rede halten.

Als Sie 2005 kandidiert haben, haben Sie den Rückbau der HafenCity gefordert. Was machen die da falsch?

Auf solche Fragen antworte ich nicht.

Warum nicht?

Weil das nicht von mir stammt.

Nicht?

Nein, glaube ich irgendwie nicht. Das wüsste ich.

Es stand im PARTEI-Programm.

Das kann ja sein. Da steht so einiges drin. Ich habe aber mein eigenes Parteiprogramm. Ich habe damals zwei sehr gute Reden gehalten, mit ein paar Punkten zur Bürgerschaftswahl. Die fand ich echt lustig. Aber im Gegensatz zu vielen anderen bin ich überhaupt kein Gegner der HafenCity.

Das ist ja auch nicht schlimm.

In meinen Kreisen gehört es irgendwie zum guten Ton, gegen die HafenCity zu wettern. Aber ich unternehme ganz gerne Spaziergänge dorthin. Das ist architektonisch in Ordnung. Es mag Punkte geben, die problematisch sind. Die kenne ich aber nicht, dafür müsste ich mich in die Materie einarbeiten. Dazu fehlt mir aber die Zeit und das Interesse.

Was wird bei Ihrer Lesung in der HafenCity passieren? 

Ich habe nicht die geringste Ahnung. Das wollte ich Sie eigentlich fragen.

Ich habe gehört, dass es nach der Lesung Musik gibt.

Ja, richtig. Am Ende meiner Lesungen spiele ich immer Flöte. Die Leute sind immer ganz begeistert, weil ich das tatsächlich richtig kann. Aber sonst … ganz normales langweiliges Gelese.

Was steht aktuell bei Ihnen auf dem Programm?

Ich mache im nächsten Jahr zwei Kinofilme. Außerdem bin ich mit „Studio Braun“ und „Fraktus“ am Thalia und arbeite an einem neuen Buch. Da ist also noch einiges zu erwarten.

Interview: Nikolai Antoniadis, Foto: Jonas Wölk
Heinz Strunk

Heinz Strunk (Foto: Mathias Bothor / photoselection)

Lesung

Heinz Strunk bei Harbour Front

„Für meine Mutter kommen nur Männer infrage wie Herbert von Karajan oder ein Arzt oder Professor. Meinen Vater hätte sie auch genommen, aber der war schon verheiratet.“ Es geht um Harburg. Und um eine Jugend an einem Ort, wo Hamburg nicht ganz so schön ist. „Junge rettet Freund aus Teich“ ist sein persönlichstes Buch. „Es geht darum“, gibt Strunk augenzwinkernd zu Protokoll „den Übergang von der Kindheit in die Pubertät als ein einziges Schrecknis zu erzählen.“

Heinz Strunk
Es gibt viel zu lachen
13.9.2013, 20 Uhr
Hamburg Cruise Center

 

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Quartier 23, September–November 2013 , Rubrik:    
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