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Unikate mit Profil

Katrin Oeding und Uwe Ehinger entwickeln Custombikes für gehobene Ansprüche – und eine neue Marke gleich dazu. Das Rad erfindet das Unternehmerpaar dabei zwar nicht neu, liefert aber ein beeindruckendes Beispiel für moderne Wertschöpfung mit viel Leidenschaft 
Ehinger Kraftrad

Seit 2008 arbeiten Katrin Oeding und Uwe Ehinger am Aufbau ihrer Motorradmarke, dem Ehinger Kraftrad. Dabei leben sie konsequent ihren eigenen Kult – und verstehen sich zugleich als Hüter eines nahezu verlorenen Motorradwissens

Brook 5, 2. Boden: Es ist einer dieser besonders schicken Arbeitsplätze in der historischen Speicherstadt, ideal für kreative und innovative Köpfe. Tatsächlich spürt der Besucher beim Betreten dieser Etage sofort ein wenig Zeitgeist – gemischt allerdings mit einer ordentlichen Portion Industrieromantik. Das Interieur ist absolut stilecht: An den Decken hängen klassische Fabrikleuchten, Akten und Ordner werden in alten Werkzeugschränken gelagert, und in der Ecke steht eine Werkbank, an der gewiss schon jahrzehntelang harte körperliche Arbeit verrichtet wurde. Und dann sind da noch die verrosteten Benzintanks auf den schlichten Wandregalen und in der Mitte des Raumes das gute halbe Dutzend edler Motorräder im Stil der 1930er und 1940er Jahre.

Eine Schrauberwerkstatt befindet sich hier jedoch ebenso wenig wie ein Museum für Industriedesign. Nur, was genau geschieht auf diesem Speicherboden, hinter der Luke 5, wo ehemals Importgüter wie Kaffee, Tee und Gewürze umgeschlagen wurden? Das Geschäft von Katrin Oeding und Uwe Ehinger ist komplexer, aber nicht minder bodenständig. Die Motorräder im Zentrum jedenfalls sind mehr als reine Staffage. Um sie geht es – und um den Aufbau einer Marke. Oeding ist auf Corporate Identity und Brand Development spezialisiert, Ehinger ein Veteran in Sachen Vintage-Bikes. 2008 gründeten die beiden das Unternehmen Ehinger Kraftrad – und teilen seitdem beim täglichen Job ihre Begeisterung für schlichtes, funktionales Design und straßentaugliche Motorräder.

Ehinger Kraftrad

Matter Lack und wenig Chrom: Originale Vintage-Bikes wie die Harley Davidson Red Flathead von 1939 sind Zeitzeugnisse einer alten Motorradkultur, deren Philosophie seit ein paar Jahren im Brook 5 wiederbelebt wird

Ihre eigene Street Credibility betonen die beiden Gründer auch gern: Katrin Oeding steuert zwar in erster Linie das Know-how für Gestaltung und Markenführung bei, das sie während ihrer langjährigen Agenturlaufbahn erlangt hat; ihre enge Beziehung zu heißen Motorrädern entwickelte sie jedoch schon viel früher: „Ich habe Benzin im Blut“, sagt sie lächelnd. „Schon als Kind habe ich viele Stunden in meiner ostdeutschen Heimat beim Speedway verbracht.“ Seitdem hat sie ein Faible für diese im Westen kaum noch beachtete Motorsportart. Später, in ihrer Wahlheimat Hamburg, arbeitete sie als Designerin und gestaltete Literatur, Markenbücher und Kampagnen für Autobauer wie Lamborghini und Audi. Den Designansatz für die Ehinger Krafträder umschreibt sie dann auch gern im Agenturjargon und betont immer wieder ihre Lieblingsformel: „Reduced to the Max“. Dabei kommt ihre Begeisterung für mechanische Fragen und ausgefeilte Motorradtechnik besonders dann zum Ausdruck, wenn sie direkt neben den Maschinen im Showroom über Details spricht – zum Beispiel neben der 650er Triumph Thunderbird 6T, also exakt dem Modell, auf dem schon Marlon Brando in „The Wild One“ posierte; oder der ebenso seltenen 1200er Harley Davidson Red Flathead von 1939, die im Originalzustand über mehrere Generationen auf der Straße bewegt wurde – und somit genau die Eigenschaften mitbringt, die Uwe Ehinger liebt.

Sonderanfertigungen mit Airbrush-Verzierungen und Chrom-Extras sucht man vergeblich. Pimpen dürfen andere
Ehinger Kraftrad

Uwe Ehinger ist nicht nur Liebhaber und Händler von Sammlerstücken; er ist auch Konstrukteur und Tüftler, wenn es um anspruchsvolle Motorradtechnik geht

Bereits Mitte der 1970er Jahre begann der passionierte Biker mit dem Motorradhandel und bereiste dafür die ganze Welt auf der Suche nach seltenen Fundstücken. Er machte Scheunenfunde in Uruguay, abenteuerliche Geschäfte in Chile (dort wurden 50 US-Dollar und ein funktionsfähiges Fahrrad kurzerhand – und zur Freude aller Beteiligten – gegen eine reparaturbedürftige Indian-Vierzylinder getauscht) und kaufte der südkoreanischen Regierung Teile der Flotte ausgedienter Polizeimaschinen ab. „Mehrere hundert Maschinen habe ich bis Ende der 80er gekauft, verkauft und aufgearbeitet“, verrät Ehinger. „Danach war der Markt leergefegt; und wer heute tatsächlich noch ein altes Original im Familienbesitz hält, kennt durch das Internet längst die traumhaften Preise auf dem internationalen Sammlermarkt.“

Mit originalen Vintage-Bikes handelt Ehinger daher nur noch selten. Sein Hauptaugenmerk gilt heute den eigenen Entwicklungen, den „Interpretationen“, wie er die Umsetzung seiner Motorradkonzepte gern nennt. Und hier ergänzen sich die beiden Unternehmensgründer ideal: Der Tüftler Ehinger, der seine Entwürfe am Computer mit CAD-Software und in 3-D-Ansicht zeichnet, und seine Partnerin Katrin Oeding, die für die stringente Designumsetzung verantwortlich ist.

Die Resultate dieser Zusammenarbeit stehen direkt neben den alten Originalen im hauseigenen Showroom. Zwar erinnern auch diese Motorräder allesamt an die Formsprache der 1930er und 1940er Jahre; ihre Baukomponenten sind jedoch neu oder zumindest komplett überarbeitet. Eine 2012er Triumph Bonneville (bei Ehinger umgetauft in Triumph Street Tracker) hat dann nur noch wenig mit ihren Schwestern vom Laufband gemein, wirkt ohne ihr Retrokleid von der Stange sportlicher und als moderner Klassiker doch irgendwie authentisch. Und auch bei der umgebauten Version einer Harley Davidson Grey Knucklehead scheint nur der kräftige Motor mit den charakteristischen außenliegenden Stößelstangen im Originalzustand geblieben zu sein; alles andere wurde elegant geliftet und auf das Wesentliche reduziert. Statt eines entbehrlichen Schutzblechs am Vorderrad bekommt so ein Bike bei Ehinger dann lieber mal eine moderne Zündung. Alles im Sinne der alltäglichen Fahrfreude.

Aufgemotzte Sonderanfertigungen mit flammenden Airbrush-Verzierungen und blendenden Chrom-Extras sucht man hier vergeblich. Pimpen dürfen andere. Selbst das Design der auffälligsten Maschine im Showroom, des schneeweißen Snowracer, orientiert sich an den schlichten Formen der Wettbewerbsmaschinen klassischer Motorsportarten wie Trial und Speedway sowie dem in den 1930er Jahren in den USA populär gewordenen Hillclimbing. „Für die Umsetzung dieses Konzepts wurden wir 2013 sogar mit dem renommierten iF Product Design Award ausgezeichnet“, verkündet Katrin Oeding stolz und fügt noch schnell hinzu: „Grundsätzlich fahren unsere Showbikes auch auf der Straße.“

Ehinger Kraftrad

Das Wandregal mit den klassischen Originaltanks ist schlicht – und wirkt dennoch wie ein kleiner Altar

Die Designerin mit der ausgeprägten Motorradliebe bezeichnet sich selbst auch gern als Bauhaus-Anhängerin – und tatsächlich achten sowohl Oeding als auch Ehinger bei der Entwicklung ihrer Zweiräder konsequent auf die Erfüllung jener bereits von Gropius und seinen Mitstreitern geforderten Produkteigenschaften: Die Dinge müssen haltbar sein und schön, aber stets auch ihre praktische Funktion erfüllen. Lediglich das Low-Budget-Kriterium, das die deutschen Designväter aus Weimar und Dessau gern zusätzlich zu ihrem hohen Anspruch an edle Verarbeitung und hochwertige Materialien postulierten, erfüllen die Zweiräder aus der Speicherstadt definitiv nicht: Denn eine Einzelanfertigung der Marke Ehinger Kraftrad kostet so viel wie ein Luxussportwagen. Apropos Sportwagen: „Die Ingenieure des deutschen Autobauers Porsche sind seit den 80ern maßgeblich für die Neuentwicklung von Harley-Motoren verantwortlich“, erklärt Ehinger, der die Entwicklungsgeschichte der ursprünglich aus Milwaukee stammenden Zweiräder wie kaum ein anderer kennt – und seine Partnerin ergänzt: „Auch wir haben großen Respekt vor der deutschen Ingenieurs- und Handwerkstradition.“ Deshalb setzen die beiden betont auf die Fertigung aller Neuteile in deutschen Traditionsbetrieben: zum Beispiel Luftfilterdeckel im klassischen Sandgussverfahren, gehärtete Stahlfedern von Qualitätsherstellern oder Lederware von lokalen Gerbern. „Auch die Haut für unsere Sitzbänke stammt von Tieren aus Norddeutschland“, bekräftigt Oeding.

Ehinger Kraftrad

Vom klassischen Motorsport inspiriert: Die Maxime Reduced to the Max wird bei Ehinger Kraftrad zum Stilmerkmal

Dabei ist der Schwur auf das heimische Handwerk bei den beiden Enthusiasten mehr als nur das Resultat ihrer hohen Qualitätsansprüche und guten Erfahrungen mit lokalen Zulieferern, sondern auch Teil ihrer Marketingstrategie. Ihre Kunden kommen vornehmlich aus Japan sowie auch aus Frankreich, Italien und den USA. Zum Teil sind das Länder, in denen das Gütesiegel „Made in Germany“ noch eine tiefere Bedeutung besitzt; es steht dort nach wie vor für Qualität, Funktionalität und Langlebigkeit. Dass nur die Neuteile an den Custombikes aus hiesigen Produktionsstätten stammen und das Design auch nach den Umbauten eigentlich gar nicht typisch deutsch ist, sondern weiterhin an klassische US-Bikes erinnert, scheint dem Image der vermeintlich urdeutschen Marke nicht abträglich zu sein. Der Purismus ist bei Ehinger Kraftrad jedenfalls relativ: Die grenzenlosen Möglichkeiten bei der Weiterentwicklung werden voll ausgeschöpft und bewährte Mechaniken anderer internationaler Hersteller ebenfalls gern verwendet. Alte und neue Bauteile dürfen dabei durchaus kombiniert werden; und es ist kein Sakrileg, wenn auf einem klassischen Harley-Starrahmen dann ein zierlicher Tank verschraubt wird, dessen Design an eine 80ccm-Yamaha-Zweitaktmaschine erinnert, für den eigenen Zweck allerdings noch weiterentwickelt und schließlich in Aluminium gefertigt wurde. Die japanischen Kunden scheinen mit dieser Mixtur jedenfalls keine Probleme zu haben, was sicherlich auch daran liegt, dass in Asien die Furcht vor Eklektizismus deutlich weniger verbreitet ist als in Europa.

Ehinger Kraftrad

Ehinger Kraftrad

Ob das Marketing von Ehinger Kraftrad zukünftig mehr Käufer in der Heimat anspricht, muss sich erst noch zeigen. Ein Blick auf die imposanten Maschinen im Showroom der Speicherstadt dürfte sogar den einen oder anderen Hamburger überzeugen, der sonst tendenziell jeden Harley-Hype verdammt – angesichts der allsommerlich in die Hansestadt strömenden Werner-Karikaturen mit ihren überdimensionierten Hinterreifen, notorisch bösen Blicken und gefühlten 150 Dezibel. Bisher bestärkt jedoch vornehmlich der internationale Erfolg die leidenschaftliche Arbeit und den Aufbau des eigenen Motorradkults. Drei bis fünf Maschinen entwickeln die beiden durchnschnittlich im Jahr für ihre solventen Kunden. „Es sind vornehmlich Motorradenthusiasten, die in erster Linie Fahrspaß wollen – und manchmal auch eine gute Wertanlage“, erklärt Oeding, die den internationalen Absatz in Zukunft noch etwas steigern will, gewiss aber keine Massenproduktion plant, denn jedes Motorrad soll ein Unikat mit ganz individueller Entstehungsgeschichte bleiben. Und auch die eigene Geschichte der beiden Unternehmensgründer, die bereits seit Anfang der 1990er Jahre ein Paar sind, wird ohne Zweifel ein starker Motor bei der zukünftigen Entwicklung sein. „Für den Aufbau der Marke Ehinger Kraftrad werden wir besonders Uwes außergewöhnlichen Lebensweg als langjähriger Händler und Sammler, Rennfahrer, Konstrukteur und Hüter verlorenen Motorradwissens noch mehr aufarbeiten“, prophezeit die Partnerin und Expertin für Markenführung.

Text: Sven Grönwoldt, Fotos: Jonas Wölk, Astrid Hüller
Quartier 25, März–Mai 2014 , Rubrik:    
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