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Der kreative Amtswalter

Ein brandneues Kapitel der Zivilisationskritik: Warum mutieren Staatsbedienstete zu Lebenskünstlern? 

 

Thomas Hampel

Thomas Hampel

Kunst und Kultur, Musik, Theater, Literatur und Architektur – all das Schöne an der Zivilisation gedeiht in einem organisierten Gemeinwesen am besten. Oder zumindest an dessen Peripherie. Ganz ohne funktionierende Verwaltung dagegen ist schnell Schluss mit lustig und kreativ, denn dann wird regelmäßig das Überleben wichtiger als der Kunstgenuss.

Auch wenn demonstrativ die Fallhöhe vom Schöpfungs- zum Verwaltungsakt betont wird, muss es also im vitalen Interesse der Kreativszene liegen, die Unordnung im Zaum zu halten. Das war im Babylon Hammurabis genau so, wie es bis vor Kurzem in Hamburg war. Nach 3.800 Jahren und Dutzenden Verwaltungsreformen verwendet die Behörde statt Tontäfelchen nun Textdateien, und anstelle eines Tempelturms wird ein Musentempel gebaut – aber das Prinzip blieb stets das gleiche: Verwaltung sollte funktionieren. Daran aber sind in Hamburg seit einiger Zeit Zweifel angebracht – und das geht aus den genannten Gründen alle Kunstinteressierten an. Worauf müssen wir uns zivilisatorisch einstellen? Zeichnet sich hier der vielbeschworene Abendgang des Unterlandes ab?

An das Desaster der Elbphilharmonie und daran, dass für dieses Verwaltungsversagen niemand verantwortlich ist, hat man sich gewöhnt, seit die Stadt Mitglied der BERgart21-Headbanger Selbsthilfegruppe ist. Diese erschütternde Flucht aus der Verantwortung in die Therapie war aber nur der Auftakt – hier eine kleine Auswahl aktueller bürokratischer Aussetzer mit Quartiersbezug: Bei der Gerichtsverhandlung über die Hafen-Schicksalsfrage der Elbvertiefung haben Behördenvertreter versehentlich falsch gerechnet. Bei der Planung des Abbruchs der Klappbrücke über den Sandtorhafen wurden seitens der beteiligten Ämter Anwohner- und Gewerbeinteressen gar nicht erst ignoriert. Der Neubau der Hochwasserschutz-Promenaden am Vorsetzen kommt in Verzug, weil das behördliche Baustellenmanagement über chinesische Steine des Anstoßes stolpert. Mindertiefen bürokratischer Bemühungen? Beamte, verlassen nicht nur von Mahatma, sondern auch von allen anderen guten Geistern? Die fruchtbare internationale Arbeitsteilung beim Steinekloppen wegen Inkompetenzgerangels beendet? Welthafen und Kulturmetropole Hamburg – quo vadis?

Kann es sein, dass die Verwaltung, des Verwaltens müde, ins kreative Lager gewechselt ist? Wird vielleicht in den Amtsstuben hier ein Lagerfeld-Zöpfchen gepflegt, dort die Selbstverwirklichung genossen und übergreifend fröhlich auf die Pflicht gepfiffen? Müssen nicht zwangsläufig kreative Köpfe so schnell wie möglich mit der Selbstverwaltung beginnen, um zu retten, was zu retten ist? Viele Fragen – und die Antworten weiß, wie so oft, nur der Wind, der auch die sandigen Ruinen im Zweistromland schmirgelt. Das sollte uns bei aller babylonischen Sprachverwirrung beredte Warnung genug sein – es muss endlich ein Rucksack durch die Verwaltung gehen, um die Herausforderungen der Zeit zu schultern!

Quartier 27, September–November 2014 , Rubrik: ,    
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