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Blaues Wunder

Schon wenige Monate, nachdem das Start-up WunderCar in der Hongkongstraße seine Arbeit aufgenommen hat, setzen Taxiunternehmen und Wirtschaftsbehörde alles daran, dass es die Arbeit wieder einstellt
WunderCar

Ideengeber, Geschäftsführer und Haupteigentümer der WunderCar Mobility Solutions GmbH Gunnar Froh (ganz rechts) mit Mitgliedern seines Teams in der HafenCity (1)

WunderCar

Die Fahrten werden zwar über eine App von WunderCar vermittelt, Fahrer benutzen dafür aber ihren privaten Pkw – keine WunderCar-Autos (2)

Gunnar Froh hatte eine Idee: eine Mitfahrzentrale für die Stadt. Es sollte aber nicht darum gehen, schnell sein Ziel zu erreichen; stattdessen sollen sich Menschen begegnen, die während der Fahrt eine interessante Zeit miteinander verbringen. Der Fahrer nutzt sein eigenes Auto und verlangt kein Geld. In Kontakt mit seinem Fahrgast kommt er über eine App. Ihr Name: WunderCar.

Am Anfang setzte sich Froh mit ein paar Freunden in seiner Wohnung in der HafenCity zusammen und programmierte. Als es dort zu klein wurde, zogen sie ein paar Häuser weiter in die Hongkongstraße. Hier herrscht eine entspannte Lockerheit, als wären sie immer noch zu Hause: Kapuzenpullis, Tischkicker, ein Hund, jede Menge Notebooks. WunderCar ist gut angelaufen; Fahrer sind in Hamburg, Berlin, Dublin und Budapest unterwegs. Weitere Städte sind im Aufbau. Froh und sein Team haben also allen Grund, locker zu sein. Aber ihre Idee hat Kritiker auf den Plan gerufen. Nur wenige Wochen, nachdem sie an den Start gingen, sind vor allem Taxifahrer auf die Barrikaden gegangen. Deren Zorn richtete sich erst gegen das aggressive Auftreten des US-Unternehmens Uber, aber es dauerte nicht lange und WunderCar wurde in denselben Topf gespült. Anfang April wetterte der Hamburger Taxenverband e. V. (HTV) gegen die „Hobby-Taxis von WunderCar, Uber & Co“, die „Schwarzarbeit und Steuerhinterziehung“ begünstigten und dem Taxigewerbe mit gesetzeswidrigen Mitteln Kunden abspenstig machten. Im Juni kam es sogar zu einer internationalen Aktion, als von London bis Madrid, von Paris bis zur HafenCity Taxiverbände gegen On-Demand-Chauffeurdienste auf die Straße gingen, die in ganz Europa aktiv geworden sind.

WunderCar

Die Leistung von WunderCar beruht im Kern auf der Programmierung der App und der darüber laufenden digitalen Vermittlung von Fahrten zwischen Fahrern und Nutzern (3)

Frohs Start-up hat sich in einen streng regulierten Markt gewagt. Wer Personen gewerbsmäßig befördern will, benötigt einen Personenbeförderungsschein und eine Lizenz. Taxis und deren Fahrer müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllen, ein regelmäßig geeichtes Taxameter anschaffen, Ortskundeprüfungen machen. Dafür genießen sie Privilegien. Zum Beispiel dürfen sie halten, wo andere nicht halten dürfen. Der Grund dafür ist, dass sie Teil des ÖPNV sind. Deshalb dürfen sie Fahrgäste nicht ablehnen und können ihre Preise nicht selbst festlegen (das tun die Kommunen). Der Taxifahrer Sascha Bors bringt es in seinem Blog treffend auf den Punkt. „Taxifahren ist nicht nur die bequemere und luxuriösere Variante, von einem Club besoffen nach Hause zu fahren, weil man keinen Bock auf Warten hat“, schreibt er. „Taxifahren ist auch, gehbehinderten Rentnern auf dem Land eine Möglichkeit zu geben, vom Arzt nach Hause zu kommen, wenn die nächste Haltestelle mehrere Kilometer entfernt liegt.“ Das Gesetz zur Personenbeförderung ist auch ein Verbraucherschutz.

„Demnächst fordern die Brüder wohl noch, dass man mit einer neuen App Drogenhandel zulassen müsse“

Das würde auch Gunnar Froh unterschreiben. Er fühlt sich aber nicht angesprochen. Denn Fahrer, denen WunderCar Fahrten vermittelt, verlangen kein Geld. Der Fahrgast kann, wenn er will, ein Trinkgeld geben. Muss er aber nicht. Das ist in seinen Augen kein Gewerbe. In den Augen der Wirtschaftsbehörde schon. Sie erklärte, sie sei „zur Überzeugung gelangt, dass die WunderCar angeschlossenen Fahrer entgeltliche Personenbeförderung durchführen“. Die Pressemeldung, bewusst streng gehalten und medial weitgehend als Verbot von WunderCar verstanden, ließ die Tür aber einen Spalt offen: „Eine Ausnahme sieht das Gesetz nur für Beförderungen mit Pkw vor, bei denen das  Gesamtentgelt die Betriebskosten der Fahrt nicht übersteigt oder die Beförderung unentgeltlich ist.“ Und weil WunderCar meint, dass genau das der Fall ist, läuft das Geschäft weiter – mit einer kleinen Änderung: Bisher „empfahl“ die App am Ende einer Fahrt ein Trinkgeld, das sich daran orientierte, was andere für die Strecke bezahlt hatten. Damit war nun Schluss. Ab sofort wurden stattdessen die Betriebskosten der Fahrt angezeigt, 35 Cent pro Kilometer, laut ADAC die durchschnittlichen Betriebskosten eines Golf VII.

An diesem Punkt kann man fragen: Wenn es nicht gewerblich sein soll, warum sagt WunderCar nicht einfach: Es ist umsonst? Kein Trinkgeld, keine „Empfehlung“? Nun, weil Teilen in der Sharing Economy anders funktioniert. Egal ob Zimmer, Mitfahrgelegenheit oder Werkzeug, das Leitmotiv ist immer dasselbe: Du musst es nicht besitzen; du musst nur darüber verfügen können, wenn du es brauchst. Du brauchst zum Beispiel kein Auto, wenn dich jemand fährt. Deshalb ist der Trend auch so attraktiv. Im Zusammenspiel aus schmalem Budget und der Allgegenwart von Smartphones und Social Media können alle möglichen Produkte und Leistungen digital geteilt werden. Und wie alles, was beliebt ist, lässt es sich zu Geld machen. Uber soll 17 Milliarden Dollar wert sein. Das amerikanische Vorbild von WunderCar, Lyft, hat gerade 250 Millionen Dollar zur weiteren Finanzierung erhalten. Die Liste lässt sich ellenlang fortsetzen. Auch WunderCar hat Investoren, die trotz Behörden und Verbänden an das Geschäftsmodell glauben. Bereits im Winter 2013 hatte es eine siebenstellige Seed-Finanzierung gegeben, dem Vernehmen nach unter anderem von Ex-StudiVZ-Geschäftsführer Michael Brehm und dem französischen Software-Unternehmen Partech Ventures.

Das WunderCar-Geschäft beruht auf der Provision, die bei der Vermittlung von Fahrten fällig wird, 20 Prozent des „Trinkgeldes“. Damit sich das bei 35 Cent pro Kilometer rechnet, müssen sehr viele Transaktionen stattfinden. Deshalb war eine schnelle Expansion von Anfang an Teil der Strategie, WunderCar schrieb ein paar Dutzend Stellen aus, Country Manager für Dänemark, Italien oder die Türkei, für Praktikanten mit Sprachkenntnissen in Bulgarisch, Lettisch oder Slowenisch. Im März 2014 hatte Froh erklärt, er wolle langfristig „einige Tausend Fahrer in jeder Stadt haben“. Er weiß, was er tut. Bevor er WunderCar gründete, war er Deutschlandchef des US-Unternehmens Airbnb. Erst 2008 gegründet, vermittelt es heute mehrere Millionen Übernachtungen weltweit und soll einen Wert von 10 Milliarden Dollar haben.

Gunnar Froh, von 2011 bis 2013 Deutschlandchef von Airbnb und Gründer von WunderCar (4)

Froh weiß deshalb auch, dass sein Sharing-Modell ohne finanzielle Anreize nicht in Gang kommt. Damit es nicht als gewerblich gilt, aber günstiger als Gewerbe bleibt, argumentiert er mit den Betriebskosten – aber nicht pro Fahrt, sondern pro Jahr. Es soll dem Fahrer überlassen sein, in welchem Zeitraum er diesen Schwellenwert erreicht. Er könnte zum Beispiel in den Semesterferien oder im Urlaub Hunderte von Fahrten machen, im Monat 1.000 oder 2.000 Euro verdienen, weil sein Golf ihn im Jahr 5.000 Euro kostet. Auf demselben Zug fährt eine Reihe von Firmen, darunter Airbnb, mit einer Online-Petition: Wer jährlich unter 5.000 Euro durch die Vermietung seiner Wohnung oder seines Autos verdient, soll nicht als gewerblich gelten. Man ahnt, wo das hinführt.

Womit haben wir es also zu tun? Die ZEIT nannte Sharing ein „Trendchen“, in seiner Gefahr für traditionelle Gewerbe überschätzt. Andere sehen hinter dem Feigenblättchen einer nachhaltigen Teilfreude das urkapitalistische Bestreben, Märkte zu deregulieren. Die Debatten über Uber oder WunderCar werden auch gerne als eine Art Evolutionsprozess verklärt: junge, innovative Start-ups gegen fortschrittsfeindliche Dinosaurier, die nicht wahrhaben wollen, dass ihre Zeit um ist. Die EU-Kommissarin für die Digitale Agenda, Neelie Kroes, schrieb nach dem Uber-Verbot in Belgien, Verkehrsministerin Grouwels sei stolz darauf, eine Innovation aufzuhalten. „In diesem Urteil geht es nicht um den Schutz der Nutzer“, schrieb sie. „Es geht um den Schutz des Taxi-Kartells.“ Ins selbe Horn stieß Pierre-Dimitri Gore-Coty, Uber-Verantwortlicher für Nord- und Westeuropa; die deutsche Gesetzgebung sei „zu einer Zeit geschrieben worden, als das Internet noch nicht erfunden war”. Und Gunnar Froh polemisierte in einem Interview mit „Hamburg StartUps“, wer sich an der wachsenden Sharing Economy beteilige, „lebt nachhaltiger, wird wirtschaftlich unabhängiger und kann viele tolle Leute kennenlernen. Wer das nicht mag, kann weiter alleine im Taxi ins Hotel fahren.“ Etwas hemdsärmelig, aber mit erfrischender Deutlichkeit konterte der Hamburger Taxenverband. „Demnächst fordern die Brüder wohl noch, dass man mit einer neuen App Steuerhinterziehung und Drogenhandel zulassen müsse, denn auch da ist die deutsche Gesetzgebung zu einer Zeit geschrieben worden, als das Internet noch nicht erfunden war.“

Gunnar Froh versteht die Aufregung nicht. WunderCar ist für ihn keine Konkurrenz für Taxibetriebe. Die Nutzer seiner App würden nicht Taxi fahren, wenn es WunderCar nicht gäbe. Das, sagt Froh, wäre ja viel zu teuer.

WunderCar Team

Die knapp 30 Mitarbeiter von WunderCar in der Hongkongstraße (5)

Text: Nikolai Antoniadis, Fotos: Jonas Wölk (1, 3, 4), WunderCar Mobility Solutions GmbH (2, 5) 
Quartier 27, September–November 2014 , Rubrik:    
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