Das versunkene Museum
Zu den herausragenden neuen Waterfront-Bauten gehört auch eines mit besonderem Tiefgang: Das „Museet for Søfart“ im dänischen Helsingør. Mit Schloss Kronborg ist die Stadt bereits in die Liste des Welterbes der UNESCO aufgenommen, nun hat sie sich ein neues untergründiges Handels- und Seefahrtsmuseum zugelegt
Die Kombination aus Seefahrt und Museum bringt den HafenCitoyen unwillkürlich ins „Fahrwasser“ des heimischen Internationalen Maritimen Museums. Peter Tamm hat im ehemaligen Kaispeicher B sich und seiner Sammlung maritimer Exponate ein eindrucksvolles Denkmal gesetzt. Die Geschichte der Seefahrt wird dort in einem historischen Backsteinspeicher erzählt, der möglicherweise bald selbst zum Welterbegut gehören wird. Helsingør und die HafenCity sind Gastgeber für die sentimentale Erinnerungskultur einer Seefahrt, die es nicht mehr gibt. Auch wenn die beiden Museumsbauten nicht unterschiedlicher sein können, ist die jeweilige architektonische Lösung beeindruckend und lässt sie in derselben Liga spielen. Und das geheime Band zwischen beiden Hafenstädten wird durch die Erfahrung noch gestärkt, dass das Festland der dänischen Seemacht vor gar nicht allzu langer Zeit bereits in Altona begann.
Unweit der schwedischen Küste liegt im dänischen Helsingør am Øresund Schloss Kronborg, in dem nicht nur Shakespeare seinen Hamlet leben und sterben ließ, sondern dessen drei schlanke Renaissancetürme aus dem 16. Jahrhundert ein erster oder letzter heimatlicher Gruß für die dänischen Seefahrer war, die in ihr Land zurückkamen oder es verließen.
Der richtige Platz also für ein Seefahrtsmuseum. Wenn da nicht die strengen Regeln der UNESCO für das unmittelbare Umfeld eines Welterbes wären und die Dänen ihr royales Erbe nicht über alles lieben würden: „Höhe Eins“ (in Metern) heißt die Formel. Höher darf nicht gebaut werden – und das wird eingehalten. Eine gläserne Balustrade ist das einzige Bauteil über Normalnull. In der blendenden Eis- und Schneelandschaft dieses Wintertages bleibt selbst sie im Dunst unauffällig. Erst wenige Meter vor dieser gläsernen Umzäunung wird das 146 Meter lange, zehn Meter tiefe ehemalige Trockendock aus ruppigem Stahlbeton sichtbar.
Die Ausgangslage in skandinavischen Häfen wie Malmø, Gøteborg, Oslo oder Helsingør ist die gleiche wie in Hamburg. Dort, wo früher die Ladungen der Seeschiffe umgeschlagen oder wie hier Fähren und Frachter gebaut wurden, ist infolge des Strukturwandels plötzlich in Altstadtnähe viel Raum für Neues – und hier kann, wir wissen das, Spektakuläres entstehen. Deshalb würdigten die Architekten den Wunsch des Museumsdirektors nach einer Ikone anfangs noch durch eine Skizze, die an das berühmte Guggenheim-Museum in Bilbao erinnerte. Es kam anders.
Das neue Bauwerk selbst ist kein Haus im üblichen Sinne, sondern wirkt von oben gesehen wie eine leere Arche, die über Brücken und Rampen ans „Festland“ angeschlossen ist. Im Winter ist die Annäherung ein maritimes Abenteuer. Wenn die Gangways wie an diesem Morgen nicht geräumt sind, wird die Beplankung zur Piste, und man ist den Krücken beinahe so nahe wie eine skandinavische Prinzessin in Hamburg.
Das eigentliche Museum breitet sich hinter dem rauen Dockbeton aus. Ausgerechnet der dänische Architekt Bjarke Ingels (BIG), der binnen weniger Jahre zwei Architekturbüros in Kopenhagen und New York mit weit über 200 Mitarbeitern aufgebaut hat, taucht also ab. Ingels gilt seit der Jahrtausendwende weltweit als Wunderkind der Architekturszene, kein spektakulärer Architektenwettbewerb, zu dem er nicht eingeladen wird. Er benutzt Bauplätze als Bühnen, die er perfekt für seine „Personal Performance“ ausstaffiert. Für seine Kommunikation geht er ungewöhnliche Wege. So etwa 2009 mit seiner Ausstellung „Yes is More“, in der er das Format des Comics in der Ausstellung und im Katalog instrumentalisierte. Sein neues Büro in einer ehemaligen Kronkorken-Fabrik für Carlsberg ist kirchenhoch – die vielen weißen Arbeitstische mit Apple-Computern werden von schwarzen T-Shirt-Trägern umlagert wie die Pforte einer Szenedisco. Man spürt förmlich die Energie in der Halle aufsteigen. Gut versinnbildlicht durch Fragmente der alten Stromversorgung wie Isolatoren und Kabelstränge für die ebenfalls erhaltenen Laufkrane.
„Obwohl unter der Erde“, sagt Bjarke Ingels, „ist es uns gelungen, das höchste Gebäude zu errichten, das wir jemals für Dänemark erdacht haben.“ Der Boden des Trockendocks liegt 10 Meter unter dem Erdboden, Bohrpfähle zur Sicherung der Anlage ragen noch einmal 30 Meter in die Tiefe. Auf diese Weise ist Bjarke Ingels zum Helden des Paradoxen geworden: zu einem, der bisher als ehemaliger Herold der signature architecture galt und dessen Markenzeichen künstliche Hügel und Berge sind
Das Museet for Søfart ist ähnlich grandios, doch in die andere Richtung gebaut: „Obwohl unter der Erde“, sagt Bjarke Ingels, „ist es uns gelungen, das höchste Gebäude zu errichten, das wir jemals für Dänemark erdacht haben.“ Der Boden des Trockendocks liegt zehn Meter unter dem Erdboden, Bohrpfähle zur Sicherung der Anlage ragen noch einmal 30 Meter in die Tiefe. Auf diese Weise ist Bjarke Ingels zum Helden des Paradoxen geworden: zu einem, der bisher als ehemaliger Herold der signature architecture galt und dessen Markenzeichen künstliche Hügel und Berge sind. Für die HafenCity plante er 2008 die „Alpenwiese“, eine schwimmende Eventinsel im Hafenbecken vor der Elbphilharmonie, die in diesem gebirgigen Zusammenhang als Hintergrund-Gletscher interpretiert wird. In Helsingør sind zwischen Wettbewerbsgewinn und Fertigstellung fünf lange Jahre vergangen, was dem Schwierigkeitsgrad der Aufgabe geschuldet ist. Aber fünf Jahre sind vermutlich die Hälfte der Bauzeit der Elbphilharmonie und in Gletscherzeit gemessen ohnehin vernachlässigenswert.
Das maritime Museum hat auch nicht die Charakteristik „gefrorener Musik“, was bisweilen von der Elbphilharmonie behauptet wird, sie ist, wie die Süddeutsche Zeitung meinte, mit „gefrorenem Seegang“ zu vergleichen. Und der Beobachter im dänischen Winter ahnt, wo das frostige Spektakel, unterstützt von einer perfekten Audio-Installation, kulminiert: im Untergeschoss, wo in einem schrägen Raumfluss aus Beton und Glas, der jede Ahnung von rechten Winkeln vergessen macht, Schiffsmodelle, Navigationsgeräte und andere maritime Pretiosen präsentiert werden. Die gesamte Außenwand wird per Projektion zum Meer, der Boden wirkt wie Sand und Wasser in einem, und die polygonalen Glasvitrinen mit his-torischen Schiffsmodellen oder Navigationsgeräten werden scheinbar zu schaukelnden Eisschollen. Der Raumrausch aus Rampen, sanft geneigten Böden und asymmetrischen Ausstellungskabinetten will eines suggerieren: Wir sind Schiff! Und die Durchblicke in den offenen Innenraum des alten Docks zeigen, wo es hätte gebaut werden können.
Das ist die neue Art einer implosiven Architektur, die die Formexplosion über der Erde nicht mehr nötig hat. Wer schnell nach Helsingør aufbricht, kann auf den internen Rampen, die temporäre Ausstellungen aufnehmen können, die Entstehungsgeschichte verfolgen. Dort und im vorzüglichen Ausstellungskatalog werden manche Superlative abgebildet: etwa die drei schweren Stahlbrücken, die das Verbindungsgerüst des Museums bilden, oder die komplizierte Gründung unterhalb des Meeresspiegels. „Wir können auf Architektur und Konstruktion stolz sein“, sagt Bjarke Ingels, „sie bilden jetzt ein Gesamtkunstwerk, das die dänische Seefahrtsgeschichte bestens nacherzählt!“ Und er hat Recht, viele der gezeigten Museumsschätze sind vielleicht etwas weniger exklusiv, und die technische Inszenierung an vielen Stellen auch kein unique selling point. Aber ein Ausstellungsstück ist sicher ein echter Superlativ – das Trockendock selbst.
Text: Dirk Meyhöfer, Fotos: Luca Santiago Mora (1, 4, 9), BIG (5, 6), Søren Solkær Starbird (7), Signe T. Lundgren (2), Thijs Wolzak (3, 8)