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Sodom und Gomorrha

Neue Ausstellung im Mahnmal St. Nikolai eröffnet

Die Silhouette eines britischen Bombers während des Angriffs auf Hamburg im Jahre 1943 (Foto: IWM) (1)

70 Jahre nach der Zerstörung Hamburgs durch alliierte Bomber im Zweiten Weltkrieg steht die brandgeschwärzte Turmruine von St. Nikolai am Hopfenmarkt nach wie vor als mahnender Zeigefinger gegen Krieg und Terror. Anlässlich des unseligen Jubiläums stellt der „Förderverein Mahnmal St. Nikolai“ mit einer erheblich vergrößerten, völlig neu konzipierten wissenschaftlichen Ausstellung in der Krypta des Gotteshauses die Hamburger Erinnerungskultur auf eine neue Stufe. Begangen wurde die Ausstellungseröffnung mit einer großen Veranstaltung am 1. September.

„Wenn wir hätten sehen können, was wir taten, wenn wir hätten sehen können, wie kleine Babys und Frauen vor Schmerzen schreiend verbrannten, hätten wir das nicht tun können“ – die Worte eines verzweifelten britischen Bomberpiloten im Erkennen des Ausmaßes seiner Taten. Es waren die schlimmsten Luftangriffe mit „konventionellen“ Waffen, die die Welt je gesehen hat. Sie begannen am 24. Juli 1943. Das Codewort lautete „Operation Gomorrha“, und das Ziel hieß Hamburg. Es folgte eine Zerstörungsgewalt biblischen Ausmaßes: „Da ließ der Herr Schwefel und Feuer regnen vom Himmel herab auf Sodom und Gomorrha…“ (1. Mose 19:24). Mit der „Operation Gomorrha“ machten britische und amerikanische Luftangriffe innerhalb von zehn Tagen und Nächten große Teile Hamburgs dem Erdboden gleich. Mehr als 35.000 Menschen starben, fast eine Million Menschen mussten in Folge der Zerstörungen aus der Hansestadt flüchten. Makaber: Ausgerechnet der 147 Meter hohe Turm des von dem Engländer George Gilbert Scott nach dem großen Hamburger Brand von 1842 erbauten Gotteshauses (1846–1882) diente in den damaligen Schreckensnächten den Bomberpiloten als Zielmarkierung. Der Turm überstand den „Gomorrha“-Feuersturm, das Kirchenschiff selbst allerdings wurde durch Spreng- und Brandbomben teilweise zerstört.

Hamburg nach den Bombenangriffen (2)

Da die Stadtplaner nach 1945 kein Wohngebiet mehr um den Hopfenmarkt auswiesen, gab es keinen Grund für den Wiederaufbau, und die Reste der Ruine sollten vollständig gesprengt werden. Doch Bürgerproteste während der Abbrucharbeiten und das Engagement vor allem des Hauptpastors und späteren Landesbischofs Hans-Otto Wölber retteten einen Teil des Ensembles als „Gedächtnisstätte“. Ins Bewusstsein vieler Hamburger rückte die Kirchenruine aber erst mit der Gründung des Fördervereins „Rettet die Nikolai-Kirche“ im Jahre 1987. Aus kleinen Anfängen und mit viel Idealismus und privatem Spendengeld entwickelte sich nach und nach ein starkes Zentrum der Erinnerungskultur, das seit Dezember 2005 vom früheren CDU-Bundestagsabgeordneten Klaus Francke als Vorsitzendem des Fördervereins geleitet wird. Dieser – weil die bloße Existenz des Restgebäudes inzwischen gesichert ist – trägt nunmehr den Namen „Mahnmal St. Nikolai“. Die Ruine wurde „saniert“, eine erste kleine Ausstellung in der Krypta konzipiert, schließlich kamen weitere Attraktionen wie das Glockenspiel (Carillon) und der Panoramaaufzug hinzu. Nicht zuletzt durch seine Lage auf dem klassischen „Touristen-Pfad“ zwischen Speicherstadt und Rathausmarkt zieht das Mahnmal heute viele Besucher an. Und auch als Veranstaltungsort hat sich St. Nikolai einen Namen gemacht.

Kinderspiel „Luftschutz tut not!“ (3)

Die großzügige Schenkung eines ehemaligen Senatsdirektors ermöglichte nun die Erweiterung. Mit 600 Quadratmetern verdoppelt sich die Ausstellungsfläche, ein neuer Eingang mit Fahrstuhl macht die Erinnerungsstätte behindertengerecht. Foyer, aufwändige Klimatisierung und moderne Sanitäranlagen runden die bauliche Seite ab. Vor allem aber konnte das von der Forschungsstelle für Hamburgische Geschichte der Universität Hamburg wissenschaftlich begleitete neue Konzept thematisch breiter gefasst und dank neuer museumspädagogischer Arbeitsmaterialien auch in Sachen schulischer Bildung attraktiver gestaltet werden. „Das, was wir zeigen, die Luftkriegszerstörung Hamburgs, aber auch Warschaus und Coventrys als Folge der Nazi-Diktatur, passt genau in die Lehrpläne“, sagt Kristine Goddemeyer, die Geschäftsführerin des Fördervereins. „Da arbeiten wir eng mit den Schulen zusammen.“

Der Architekt Gerhard Hirschfeld, Mitglied des wissenschaftlichen Ausstellungsbeirats, der das Standardwerk zum Mahnmal verfasst hat, nennt wichtige Exponate: „Aus der Geschichte von St. Nikolai sind das natürlich einige gerettete Apostelfiguren aus Sandstein, Teile der in die Michel-Krypta ausgelagerten und später von der Glaserinnung restaurierten farbigen Kirchenfenster.“ Nicht zu vergessen sind, so Klaus Francke, „ein Film über das brennende Hamburg sowie Briefe, Fotos von Zeitzeugen und weitere Gegenstände, die Gomorrha überstanden haben.“ So geht der Vorsitzende auch optimistisch ins neue Museumsjahr: „Mit der neuen Ausstellung hoffen wir auf einen noch größeren Besucherzuspruch.“

Text: Michael Hertel, Fotos: IWM Imperial War Museums (1), Archiv Speicherstadtmuseum (2), Sammlung Andreas Hansen (3) 

 

 

Quartier 23, September–November 2013 , Rubrik:    
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