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Zuversicht, woher?

Theatermacher Michael Batz macht sich Gedanken über eine bedrohte Spezies

 

Michael Batz

Michael Batz

Immer wenn Monsieur Wahid gegen die Tauben kämpfte bei Hanna Salibas Restaurant in den Alsterarkaden, musste ich an Zuversicht denken. Seine Zuversicht, die schön gedeckten Tische mit den verstreuten roten Linsen, Mohnkörnern und Rosenblättern gegen die Tauben zu verteidigen, kämpfte gegen die Zuversicht der Tauben, genau diese Körner zu erbeuten und die Tische zu verwüsten. Vielleicht mag das Wort „Zuversicht“ für eine schlimme Truppe wie Großstadttauben unpassend sein, aber wer einmal eine Stunde in diesem halböffentlichen Raum des Genießens vor Mazza oder Shaorma zugebracht hat, weiß, was Hartnäckigkeit bedeuten kann. Zuversicht ist die Illusion, die zum Handeln treibt, um der Wirklichkeit klarzumachen, dass etwas gebraucht und gewollt wird, und zwar lebensnotwendig. Wer, wie wir, jeden Sommer in der Speicherstadt gegen die Wetterlage antritt, um Open-Air-Theater zu spielen, und das in Hamburg, weiß sehr gut, dass ohne Zuversicht so etwas nicht durchzuhalten ist. Man ist schlicht und einfach ausgeliefert, Gewalten ausgesetzt, die willkürlicher kaum entscheiden könnten und dabei selbst unerreichbar bleiben.

Etwas Kindliches, Elementares, Unbeirrbares steigt aus der Seele hervor. Man stellt sich dem, was kommt, und setzt der Aggression, den Angriffen und dem Absurden etwas entgegen, wovon man überzeugt ist. Was man wirklich braucht, ist der Kern all dessen, was mit Zuversicht zu umschreiben ist. Die Häuser in der Altstadt von Damaskus, mit ihren wunderbaren Innenhöfen, sind eine Art gebaute Zuversicht. Den kleinen Brunnen in der Mitte, gruppieren sich ringsherum Räume der Ruhe, des Gesprächs, des Essens, Trinkens, Nachdenkens, Lachens. Eine böse Vorstellung ist es, dass dort Kämpfe stattfinden, die all das infrage stellen, was diese Häuser bieten: Frieden aus der Überwindung von Gegensätzen. Eine böse Vorstellung ist es, dass Zuversicht wieder so dringend gebraucht wird, dass man über sie nachdenkt, anstatt sie in aller Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit in jeden Tag hineinzunehmen, als Teil des normalen Daseins. Zuversicht ist eine große Geschichtenerzählerin, zuweilen märchenhaft, aber immer mit sehr viel Erinnerung, und Erinnerung ist nie ganz naiv. Sie weiß, dass die Geschichte offen ist, dass immer etwas eintreten kann, womit man nicht rechnet, worüber aber auch niemand anders bestimmen kann. Und dass am Horizont immer etwas aufscheint, was alle Menschen verbindet und alle Destruktion übersteigt.

Dieser Moment des Unwahrscheinlichen kam mir jedes Mal in den Sinn, wenn Monsieur Wahid in seinem Kampf gegen die Tauben zum Mittel der Vernunft griff und, waren keine Gäste da, die Tische abdeckte. Dann war es so, dass dennoch wenigstens eine Taube kam und auf dem leeren Tisch imaginäre Körner pickte. Es konnte einfach nicht sein, dass da nichts mehr war. Wer sagt, dass Zuversicht nur vernünftig ist?

Text: Michael Batz, Foto: Astrid Hüller
Quartier 25, März–Mai 2014 , Rubrik: ,    
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