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Pressefreiheit

Einst gebaut für das nationalsozialistische „Hamburger Tageblatt“, 1962 Schauplatz der SPIEGEL-Affäre und bis heute Sitz der ZEIT: Das Pressehaus am Speersort feiert in diesem Jahr seinen 75. Geburtstag
Pressehaus

Das Pressehaus am neu gestalteten Domplatz

Am 22. Oktober 1938 reist Propagandaminister Joseph Goebbels nach Hamburg, um an der feierlichen Grundsteinlegung für das Pressehaus teilzunehmen. War er doch der uneingeschränkte Herrscher über die Medien des Dritten Reiches und Nazi-Deutschlands oberster Leitartikler, der immer wieder „Weltanschauung in die Köpfe“ der Menschen „hämmerte“. Das Pressehaus sollte das modernste Zeitungsgebäude in der medial gleichgeschalteten Diktatur werden, Hamburgs Propagandazentrale.

Vor lokaler NS-Prominenz, Pressevertretern und tausenden Zuschauern hielt Goebbels eine Rede mit dem Titel: „Die Presse ist die geistige Waffe im Kampf um Deutschlands Weltgeltung“. Diesen Kampf sollte vom Speersort aus das „Hamburger Tageblatt“ führen, 1931 als nationalsozialistisches Parteiblatt gegründet. Ab 1933 kam es zu einer Aufwertung der Zeitung als halbamtliches Gaublatt der NSDAP. Die Auflage verfünffachte sich bis 1938 auf mehr als 100.000 Exemplare. Diese Entwicklung verwundert wenig, war doch die linke Presse vollständig verboten und die Bedeutung der bürgerlichen Zeitungen erheblich zurückgegangen.

Mit dem Baujahr 1938 war das Pressehaus ein Nachzügler. Es war das letzte Gebäude, das im Hamburger Kontorhausviertel entstand. Architektonisch ist der Backsteinbau zurückhaltend gestaltet, in einem traditionalistischen Stil mit Sprossenfenstern und rundbögigen Arkaden. Architekt Rudolf Klophaus, der in den zwanziger Jahren „zu den besten der gemäßigt modernen Hamburger Backsteinarchitekten“ gehörte (Hermann Hipp), zitiert mit den Bogengängen ein inzwischen längst verschwundenes Gebäude, das Johanneum am unmittelbar benachbarten Domplatz, das 1943 vollständig ausbrannte.

Pressehaus

Die Kogge, Emblem des Tageblatts, ziert noch immer die Fassade – allerdings ohne Hakenkreuz

Ein NS-Bezug findet sich in der Bauplastik: Für die Fassade an der Curienstraße hat der Bildhauer Richard Kuöhl das Relief einer Hansekogge gestaltet. Mit dem Hakenkreuz im Vorsegel war sie das Wahrzeichen des „Hamburger Tageblatts“. Die Kogge blieb, aber das Hakenkreuz verschwand 1945. Das Pressehaus erweist sich nach Kriegsende als baulich solide: Auch im ausgebombten Zustand mit leeren Fensterhöhlen hört man auf einigen Fluren schon bald wieder das Klappern der Schreibmaschinen.

Im Juni 1945 – der „Kampf um Deutschlands Weltgeltung“ hatte sich gerade erledigt – bezieht Gerd Bucerius die ersten Büros am Speersort. Die britische Militärverwaltung hat den Anwalt zum Treuhänder für die Abwicklung des „Hamburger Tageblattes“ bestellt. Bucerius gründet gleich noch eine neue Zeitung, am 21. Februar 1946 erscheint die erste Ausgabe der Wochenzeitung „Die Zeit“. Auf der Titelseite steht: „Es ist unser Ziel, nach 12 Jahren Naziherrschaft und -propaganda, eine freie Presse in Deutschland wiederherzustellen“. Das sagte der britische Brigadegeneral Armytage, als er Bucerius und seinen Mitstreitern die Lizenz für die Zeitung überreicht. 16 Jahre später stellte sich heraus, dass die Pressefreiheit auch in der Bundesrepublik gefährdet war.

1952 war der „Spiegel“ ins Pressehaus gezogen. Am Freitag, dem 26. Oktober 1962, knapp drei Wochen nachdem die Titelgeschichte „Bedingt abwehrbereit“ über das Herbstmanöver der Nato erschienen war, zeigte die Regierung des greisen Kanzlers Konrad Adenauer, dass ihr die Staatsräson wichtiger war als Pressefreiheit. Der Vorwurf: Der Text verrate militärische Geheimnisse und erfülle damit den Straftatbestand des Landesverrats. Gegen 21 Uhr – einige Redakteure arbeiten noch an der aktuellen Ausgabe – besetzen Polizeibeamte der Sicherungsgruppe Bonn, eigentlich zuständig für die Sicherheit von Kanzler und Bundespräsident, die fünf Etagen der Hamburger „Spiegel“-Zentrale.

Ihr Ziel: Dokumente beschlagnahmen, das Gebäude räumen, versiegeln und Verdächtige verhaften. Einsatzleiter Siegfried Buback holt drei Überfallkommandos und 20 Kripobeamte der Hamburger Polizei zur Verstärkung.Doch der Zugriff misslingt. Einige Ressortleiter weigern sich, dem Räumungsbefehl Folge zu leisten, schließlich müsse das Heft erscheinen. Zeitgleich werden Wohnungen und weitere Büros durchsucht, Redakteure verhaftet. Herausgeber Rudolf Augstein stellt sich am nächsten Tag und bleibt 103 Tage im Gefängnis.

Damit der „Spiegel“ weiter erscheinen kann und nicht wirtschaftlich ruiniert wird, helfen andere Verlage. Insbesondere die ebenfalls im Pressehaus sitzenden Redaktionen von „stern“, „Zeit“, „Hamburger Echo“ und „Hamburger Morgenpost“ lassen die Kollegen in ihren Räumen arbeiten. In mehreren Großstädten gehen die Menschen auf die Straße und protestieren gegen den Versuch, ein missliebiges Magazin zum Schweigen zu bringen. Alle Vorwürfe gegen den „Spiegel“ erweisen sich schließlich als haltlos, zu einer Hauptverhandlung kommt es nie. Die Regierung hatte die Sensibilität der Öffentlichkeit für die Grundrechte unterschätzt. Die junge Demokratie geht gestärkt aus der Affäre hervor, der „Spiegel“ ebenso. Die „Spiegel“-Affäre begründet seinen Mythos.

1969 zieht das Magazin ins eigene Hochhaus an der Brands-twiete, und auch die anderen Zeitungsredaktionen mit Ausnahme der „Zeit“ verlassen in den folgenden Jahren das Pressehaus. Das „Hamburger Echo“, die Zeitung der Hamburger Sozialdemokraten, stellt sein Erscheinen 1966 ganz ein. Die Zeit der Parteizeitungen ist vorbei.

Text: Bettina Mertl-Eversmeier, Fotos: Thomas Hampel
Quartier 24, Dezember 2013–Februar 2014 , Rubrik:    
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