« Zurück zur Übersicht

Werkhallen

Die Deichtorhallen, Hamburger Institution und in Europa eines der größten Ausstellungshäuser für zeitgenössische Kunst und Fotografie, feiern ihr 25-jähriges Jubiläum
Deichtorhallen

Ausstellung in den Deichtorhallen (1)

Es war gegen 22 Uhr, als ein Raunen durch den Raum ging. Die 350 Previewgäste besichtigten die Eröffnungsausstellung der Deichtorhallen. Die Hallen waren glanzvoll renoviert, eingerichtet hatte die Schau der damals schon legendäre Kurator Harald Szeemann, und es gab viel zu entdecken, was auf manch konservativen Hanseaten noch befremdlich wirkte: Arbeiten von Bruce Nauman oder Robert Gober etwa. Dann aber mischte sich eine historische unter die ästhetischen Sensationen: Es hieß, die Mauer sei gefallen.

Deichtorhallen

Die Eröffnungsveranstaltung der Deichtorhallen (1989) (2)

Als dann am nächsten Tag, dem 10. November 1989, die Eröffnung für das große Publikum zelebriert wurde, parkten rings um die Hallen schon zahllose Trabbis, und ihre rußigen Abgase lagen in der Luft. Es war damals schon eine kühne Tat, in der nur bedingt dem innovativen Schönen zugewandten Hansestadt zwei zusammen 6.000 Quadratmeter große Hallen der aktuellen Kunst und Kultur zu widmen. Jetzt war es, als wolle die Geschichte assistieren und betonen: Ja, jetzt und hier beginnt eine neue Zeit!

Die Eröffnung der Deichtorhallen jährt sich demnächst zum 25. Mal. Weil aber die Nordhalle derzeit saniert wird, startet im November nur ein kleines Jubiläumsprogramm. Groß gefeiert wird erst, wenn voraussichtlich nächsten Februar die Nordhalle wiedereröffnet wird. Gratulieren kann man aber jetzt schon: Denn den Hallen ist es gelungen, mit ihrer elegant modernisierten Architektur und einem immer wieder aufregenden Programm zu einem Ort mit internationalem Flair und Renommee zu werden. Dabei hat sich Szeemann schwer getan mit der Raumwirkung. Architekt Josef Paul Kleihues hatte die äußere Erscheinung der 1911 bis 1913 erbauten Hallen mit ihrer backsteinverkleideten Stahlglasarchitektur erhalten. Aber er hatte dem zwischen Jugendstil und eher sachlicher Reformarchitektur changierenden Bau mit seiner ornamentalen Fenstergestaltung ein strahlend helles, modernes Interieur eingeschrieben. Der glänzende, graue Boden und die strahlende Beleuchtung aber störten den Schweizer Kunstmagier. „Zu modisch, zu elegant“, befand er.

Deichtorhallen

Die Südhalle (links) (3) und die Nordhalle (rechts) (4)

Trotzdem war Szeemanns Initialschau ein grandioses, sensibel komponiertes Panorama der Gegenwartskunst: mit Auratischem von Ellsworth Kelly, Cy Twombly oder Donald Judd, mit Schrägem von Cady Noland, Rosemarie Trockel oder Rachel Whiteread. Und die zahlreichen Besucher hatten die allzu sehr spiegelnden Fußböden ohnehin bald abgelaufen. So verleitet der lichte, weite Raum der Hallen bis heute auch Künstler zu Werkschauen, die wie etwa Hans Haacke oder Fischli/Weiss andernorts Retrospektiven verweigern.

Körber-Stiftung

Skulptur des Firmenlogos der Körber-Stiftung auf dem Vorplatz der Deichtorhallen (5)

Die 25 Millionen Mark teure Restaurierung der Hallen war der Stadt von dem Industriellen Kurt A. Körber geschenkt worden. In den Anfangsjahren hat dann John-Erik Berganus, ein weltläufiger Hamburger Kaufmann und Kunstförderer mit guten Kontakten in die Pariser Kulturszene, die Geschicke des Ausstellungshauses gelenkt. Damals lief Anspruchsvolles wie die „Concept Art“-Schau und die erste Auswärtsvorstellung der Sammlung des Centre Pompidou, aber auch Buntes wie eine Parade von „Kunstdrachen“.

Zdenek Felix, Direktor ab 1991, balancierte das Programm dann meist virtuos zwischen Populärem und Avantgarde. Er hatte den Job trotz der damals schon spürbaren Unterfinanzierung des Hauses angenommen: „Es reizte mich“, so Felix im Gespräch mit QUARTIER, „in zwei so großen Hallen gleichzeitig arbeiten zu können. Und der zweite Grund war Harald Szeemann. Ich hatte 1969 bei ihm als Assistent an der Kunsthalle Bern gearbeitet. Ich schätzte ihn als den vielleicht wichtigsten Kurator der vergangenen Jahrzehnte. Und sein ‚Einleuchten‘ hat mich sehr begeistert.“

Lichtenstein

Pop-Art-Legende Roy Lichtenstein mit Direktor Zdenek Felix (1995) (6)

Felix zeigte in den Deichtorhallen dann etwa den Pop-Papst Roy Lichtenstein, die Körperkunst-Doyenne Louise Bourgeois oder die drei fulminanten Werkschauen, die nebeneinander in der Nordhalle liefen: die spektakulären Kunstwerks-Re-Produktionen von Elaine Sturtevant, die Fotos von Annie Leibovitz und die wohn- und wahnwitzigen Fotoinszenierungen von Anna und Bernhard Blume. Die Besucher standen Schlange – vermutlich auch, weil Leibovitz ein Jahr zuvor mit der nackt und hochschwanger posierenden Demi Moore eines der aufsehenerregendsten Fotos der 90er Jahre geknipst hatte.

Noch mehr Andrang gab es bei der Medienkunstschau „Feuer Erde Wasser Luft“. Bei der Eröffnung überfluteten so viele Besucher den Vorplatz, dass, um Kunstwerke und Besucher zu schützen, die Eingangstür geschlossen werden musste. Am Hinterausgang musste Angelika Leu-Barthel, die bis heute die Pressearbeit der Institution souverän managt, mit Regenschirmen als Sperrwerk „die Halle verteidigen“: Denn immer, wenn am Hinterausgang ein paar Gäste das Haus hinausschlüpften, drängten wieder neue Besuchermassen herein.

Von Anfang an legte Felix besonderen Wert auf Fotoausstellungen: „Ich betrachtete Fotografie schon damals nicht als eigenständiges Medium, sondern als bedeutenden Teil der Kunst.“ Er zeigte Henri Cartier-Bresson, Jeff Wall und Sebastião Salgado. Und Helmut Newton: Zur Eröffnung war der Starfotograf, so erinnert sich Felix, aus Paris in einem Privatflugzeug mit einem Pulk von Begleitern und Modellen angereist – unter ihnen auch Karl Lagerfeld, der den Flieger organisiert hatte.

Grazile Beautys, die sich im Seetang räkelten, dominante Damen in High Heels und laszive Schöne in Louis-quinze-Suiten – Newtons Akte polarisierten: „Damals“, so Felix, „standen ein paar Tage lang Feministinnen vor den Hallen und verteilten Flugblätter. Irgendwann fragte ich sie, was sie so provoziere. Frauen würden bei Newton auf Sexobjekte reduziert, meinten sie. Ich fragte zurück, ob es nicht eine legitime Facette des Frauseins sei, anziehend zu wirken. Vielleicht hat es sie überzeugt, auf jeden Fall waren sie bald nicht mehr da.“

Post human

Die Ausstellung „Post Human“, eine Auseinandersetzung post-konzeptueller Kunst mit dem Menschenbild (1993 ) (7)

Einen kritischeren Blick auf das aktuelle Menschenbild warf „Post Human“. Konzipiert hatte die Schau Jeffrey Deitch, der Kunsthändler, der später umstrittener Leiter des Museum of Contemporary Art in Los Angeles war. Mit Arbeiten von Damien Hirst, Paul McCarthy oder Matthew Barney stellte sie 1993 die hellsichtige Diagnose: Wir leben in einer von Gentechnik und Virtualität bestimmten Zeit, und das humanistische Menschenbild ist längst ausgehebelt.

Home sweet home

Die Ausstellung „Home Sweet Home“ zum Thema Wohnen (1997) (8)

Heimeliger, aber nicht ohne Hintersinn kreiste „Home Sweet Home“ das Thema Wohnen ein: etwa mit dem Nebelraum von James Rosenquist oder einem Raum mit Lagerfeuer von Martin Kippenberger. Einzelne Besucher aber verlangten ihr Eintrittsgeld zurück: Sie hatten eine Möbelmesse erwartet.

Perfect World

„Perfect World“ von Jason Rhoades (1999) (9)

Äußerlich wirken die Hallen eben nicht wie ein klassischer Kunstort, was aber generell eher ein Vorteil ist: „Sie haben keine sterilen Wände, und sie sind kein White Cube, der keine Historie hat. Sie haben Eigenleben und Bezug zum Leben der Stadt und sind so Inspiration für Künstler“, so Felix. Auf besondere Resonanz stießen sie bei Jason Rhoades, dem damals 34-jährigen Shootingstar aus Los Angeles. Mit polierten Alu-Gerüstbauröhren pflanzte er eine Art Paradiesgärtlein samt ruckelndem Aufzug und Absturzgefahr in die luftigen Höhen der Südhalle. Leider schnellten bei dem Projekt auch die Kos-ten in die Höhe, und vorm pekuniären Crash bewahrten die Deichtorhallen nur die Spenden von Kunstfreunden wie dem Hamburger Sammler Harald Falckenberg.

2005 wurde die Südhalle zum Haus der Photographie. Sie widmet sich seither ganz der Kamerakunst und konnte beispielsweise mit Schauen wie „Martin Munkácsi“, „The Heartbeat of Fashion“ oder „Lillian Bassman & Paul Himmel“ brillieren – und das auch, weil ihr bis 2023 die Fotosammlung des Hamburger Modefotografen F. C. Gundlach als Dauerleihgabe zur Verfügung steht.

Jonathan Meese

„Mama Johnny“ von Jonathan Meese (2006) (10)

Ab 2004 leitete Robert Fleck die Deichtorhallen. In seine Amtszeit fiel eine spektakuläre Jonathan-Meese-Schau. Dabei stellte der im Hamburger Umland aufgewachsene Gesamtkunstwerker, dessen Arbeiten einen grotesken Kosmos männlicher Heroik exponieren, auf anrührend komische Weise auch mal seine Mutter in den Mittelpunkt seiner Kunst.

Deichtorhallen Ausstellungen

Aus der Julia Stoschek Collection „I want to see how you see“ (2010): Björk (11) und „gaze“ von Bruce Nauman (12); Ausstellung „Wunder“ (2011) (13)

Dirk Luckow, Chef des Hauses seit 2009, startete mit einer perfekten Inszenierung der Medienkunst der Düsseldorfer Sammlerin Julia Stoschek. Publikumsrenner aber wurde die verspiegelte, schwarze Fläche, die Antony Gormley in sieben Metern Höhe verspannte. 120.000 Besucher fühlten sich dort oben aller Last enthoben: Sie tollten, turnten, turtelten, als wären sie dem Himmelszelt näher gerückt.

Horizon Field

Antony Gormleys „Horizon Field“ (2012) (14)

Seit 2011 haben die Deichtorhallen – ebenfalls auf Zeit – Zugriff auf die so eigenwillige wie bedeutende Kollektion vor allem deutscher und US-amerikanischer Gegenwartskunst des Sammlers Falckenberg und können zugleich dessen Ausstellungsräume in Harburg mitbespielen.

Secret Signs

Zhang Huan: „Family Tree“, aus der kommenden Ausstellung „Secret Signs“ in der Sammlung Falckenberg (15)

An den inzwischen drei Spielstätten wurden bis zum Sommer 208 Ausstellungen mit 1.915 Künstlern gezeigt, und über 30 Millionen Besucher wurden gezählt. Und vielversprechend geht es weiter: Ab November wird es in Harburg eine Schau zum Thema Schrift in der zeitgenössischen Kunst Chinas geben – eine Zusammenarbeit mit dem gigantischen Museumsprojekt M+ in Hongkong, dessen Haus 2017 eröffnen soll.

„Noch luftiger, homogener, eleganter“, wie Dirk Luckow es formulierte, werde die Nordhalle aussehen, wenn sie 2015 mit der eigentlichen Jubiläumsschau wiedereröffnet: mit einer Ausstellung zu Picasso – aber ohne Picasso. Thema ist nämlich der Einfluss des Kunstkraftgiganten auf Künstler wie David Hockney, Martin Kippenberger oder Cindy Sherman. Dann wird die Sanierung auch eine energiesparende LED-Beleuchtung gebracht haben, eine auch für ältere Kunst optimierte Klimatisierung und eine neue Gastronomie mit Außenbereich an der zur Stadt gelegenen Westseite.

Deichtorhallen Ausstellungen

„Tischgesellschaft“ von Katharina Fritsch (2010) (16); Retrospektive von Lillian Bassman & Paul Himmel (2009) (17); Erwin Wurm Retrospektive (2007) (18); „VisualLeader“ 2013 (19)

Dirk Luckow

Dirk Luckow, Intendant der Deichtorhallen seit 2009 (20)

Zu Luckows Zukunftsplänen gehört das spannend klingende Projekt „Streamlines“, das sich aus künstlerischer Sicht mit internationalen Handelswegen und der Geopolitik der Ozeane auseinandersetzt und von Koyo Kouoh aus Dakar kuratiert werden wird. Langfristig streben die Deichtorhallen die dauerhafte Anbindung der Sammlungen Gundlach und Falckenberg an. Und schon heute wäre die Beteiligung am Hamburger Ausstellungsfonds wünschenswert, was das strukturelle Finanzdefizit des Hauses mit Sicherheit ein wenig lindern würde.

„Aber so oder so“, verspricht Dirk Luckow, „wir arbeiten daran, dass die Deichtorhallen in Hamburg das bleiben, was sie heute schon sind: The place to be.“

 

Text: Karin Schulze; Fotos: Thomas Hampel (1, 13), Isabel Mahns-Techau (2), Conny Hilker (3), Henning Rogge (4, 14, 17, 19), Astrid Hüller (5), Bernd von Lewandowski (6), Wolfgang Neeb (7, 8, 9, 18), Birgit Hübner (10), Julia Stoschek Collection (11 Björk/One Little Indian, 12 Bruce Nauman/Electronic Arts Intermix), Zhang Huang (15), Katharina Fritsch/VG BILD KUNST (16), Bertold Fabricius (20)
Quartier 27, September–November 2014 , Rubrik:    
« Zurück zur Übersicht