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Auf gutem Weg

Bezahlbares gemütliches Wohnen und Leben in der Hamburger City? Wie plant und baut man die liebenswerte (Innen-)Stadt heute? Alternativen und Hoffnungen aus dem Quartier rund um St. Katharinen
Katharinenviertel

Gebäudekomplex auf dem Areal der früheren Katharinenschule: Büroriegel zur Willy-Brandt-Straße, Wohnungen zum Innenhof

Ein Bild wie früher in der Kleinstadt oder auf dem Dorf. Pastor Frank Engelbrecht trägt Räuberzivil, und trotzdem geht eine Respektsperson durch die Straßen um St. Katharinen. Kleine große Jungs geben ihm brav die Hand. Natürlich seien die nicht immer so nett, aber ein gemeinsames Jugendprojekt habe sie zusammengeschmiedet. Wir sind, was sich nicht immer sofort mitteilt, in der Hamburger Altstadt, im Kirchspiel St. Katharinen. Trotz vieler Häutungen und Veränderungen ist die Kirche heute vom Bestand her die älteste der fünf Hauptkirchen. Das feine Gotteshaus mit den gotischen Wurzeln und vielen Anhängseln aus der gesamten folgenden Baugeschichte bildet mit seiner Gemeinde Wachstum und Niederlagen des alten Hamburg ab wie keine andere Hauptkirche. Jetzt, da die Stadt wieder nach Süden wächst, die Elbphilharmonie zu ihrem Kirchspiel gehört und sie wegen ihrer Orgel auch Spielort der Elbphilharmonie ist, steht die Kirche wie eine Schutzpatronin für eine neue Hamburger Stadtentwicklung da.

Das war nicht immer so, denn Ende des 19. Jahrhunderts wurden Tausende von Gemeindemitgliedern obdachlos, weil der neue Freihafen und die Speicherstadt die südlichen Hafenviertel unter sich zermalmten. Der Zweite Weltkrieg zerstörte die südliche Altstadt so radikal, dass St. Katharinen fast aufgegeben worden wäre. Hamburg wuchs in den Nachkriegsjahren nicht zum Hafen, sondern an die Alster. Dort aber, wo früher Fachwerk und Backstein geglänzt hatten, war jetzt Brache, wo Namen wie Deichstraße oder Cremon auf alte Traditionen verwiesen hatten, sperrte ein innerstädtischer Highway mit dem spröden Namen Ost-West-Straße den Weg zur restlichen Altstadt und zum Rathaus ab. Südlich davon waren die Hüften der Stadt zu schmal, um Fett anzusetzen.

Ein merkwürdiges Konglomerat an Stadt entstand. Sollte der Geist einer alten Stadt sich hier zurückgezogen haben – ein solches Dornröschen hatte keinen Grund aufzuwachen. Zwar wurde in der Deichstraße liebevoll eine „Museumsinsel“ aus Fragmenten typisch Hamburger Fleethäuser etabliert. Ihr baugeschichtlicher Wert erinnerte aber mehr an ein norddeutsches Disneyland. Allerdings besaß die Cremoninsel noch den Stadtgrundriss und die Kleinteiligkeit des Mittelalters. Desto größer dann der Schock, nördlich der Holzbrücke, die längst nicht mehr aus diesem Material besteht, auf eine Stahlbrücke mit Rolltreppen zu treffen.

Der Wiederaufbau beschränkte sich zunächst auf grobkörnige Geschäftshäuser, die zum Maßstab dieser Stadtautobahn passten. Erst in den 80er und 90er Jahren wurde begonnen, postmoderne Schönheiten fürs Wohnen zu platzieren. Sie biederten sich an die rudimentär geschützten Althamburger Speicherhäuser an, deren Rückseiten (wie an der Deichstraße) mit ihren Winden dokumentieren, dass hier einst reger Binnenhafenbetrieb herrschte, aber mit Altstadtmilieu hatte das nichts zu tun. Fast ein bisschen peinlich provinziell wirken sie, vergleichbar mit den Bauten der Berliner Internationalen Bauausstellung in den 80er Jahren, die als niedliche Vorstadtschönheiten an der Mauer in Kreuzberg entstanden. Keiner glaubte damals daran, dass dort wieder Berlin-Stadtmitte sein könnte. Dann kam die Wende und wenig später auch eine für die Hamburger Stadtentwicklung. Der neue Trend hieß „Zurück an die Elbe“, die Perlenkette entstand, die Speicherstadt wurde revitalisiert und die HafenCity wird gebaut.

Die Grundschule St. Katharinen, die nach dem Krieg als ein gesellschaftliches Aufbruchsignal für die südliche Altstadt gebaut worden war, wurde in die HafenCity verlegt. Kurz danach standen Frank Engelbrecht und die ganze Gemeinde symbolisch in einem städtebaulichen Wirbelsturm, der fast alles umgehauen hätte. An der Frage, wie das abgeräumte Areal zu bebauen sei, schieden sich die Geister. Beinahe wäre es nach gängigem Muster wieder zum Büroviertel geworden – mit der Begründung, die Ost-West-Straße sei viel zu laut fürs Wohnen. Dann wurden doch Wohnungen geplant; würden sie aber bezahlbar sein? Würde es so wie in der HafenCity aussehen? Das wollten die Anrainer auf keinen Fall! In der Folge übten Stadt, Kirchengemeinde, Architekten und Investoren etwas, was lange in Hamburg zu kurz gekommen ist: Partizipation. Das Ergebnis zeigt, dass es sich gelohnt hat zu streiten.

An der wichtigen Achse zwischen Rathaus und HafenCity sind knapp 150 Wohnungen und im Erdgeschoss Gewerbeeinheiten gebaut worden, zur Abschirmung nach Norden ein Büro- und Geschäftsgebäude. Die gut gegliederten Fassaden des Büros Kleffel, Pappay, Warncke sind zwar eine leichte optische Täuschung, weil hier große Blöcke kaschiert werden, doch das differenzierte Backsteinfassadenbild von Einzelhäusern erinnert an Altstadt.

Soweit wir uns wieder nach dem „Bild“ einer „modernen“ Altstadt sehnen – so könnte es aussehen. Und stolz, wie die Kirche zwischen ihren neuen und alten Nachbarn steht beziehungsweise würdevoll von ihnen eingerahmt wird – das hat etwas Versöhnliches für alle Stadtbaukritiker. Das übrigens, was direkt am neuen Katharinenviertel auch kritisiert wurde, nämlich mehr Vielfalt durch unterschiedliche Architekten zu erreichen, wird jetzt auf einem alten Gewerbegelände auf dem Cremon mit 183 Wohneinheiten realisiert. Die Architektur dort stammt unter anderem von GRS Reimer, kbnk, Neumann + Partner, Henke + Partner und LA’KET: Namen, die für gute Architekturqualität stehen.

Städtebaulich wird die Bühne also demnächst für das Stück mit dem Titel „Lebendige, liebenswürdige Stadt“ gut gerichtet sein. Es werden nun Akteure gesucht. Frank Engelbrecht und sein Team stehen bereit …

Text: Dirk Meyhöfer, Foto: Thomas Hampel

 

 
Quartier 26, Juni–August 2014 , Rubrik:    
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