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Ganz schön eigen

Im August begeht Altona sein 350-jähriges Stadtjubiläum. Anlass genug für einen kurzen Streifzug durch die Geschichte
Fischauktionshalle

Die Fischauktionshalle von Altona (vorne) stand nur wenige 100 Meter entfernt von der von St. Pauli, die 1971 abgerissen wurde. (1)

Das Schöne an Jubiläen ist, dass sie dazu einladen, zurückzuschauen. Dabei zeigt sich immer wieder, dass die gebaute Gegenwart selten das logische Ergebnis einer zielgerichteten Entwicklung ist. Eher im Gegenteil.

Die 350-Jahr-Feier erinnert zunächst daran, dass Altona einst dänisch war. Das Stadtrecht wurde 1664 von Frederik III. verliehen, der so den Boden für künftigen Wohlstand bereitete, aber die junge Stadt auch zu einem jahrhundertelangen Ringen mit seinem mächtigen Nachbarn Hamburg verpflichtete.

Diese Rivalität begann mit dem ersten Altonaer. Erstmals erwähnt wird der Ort 1536, als sich der Fischer Joachim von Lohe westlich von Hamburg niederließ. Ihm folgten weitere, die bald mit Hamburger Fischern aneinandergerieten, denn sie verkauften ihre Ware auch auf dem dortigen Markt, weil ihr eigenes Dorf zu klein für einen eigenen war. Dieser Streit begleitete beide Städte für die nächsten 400 Jahre und prägte ihr Verhältnis so stark, dass er 1900 im Stuhlmann-Brunnen in zwei um einen Fisch ringenden Zentauren verewigt wurde.

Die dänischen Könige nutzten das aus, um mit dem Aufbau Altonas die Vormachtstellung Hamburgs zu untergraben. Aber als Altona nach dem Krieg gegen Dänemark 1864 deutsch wurde, zeigte sich, dass man keine Dänen brauchte, um miteinander zu konkurrieren. Baute Hamburg eine Fischauktionshalle, errichtete Altona kurz danach ebenfalls eine. Baute Altona eine Eisenbahn, wollte Hamburg auch eine.

Landtafel

Die Landtafel der Grafschaft Holstein-Pinneberg aus dem Jahre 1588 verzeichnet bereits das kleine Dörfchen Altona (2)

Die Bahn zwischen Altona und Kiel war so erfolgreich, dass die Kapazitäten bald erweitert werden mussten. So baute Altona zeitgleich mit der Fischauktionshalle 1898 einen neuen Bahnhof. Der Vorgänger an der Palmaille steht immer noch und beherbergt heute das Bezirksamt. Der neue Bahnhof hingegen, der bald ein Wahrzeichen Altonas wurde, steht nicht mehr: Er wurde 1979 trotz wütender Proteste abgerissen, weil, so hieß es, die Arbeiten an der U-Bahn seine Statik gefährdeten. Die Architektur des neuen Bahnhofs demonstrierte dann sichtbar, dass er keine Furcht vor Erschütterungen haben musste.

Der Vorgang stand noch ganz im Zeichen von „Neu-Altona“, jener Abriss- und Neubauwut, die seit den 50ern zu radikalen Maßnahmen geführt hatte wie etwa rund um die Große Bergstraße. Die Folgen sind bis heute ein Trauerspiel, trotz regelmäßiger Wiederbelebungsversuche: Ladenpassagen, Kaufhäuser, Einkaufszonen, Bürohochhäuser – und schließlich die Verzweiflungstat, mit einem Innenstadt-Ikea irgendwie Leben in die städtebauliche Ödnis zu holen. An der Praxis, Altes bedenkenlos dem Neuen zu opfern, wurde lange festgehalten. 1971 hatte man die Fischauktionshalle von St. Pauli niedergelegt; auch die Altonaer Halle sollte verschwinden. Erst nach und nach schaute man mit anderen Augen auf Bauzeugnisse der Industrie- und Wirtschaftskultur. 1982 rang sich der Senat durch, die Auktionshalle sanieren zu lassen. Ein paar Jahre später wurde auch die alte Schiffsschraubenfabrik Zeise in ein Kultur- und Medienzentrum umgebaut.

Dabei war Ottensen zu jener Zeit keineswegs ein attraktiver Stadtteil. „Vereinsamte Alte, verwahrloste Junge und kinderreiche Türkenfamilien wohnen hier. Ein Arme-Leute-Viertel, heute wie vor hundert Jahren“, stellte „DIE ZEIT“ 1983 fest. Aber das Viertel, das Mitte des 19. Jahrhunderts mit seinen Fisch- und Zigarrenfabriken, Glashütten und Metallproduktionen zu einem der wichtigsten Industriestandorte Norddeutschlands geworden war, stand am Anfang eines Umbruchs, der heute als Lehrbeispiel für Gentrifizierungsprozesse dient. Am Anfang standen kleine Privatinitiativen wie der Kauf der Drahtstifte-Fabrik Feldtmann in der Zeißstraße; ein paar Meter weiter pachtete eine Gruppe junger Alternativer die verfallene Parfümerie- und Seifenfabrik Georg Dralle, um dort Wohnungen und Arbeitsräume einzurichten. Heute dient dieser „Werkhof“ der fux eG als Vorbild, die sich gerade um den Kauf der Viktoria-Kaserne bemüht – in die der Verein Frappant gezogen war, weil der Bezirk sich in der Großen Bergstraße eine Ikea-Filiale wünschte.

Altona

Links: Das Bezirksamt, früher Bahnhofsgebäude von Altona. Mitte: Die Hallen der Fischmarkt Hamburg-Altona GmbH an der Großen Elbstraße. Rechts: Der Elbstrand bei Oevelgönne mit Blick auf den Hafen gehört zu den beliebtesten Orten Altonas, zumindest bei gutem Wetter. (3, 4, 5)

Einige schlechte Gewohnheiten haben eben doch überlebt. Das zeigte auch 2007 der Abbruch des Bismarckbads, das durch ein Allerwelts-Einzelhandelshaus mit zweistöckigen Glasfassaden ersetzt wurde. Eine Art Post-Gentrifizierung, ein Trend zur Beliebigkeit, wo Stadtentwicklung mit Ladenketten betrieben wird. Dieser Fehler wird hoffentlich nicht wiederholt, wenn der Altonaer Bahnhof, dessen Bau so großen Unwillen verursachte, verlegt wird und Platz für die „Neue Mitte Altona“ macht. Heute ist Altona Teil eines Entwicklungsgebiets, das von Neumühlen über die HafenCity bis zum Harburger Binnenhafen reicht. Die Verlagerung des Hafens ans südliche Elbufer hat seit 1983 zu immer mehr städtebaulichen Wettbewerben für die verlassenen Flächen am Nordufer geführt; man sprach jetzt von „erhaltenswerten Geschichtsspuren“, „identitätsstiftender Wirkung“, „denkmalpflegerischem Wert“. So entstanden das Fährterminal der Englandfähre (1992), das Wohnstift Augustinum (1994), das Dockland (2005) und jüngst der „Kristall“ am Holzhafen.

So bewahrheitet sich vielleicht erneut ein geflügeltes Wort von Heinrich Heine. Den Wettstreit zwischen den beiden Nachbarstädten vor Augen, nannte er Altona einmal halb spöttisch, halb anerkennend eine der schönsten Sehenswürdigkeiten Hamburgs.

Text: Nikolai Antoniadis, Fotos: Hamburger Hafen und Logistik AG, Gustav Werbeck (1); Abbildung: Landtafel der Grafschaft Holstein-Pinneberg, 1588, Altonaer Museum für Kunst und Kulturgeschichte, Reproduktion Manfred Stempels  (2), Thomas Hampel (3, 4, 5)
Quartier 26, Juni–August 2014 , Rubrik:    
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