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Zeit für Architektur

Mirjana Markovic hat mit MRLV sichtbaren Eindruck auf Hamburg gemacht. Im Interview spricht sie über Liebe, Glasvitrinen und negativen Raum

Mirjana Markovic leitet zusammen mit ihren Partnern Aleksandar Ronai und Manfred Voss das Büro MRLV (1), rechts: Central Plaza Hamburg am Valentinskamp (2)

Sie sind 1965 nach Ihrem Studium aus Belgrad an die Elbe gekommen. Was war Hamburg, als Sie hier ankamen? Aus meinem südländischen Blickwinkel eine langweilige Stadt. Ich hatte ein Zimmer in Othmarschen, und wenn ich abends auf die Straße guckte, war da kein Mensch. Am Wochenende auch nicht. Es gab nicht einmal einen Bürgersteig, nur einen Sandweg. Das hielt ich natürlich für minderwertig. Dass das möglicherweise auch hochwertig sein kann, da bin ich erst später hinter gekommen. Sie sind aber geblieben. Es war eine Stadt, die einen Willen zur Veränderung ausstrahlte. Sie war aber keineswegs so schön wie heute, und wenn meine Freunde fragten, wie Hamburg denn so sei, habe ich immer gesagt: Es ist Liebe auf den zweiten Blick. Denn was eine große Faszination auf mich ausübte, war der Backstein; ich bin jedes Wochenende von einer Backsteingegend zur anderen gefahren. Und das Wasser. Aber mit dem Ost-West-Hof gehörten Sie 1990 in Hamburg zu den ersten, die Backstein als das beherrschende Material infrage gestellt haben. Das ist ein Haus, das aus der Reihe tanzt. Aber es bezieht sich auch auf den Backstein, hat einen Backstein-Teil, der das Nachbargebäude integriert. Der Sockel ist auch in Backstein, und aus ihm bricht dann eine gläserne Welt heraus. Das war damals und für längere Zeit ein Symbol des Aufbruchs in der Hamburger Architektur. Sie haben nach Alternativen zum Backstein gesucht. Ja, aber nicht in der Negation. Man muss dem Backstein die Hand reichen. Man muss die Kontinuität des Stadtbildes wahren. Die Stadt ist die Gesellschaft der Häuser, und wenn die zu unterschiedlich sind, stellen sie kein Gesellschaftsbild dar. Ich meine nicht, dass man Häuser nur in Backstein bauen muss; es gibt auch Formsprachen und formale Auslegungen, die mit dem Backstein nicht adäquat realisierbar sind.

Dalmann-Carrée: Die Architektengemeinschaft aus MRLV, Bernhard Winking und Spengler Wiescholek einigte sich darauf, für das Gebäude einen einzigen Stein zu verwenden (3)

Wie haben Sie dem Backstein beim Dalmann-Carrée am Kaiserkai die Hand gereicht? Ursprünglich hatten wir die Idee, dass unser Haus die Kaimauer bildet wie in der Speicherstadt, wie die Fleetbebauung. Dafür sollte es kleiner sein und Höhepunkte und kräftige Auskragungen über dem Wasser haben. Aber unterdessen wuchs der Dalmannkai. Ein Wettbewerb nach dem anderen, eine Buntheit nach der anderen. Als wir sahen, wie diese Buntheit voranschritt, haben wir uns mit den anderen Büros der Arbeitsgemeinschaft, mit Spengler Wiescholek und Bernhard Winking, auf einen einzigen Stein als Material geeinigt: „Wir machen den gesamten Block in einem einzigen Stein und überzeugen den Oberbaudirektor davon, dass das das Richtige ist. Einer muss hier am Kaiserkai zeigen, welche Qualitäten es besitzt, wenn nur ein Stein verwendet wird und sich dann mit sekundär-plastischen Elementen anders verhält.“ Das war unsere Verabredung – aus der ausgerechnet wir dann ausgeschert sind. Warum das?  Irgendwann gab es einen landschaftsplanerischen Wettbewerb und mit ihm kam diese bunte Kaimauer. Und unsere Häuser hätten unvermittelt da oben draufgesessen. Da dachten wir uns: Wir müssen etwas tun. Wir müssen unsere Wand, die südliche stirnseitige Wand, zusammen mit der Kaimauer verschmelzen und hochentwickeln. Die Buntheit der Kaimauer haben wir etwa bis zum zweiten Obergeschoss übernommen und dann allmählich damit aufgehört. Es sieht so aus, als wäre die Kaimauer aus unserem Haus herausgeflossen. Dabei mussten wir den Stein der Kaimauer übernehmen. Immerhin sind wir beim Backstein geblieben. Das Gebäude, das in der HafenCity am stärksten mit Ihrem Büro in Verbindung gebracht wird, ist das internationale Maritime Museum. Jede Menge Backstein … Nicht nur Backstein! In unseren Entwurf hatten wir dem Backstein einen Glasschornstein, eine Paraphrase der Schornsteine am Kesselhaus, hinzugefügt. Er war das Zeichen gen Westen, und die Glasvitrine war das Zeichen gen Osten. Beide sind aber nicht gebaut worden.

Internationales Maritimes Museum: Um Licht und Luft in die tiefen Speicherböden des Kaispeichers zu bringen, verband MRLV mehrere Geschosse durch Atrien. Dadurch ergeben sich zahlreiche Sichtbeziehungen in die verschiedenen Ausstellungsbereiche (4)

Warum nicht? Ich will es mal so sagen: Ich habe Peter Tamm schätzen gelernt; es hat aber gedauert. Er hat auch mich schätzen gelernt. Das hat noch länger gedauert! Unser Verhältnis ist heute bestens, und ich sage immer: Die Glasvitrine ist immer noch möglich. Warum wird sie dann nicht gebaut? Weil ihr Nutzwert für das Museum nicht erkannt worden ist. Wie kam er überhaupt zu dem Kaispeicher? Der war ja eigentlich nicht prädestiniert für ein Museum. Die Stadt wollte Peter Tamm in Hamburg halten, denn von London bis Bremerhaven wollten alle seine Sammlung. Die treibende Kraft dabei war Finanzsenator Wolfgang Peiner, der als Finanzmann auch das Vertrauen von Peter Tamm genoss. Damals brachte jemand den Kaispeicher ins Spiel. Der Pachtvertrag mit den Gebrüdern Heinemann würde auslaufen, und die Stadt hätte immense Summen hineinstecken müssen, um ihn zu erhalten. Unser Büro wurde beauftragt zu prüfen, ob man dort ein Museum einrichten könnte. Niemand glaubte so richtig daran: Ein Museum aus Eisen und Holz, auf elf Stockwerken, mit Deckenhöhen von 2,20 Metern. Wie sind Sie an das Thema herangegangen? Wir haben uns gefragt: Was machen wir mit dem Speicher, damit er ein Museum werden kann? Es gibt Architekten, die innerhalb eines Tages wissen, was sie bauen wollen. Das kann ich für mich nicht sagen. Aber ich habe relativ schnell eine Vorstellung davon, was für ein Beitrag zur Stadt etwas werden soll. Es muss ein Baustein sein, der nur an diesem Ort, aus dieser Ursächlichkeit heraus entsteht. Das gilt für Häuser in der Stadt wie für Räume innerhalb des Hauses. Der Kaispeicher B war eben ein Speicher, geeignet für die Stapelung von Waren und zu sperrig für eine öffentliche Nutzung. Verhältnismäßig schnell kam die Idee: Wir müssen in diesen Speicher einen negativen Raum hineinbauen. Was ist negativer Raum?  Löcher. Aus dieser Idee sind die Atrien entstanden. Peter Tamm war etwas zurückhaltend und sagte manchmal: „Ich verliere doch Fläche!“ Ich habe gesagt: „Aber Sie gewinnen Luft und Raum!“ Am Ende haben wir uns wegen der Glasvitrine erzürnt. Als dann der Bau begann und die ersten Löcher geschlagen waren, kam der Bauherr, Professor Peter Tamm, in diese Ruine. Und da hat er verstanden. Daraufhin schrieb er mir einen Brief: Er hätte jetzt verstanden, was er für ein grandioses Museum an die Hand bekommen werde, und wollte sich bedanken. Gab es neben Löchern noch andere Ansätze für den Umbau? Nach der Fertigstellung gab es eine Diskussion im Architekturquartett, an welcher unter anderem Hans Stimmann teilgenommen hat. Herr Stimmann hat mich gefragt: „Wo ist die Handschrift der Architektin? Wo sind ihre Ausbrüche?“ Und ich habe geantwortet: „Der Kaispeicher B ist nicht der Ort für Ausbrüche. Es ist ein Ort für Demut.“ Unser räumliches Anti-Konzept war vollkommen ausreichend. Selbstverständlich haben wir den Speicher auch redlich denkmalgerecht instandgesetzt. Stichwort räumliches Anti-Konzept: Ihr Büro hat jahrelang den Entwurf und die Ausführungsplanung für Hotel und Gastronomie in der Elbphilharmonie gemacht. Gut, dass Sie das ansprechen. Das ist eine offene Wunde unseres Büros. Dafür muss ich ein bisschen ausholen. Ganz zu Anfang haben wir Hochtief in der Bewerbungsphase zur Elbphilharmonie beraten. Wir haben die Vorentwurfsansätze von Herzog & de Meuron entziffert und, zugegeben, auch in Bereichen der Mantelbebauung anders geordnet. Dazu gehörte auch das Hotel. Denn nach Ansicht der Arabella Sheraton Group und der Commerz Real, die schon mit im Boot waren, war das ursprüngliche Konzept „nicht zu gebrauchen“. Das Hotel war ohnehin nicht der Schwerpunkt von Herzog & de Meuron, gleichwohl der Schwerpunkt eines Investors. Deshalb haben wir den Entwurf für das Hotel innerhalb der Fassaden von Herzog & de Meuron umkonzipiert, wie auch die öffentliche Gastronomie und die Wohnungen. Aber wir haben weder die zentralen Bereiche noch das Grundkonzept von Herzog & de Meuron angerührt.

Mit Mirjana Markovic wurde 1990 zum ersten Mal eine Frau zur 1. Vorsitzenden des Architektenbundes BDA Hamburg (5)

 

Ich will es mal so sagen: Ich habe Peter Tamm schätzen gelernt; es hat aber gedauert. Er hat auch mich schätzen gelernt. Das hat noch länger gedauert! Unser Verhältnis ist heute bestens, und ich sage immer: Die Glasvitrine ist immer noch möglich

 

 

 

Was haben Herzog & de Meuron dazu gesagt? Wir sahen uns in der Rolle der Architekten von Arabella Sheraton und saßen gelegentlich auch mit Herzog & de Meuron zusammen. Die haben sich nicht darüber gefreut. Sie haben gesagt: „Gewöhnlich machen wir unsere Hotels selbst.“ Aber Arabella machte deutlich, dass sie bei ihren eigenen Architekten, also uns, bleiben wollten. Es hat deshalb Spannungen, aber durchaus auch gute Zusammenarbeit mit dem immer größer werdenden Team von Herzog & de Meuron gegeben. Die Situation hat sich in dem Moment geändert, als die Stadt ihre Vergabemodalitäten änderte und Hochtief die absolute Vormacht über die Planenden gewann, mit Ausnahme von Herzog & de Meuron – was sich dann auch geändert hat, wie später zu erfahren war. Unser Auftraggeber hieß jetzt nicht mehr Arabella Sheraton und nicht mehr Commerz Real, sondern Hochtief Construction AG. Und Hochtief ist als Generalübernehmer nicht leicht zu handhaben. Das Nachtragsmanagement ist derzeit die größte Stärke eines ehemals großen Generalunternehmers mit ausgezeichneter technischer Entwicklungsabteilung. Aber diese Abteilung ist der Rechtsabteilung gewichen. Das lief noch eine ganze Weile erträglich, aber irgendwann war ich verbraucht, mein Partner Aleksandar Ronai war verbraucht, Manfred Voss war verbraucht, und vor allem: Unsere Mitarbeiter waren auch verbraucht. Wie ist es ausgegangen? Am Ende sind wir vor Gericht gelandet. Ziehen Sie manchmal ein Resümee? Gibt es Arbeiten, die Sie für besonders gelungen halten? Für lange Zeit galt das für den Ost-West-Hof. In dieser Zeit, auf diese Weise gebaut und zu Ende durchgestaltet, war das schon der kräftigste Ausdruck, den wir gemacht haben. Es war für uns eine bedeutende Arbeit; wir waren ja noch junge Architekten. Aber ich bin ja inzwischen schon ein paar Jahre in meinem Beruf. Ich liebe zum Beispiel die Schule in Allermöhe, ein Projekt von Aleksandar Ronai, welches erst jetzt so richtig gewürdigt wird. Und natürlich – gerade fertig gestellt – das Emporio Quartier am Valentinskamp. Man ist mit dem Lob noch zögerlich, aber wir haben schon manches Haus gebaut, das Zeit brauchte, um anerkannt zu werden. Nicht zu vergessen: Es gab einen großen internationalen Wettbewerb, den wir gewonnen haben. Auch dort haben wir uns mit Hochtief als Generalunternehmer „duelliert“. Welche Konsequenz ziehen Sie als Architektin oder auch als Bürogemeinschaft aus diesen Erfahrungen? Volkwin Marg hat vor vielen Jahren auf die Frage, ob es eine große Anstrengung sei, ein Haus zu erfinden, geantwortet: „Eine mäßige gemessen daran, wieviel Anstrengung es kostet, die Idee zu retten.“ Das ist wahr. Das hat Sie auf jeden Fall nicht abgehalten, weiter an guter Architektur zu arbeiten. Im Gegenteil. Wir arbeiten an vielen neuen Projekten: Zum Beispiel wird das älteste Bad Hamburgs, Kaifu, von uns instandgesetzt. Wir bauen auch gerade die Sophienterrassen mit ihren luxuriösen Wohnungen zu Ende. Seit dem gewonnenen städtebaulich-architektonischen Wettbewerb sind inzwischen sieben Jahre vergangen. Zum Bauen braucht man eben einen langen Atem.

Interview: Nikolai Antoniadis, Fotos: Jonas Wölk (1, 5), Klaus Frahm (2), Thomas Hampel (3, 4)

 

Quartier 23, September–November 2013 , Rubrik:    
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