Stadt Land Strom
Hamburg hat nach langem Vorlauf beschlossen, dass die Schiffsliegeplätze im Hafen langfristig auf Landstromversorgung umgerüstet werden sollen, beginnend mit den Kreuzfahrtterminals. Das hat auch Konsequenzen für die HafenCity
Als es so weit war, kam es fast ein bisschen überraschend. Denn obwohl sich scheinbar alle seit langem einig sind, wollte man sich jahrelang nicht so richtig durchringen. Jetzt hat sich die Stadt endlich entschieden und grünes Licht für den Bau einer Landstromanlage für Kreuzfahrtschiffe gegeben.
In einer Studie der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen e. V. gaben 9,9 Millionen Deutsche an, dass sie sich in den Jahren 2011 bis 2013 grundsätzlich einen Kreuzfahrturlaub vorstellen könnten. Der Markt boomt, und Hamburg gehört zu den großen Gewinnern dieser Entwicklung. Jährlich melden sich mehr Schiffe mit immer mehr Reisenden an. Sprach der Senat im Jahre 2005 noch von etwa 30 bis 40 Schiffen, die jedes Jahr in Hamburg anlegten, waren es 2008 schon über 70, im Jahre 2012 dann 155, im laufenden Jahr über 170. Die Unternehmensberatung Putz & Partner prognostizierte bis 2016 sogar bis zu 200 Anläufe pro Jahr. Weil man diese Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen lassen wollte, wurde das Terminal in der HafenCity um eine zweite temporäre Halle erweitert, schließlich sogar der ehemalige Anleger im Fischereihafen Altona ausgebaut. Inzwischen wird geplant, einen dritten Standort in Steinwerder zu errichten, um die immer größer werdenden schwimmenden Hotelburgen abfertigen zu können.
Zum Teil beherbergen sie mehrere Tausend Passagiere, dazu Hotelpersonal und Besatzungsmitglieder. Ihre Unterkünfte, die Fahrstühle und Klimaanlagen, Küchen, Restaurants, Kasinos, Kinos, Swimmingpools, die gesamte Schiffstechnik vom Antrieb bis zum Licht – alles wird mit Strom versorgt. Und wenn die Schiffe für ein paar Stunden in Hamburg anlegen, schalten sie natürlich nicht einfach den Strom aus, sondern lassen die Motoren weiterlaufen, um den Betrieb aufrecht zu erhalten. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt errechnete vor ein paar Jahren, dass ein Kreuzfahrtschiff am Liegeplatz jede Stunde so viel Ruß in die Luft blies wie 50.000 Autos, die mit Tempo 130 durch die Innenstadt fahren.
Eine so massive Umweltbelastung ist für die Stadt nicht ohne Folgen. Das Problem mit den Schiffsemissionen wurde deutlich, als im Rahmen der Bauleitplanung für den Bau der HafenCity ein Gutachten zu Schadstoffen in der Luft angefertigt wurde. Die Ergebnisse waren eindeutig. In den Bebauungsplänen für den Strandkai und das Überseequartier wurde deshalb festgeschrieben, dass Wohnungen in den belasteten Bereichen unzulässig sind und bei Bürogebäuden Vorkehrungen für künstliche Belüftung getroffen werden müssten, um für die Liegezeiten der Kreuzfahrtschiffe gesunde Arbeitsverhältnisse sicherzustellen. Betroffen ist das gesamte Gelände zwischen dem Magdeburger Hafen und dem Unilever-Haus einschließlich aller geplanten Gebäude von den Waterfront Towers über die Gebäudekomplexe Limba-Meranti und Kampala-Palisander im südlichen Überseequartier bis zu dem von Massimiliano Fuksas entworfenen neuen Kreuzfahrtterminal samt Luxushotel. Diese Einschränkungen steckten auch den Rahmen für die städtische Struktur des Areals. So erklärte Jürgen Bruns-Berentelg, Chef der HafenCity Hamburg GmbH, im Mai 2010 vor dem Stadtentwicklungsausschuss, dass bestimmte Büroflächen im Überseequartier „auch einfach der Vervollständigung der Gebäude dienten. Es gebe zwei Geschosse Einzelhandel, der horizontal in der Fläche verteilt sei. Über diesen zwei Geschossen sei es im Südteil aufgrund der Rahmenbedingungen nur möglich, Hotels oder Büroflächen zu bauen.“
Die gesamte Schiffstechnik vom Antrieb bis zum Licht –
alles wird mit Strom versorgt
Während man also auf der einen Seite die zunehmende Zahl an Schiffsanläufen begrüßte, verschärften diese gleichzeitig das Emissionsproblem. Seitens der Europäischen Union kündigte sich auch bereits an, dass man in nicht allzu ferner Zukunft aktiv werden müsste, denn eine neue Richtlinie legte für Schiffe ab 2010 fest, dass der Schwefelgehalt im Kraftstoff unter 0,1 Prozent liegen müsse, wenn sie länger als zwei Stunden an ihrem Liegeplatz blieben. Die EU-Kommission hatte die europäischen Hafenstädte schon 2002 zum Einsatz von Landstromanlagen gedrängt. Im Jahr darauf startete das Projekt New Hansa of Sustainable Ports and Cities, in dem sich unter anderem Lübeck engagierte und ein Landstromkonzept entwickelte, das seit Mai 2008 für den Fährverkehr eingesetzt wird. Auch an der Elbe blieb man nicht untätig. Die verschiedenen parlamentarischen Ausschüsse für Stadtentwicklung, Wirtschaft und Umwelt berieten sich eingehend. GAL und CDU nahmen die Reduzierung von Schiffsemissionen als gemeinsames Ziel in ihren Koalitionsvertrag auf, und Bürgermeister Ole von Beust erklärte im April 2009 vor der Bürgerschaft vollmundig, Hamburg wolle eine Vorreiterrolle spielen. „Dazu gehört“, sagte er, „dass wir mit Nachdruck die Frage der Landstromversorgung regeln. Das ist ein Riesenproblem, da gebe ich Ihnen völlig recht. Da geht es nicht nur um die HafenCity, sondern auch um die Klimaansprüche, die wir stellen.“
Aber es geschah nichts. Fast nichts. Es wurde viel diskutiert. Man wollte in Hamburg auf keinen Fall einen Alleingang machen, der am Ende die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber der europäischen Konkurrenz schwächen könnte. Stattdessen forderte man eine europaweite Initiative zur Verminderung des Schadstoffausstoßes in der Schifffahrt, eine Allianz europäischer Kreuzfahrtstädte. Man sprach zusammen mit Bremen, Antwerpen und Le Havre über die Entwicklung eines Environmental Ship Index (ESI). Vertreter der norddeutschen Kreuzfahrthäfen Bremerhaven, Kiel, Rostock-Warnemünde, Lübeck und Hamburg setzten sich in der Behörde für Stadtentwicklung zusammen, um eine gemeinsame Position zum Thema „Förderung umweltfreundlicher Energieversorgung“ zu erarbeiten. Man traf sich mit Vertretern von Vattenfall, von Siemens, des Germanischen Lloyd, der HafenCity Hamburg GmbH und des Industrieverbands Hamburg, um eine Machbarkeitsstudie zu erstellen. Man besprach sich mit der Hamburg Port Authority und mit Hamburg Energie. Es wurden Gutachten beauftragt. Warum das alles so lange dauerte, wurde der Senat schließlich gefragt. „Die Prüfungen“, hieß es dort einsilbig, „sind aufgrund der Komplexität des Themas noch nicht abgeschlossen.“
Es gab zwar mehrere Pilotprojekte, aber scheinbar nur wenige generalisierbare Daten. Auf den verschiedenen Schiffstypen kommen unterschiedliche Stromspannungen und Frequenzen zum Einsatz, der Bedarf ändert sich von Schiff zu Schiff. Es gab auch Bedenken, weil die Anschlusstechnik für eine Landstromversorgung auf den Schiffen nicht normiert war. Außerdem gab es unterschiedliche Ansichten darüber, wie viel die Schiffseigner für eine Umrüstung auf Landstromversorgung zahlen müssten. Eine Abwanderung der Reedereien und Kreuzfahrtveranstalter wollte natürlich niemand riskieren. Ein Gutachten des Germanischen Lloyd ging 2008 von schiffsseitigen Investitionskosten in Höhe von etwa 650.000 Euro pro Schiff aus. Ein anderer Gutachter nahm an, die Ausgaben könnten sich je nach Schiff auf bis zu eine Million Euro belaufen. Der Verband Deutscher Reeder und der Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe, beide in Hamburg ansässig, vertraten die Meinung, dass die Nachrüstung bei laufendem Betrieb schwierig umzusetzen sei. Die Diskussion bewegte sich mehrere Jahre irgendwo zwischen Skepsis und Unsicherheit.
Die HafenCity könnte durch die Entscheidung für Landstromversorgung ein ganz neues Gesicht zur Elbe bekommen
Die Situation wurde durch die widersprüchlichen Positionen, die die verschiedenen Protagonisten immer wieder einnahmen, nicht besser. So erklärten Vertreter der Wirtschaftsbehörde und des Bezirksamts Altona im Anschluss an ein Symposium zum Thema im Altonaer Rathaus, Landstrom sei auf europäischer Ebene nicht zu realisieren, weil die Mittelmeerhäfen eine solche Lösung nicht mittragen würden. Außerdem sei Hamburg als Kreuzfahrtstandort zu unbedeutend, um Standards für Europa zu setzen. Zur selben Zeit hatte die Bezirksversammlung Altona die zuständigen Behörden einstimmig dazu aufgefordert, die viel besprochene Landstromversorgung endlich in die Tat umzusetzen. Schließlich meldete sich mit AIDA Cruises auch ein bedeutender Player der Kreuzfahrtwirtschaft zu Wort und regte auf eigene Initiative den Einsatz sogenannter Bargen an, bei denen der Strom in einer schwimmenden Kraftwärme-Kopplungs-Anlage produziert wird. Dieser privatwirtschaftliche Vorstoß wurde von einigen so interpretiert, dass die Kreuzfahrtunternehmer nicht länger darauf warten wollten, ob sich die Stadt Hamburg irgendwann entscheiden würde.
Und dann – man möchte beinahe sagen: plötzlich – kam man im vergangenen Februar zu folgendem Schluss: Fast die Hälfte der Hamburg anlaufenden Kreuzfahrtschiffe sind technisch auf den Bezug von Landstrom vorbereitet. Der Einbau entsprechender Anlagen am Kreuzfahrtterminal Altona mit einem Liegeplatz und in der HafenCity mit zwei Liegeplätzen ist technisch möglich und wird pro Liegeplatz etwa zehn Millionen Euro kosten. Daraufhin forderte die Bürgerschaft den Senat formal dazu auf, den Bau einer entsprechenden Anlage am Altonaer Anleger vorzubereiten. Darüber hinaus sollte für das Kreuzfahrtterminal in der HafenCity und auch mögliche weitere Standorte im Hafengebiet ein Konzept für externe Stromversorgung von Kreuzfahrtschiffen erarbeitet werden, sei es nun durch Landstrom oder die von AIDA vorgeschlagenen Power Barges. Die Stadt hat sich das Ziel gesteckt, neben den Kreuzfahrtschiffen auf lange Sicht auch etwa 12.000 weitere Schiffe pro Jahr, vor allem Containerschiffe, dazu zu bringen, ihre Emissionen abzusenken. In diesem Zusammenhang gab es bereits eine gegenseitige Absichtserklärung zwischen dem Bundesverkehrsministerium und der chinesischen Regierung: Es wird geplant, ein „deutsch-chinesisches Demonstrationsprojekt einer grünen Schifffahrtslinie für Containertransport“ auf die Beine zu stellen. Im Rahmen dieses Projekts sollen Containerschiffe in Schanghai und Hamburg ihren Bedarf am Hafen über Landstrom decken.
Die Landstromversorgung für Kreuzfahrtschiffe ist lediglich als Einstieg zu verstehen. Am Ende wird es darum gehen, Schiffsemissionen generell zu senken, zumal das größte Problem nicht die Schadstoffe sind, die sie am Liegeplatz produzieren, sondern die, die auf dem Wasser in die Luft gepustet werden. Als Zeitfenster hat der Senat für den ersten Schritt, also den Bau einer Landstromanlage für Kreuzfahrtschiffe, einen Zeitraum von zwei bis drei Jahren angesetzt. Eine mobile Stromversorgung durch eine Power Barge könnte bereits ab 2014 möglich sein, sofern diese neue Technologie, zu der es bislang wenig Erfahrungswerte gibt, die genehmigungsrechtlichen Rahmenbedingungen der zuständigen Behörden erfüllt.
Für die HafenCity kann diese jüngste Entwicklung bedeuten, dass die Auflagen und Einschränkungen in den Bebauungsplänen für den Strandkai und das Überseequartier aufgehoben werden, sofern das Kreuzfahrtterminal auf dem Großen Grasbrook mit einer Landstromanlage ausgestattet wird. Dann wäre hier der Bau von Wohnungen möglich. Aus diesem Grund hatte die SPD bereits im Januar 2013 beantragt, mit den Investoren des Überseequartiers über die Schaffung von Wohnraum im südlichen Überseequartier zu sprechen. Zwischen den Zeilen des Antrags liest man deutlich heraus, dass sie nicht nur auf eine Stabilisierung der in ihren Augen finanziell etwas strapazierten Investoren hofft, die Fraktion hat offenbar auch im Sinn, damit den Bau eines lukrativen, aber stadtplanerisch nicht wünschenswerten Shoppingcenters abwenden zu können. In jedem Fall könnte die HafenCity durch die Entscheidung für Landstromversorgung ein ganz neues Gesicht zur Elbe bekommen. Da lassen sich natürlich eine Menge Konjunktive heraushören. Andererseits: Stadtentwicklung wird ja häufig im Konjunktiv betrieben.
Text: Nikolai Antoniadis, Illustrationen: Astrid Hüller, Maria Knuth