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Fossile Energie

Über anderthalb Jahrhunderte wurde am Strandkai Energie erzeugt, bevor mit der Entscheidung zum Bau der HafenCity auch diese Industrie aus dem früheren Hafenareal verschwand

Kraftwerk

Zwei Zeugnisse verschiedener Zeitalter – das HEW-Kraftwerk vor dem imposanten Gerüst des alten Gasometers (1984) (1)

Zu umständlich, verkehrshemmend und viel zu teuer. Nein, von der Idee einiger Hamburger Investoren, eine öffentliche Gasbeleuchtung einzurichten, wollte der Senat nichts hören. 1839 schien das Projekt des Vereins Gas-Compagnie allzu modern. Die Fachwerkstadt Hamburg mit ihren engen Gassen war nicht modern. Drei Jahre später, nach dem Großen Brand von 1842, war Hamburg aber in Aufbruchstimmung. Die Stadt sollte jetzt moderne Straßen, eine Kanalisation, ein Wasser- und ein Gaswerk erhalten. Der 1844 zwischen der Stadt und der Gas-Compagnie geschlossene Vertrag sicherte dem Unternehmen ein Monopol für 30 Jahre.

Auf dem Grasbrook fand man einen idealen Standort direkt an der Elbe – heute liegt hier der südliche Teil des Überseequartiers –, wo die aus England kommende Kohle gelöscht werden konnte. Im Gaswerk sollte sie unter Luftabschluss in Retorten oder Kammeröfen entgast werden. Außerdem konnte man die Abwässer ungeniert in die Elbe entsorgen. Im August 1844 begannen die Bauarbeiten, und nur wenige Wochen später stand das Gaswerk. Doch es stand auf niedrigem, weichem Untergrund und war nicht sturmflutsicher. Im November 1845 wurde es durch ein Hochwasser weitgehend zerstört, und die erst vier Wochen zuvor installierten Gaslaternen erloschen wieder.

Für den Bau des neuen Gaswerks, 1846 vom englischen Ingenieur William Lindley konzipiert, wurden 12.000 Pfähle in den morastigen Boden des Grasbrooks gerammt. Von nun an konnte das „Röhrengas“ durch zwei Leitungen in die Stadt geführt werden. Den Hamburgern gefiel die Gasbeleuchtung, und immer mehr Haushalte wurden ans „Rohr“ angeschlossen. 1870 war das Rohrnetz bereits 240 Kilometer lang und beförderte 14 Millionen Kubikmeter Gas. Viel zu wenig, beschwerten sich die Hamburger. Denn seit 1862 investierte die Gas-Compagnie kaum noch in das Werk und den Ausbau des Rohrnetzes, da ihr Monopol 1874 auslaufen sollte. Bis dahin wollte man möglichst viel Gewinn aus dem Gasgeschäft ziehen – die Dividenden betrugen bis zu 60 Prozent. 1874 pachtete Carl Haase das Gaswerk von der Stadt, 1890 übernahm diese selbst den Betrieb.

Schon früh war das Gaswerk zu einem Teil der Hamburger Silhouette geworden. Seit 1848 war der Gasturm, ein 73 Meter hoher Schornstein mit einem Durchmesser von zehn Metern, sein Wahrzeichen. Im Jahre 1878 wurde ein 50.000 Kubikmeter fassender Gasometer gebaut, damals der größte auf dem Kontinent. 1909 dann ein neuer Superlativ: ein 200.000 Kubikmeter fassender „Riesengasometer“. Doch er stürzte bereits nach wenigen Tagen wegen falscher statischer Berechnungen ein. Für die Familien der 20 Toten und der 43 Schwerverletzten wurden in der „Grasbrookspende“ 54.000 Mark gesammelt. Der Gasometer konnte dann erst 1911 in Betrieb gehen.

Gasometer

Die unmittelbare Nachbarschaft des Gaswerks zu dem langen, zweistöckigen Fruchtschuppen C am Magdeburger Hafen wurde zwar bemängelt, aber akzeptiert (um 1930) (2)

Im Zweiten Weltkrieg wurde das Gaswerk weitgehend zerstört. Der Wiederaufbau war mit einer Werkserweiterung verbunden. Anfang der 50er Jahre wurden auf dem Grasbrook 59 Prozent des Gases für Hamburg und Umgebung produziert. Doch die Tage des Stadtgases waren gezählt. Erdgas und Elektrizität eroberten den Markt. Anfang der 60er Jahre wurden die Gaswerke in Barmbek und Tiefstack stillgelegt. Für den Grasbrook kam das Ende 1976, als eine Sturmflut das Werk schwer beschädigte. Auf dem 67.000 Quadratmeter großen Gelände – inzwischen von fünf auf 7,20 Meter erhöht und versiegelt – wurde das Cellpap Terminal erbaut. 2002 wurde es abgerissen und das kontaminierte Erdreich ausgetauscht.

An das Thema Elektrizität tastete sich Hamburg nur zögerlich heran. Die ersten Experimente wagte man auf dem Grasbrook. 1882 wurden der Kaispeicher A (heute Elbphilharmonie) und das Rathaus elektrisch beleuchtet. Auch in der Speicherstadt ging man mit der Zeit. In der Centralstation (heute HafenCity InfoCenter im Kesselhaus) erzeugten Dampfmaschinen Druckwasser, mit dem die Aufzüge und Winden in den Speichern bewegt wurden. Gegen Ende des Jahrhunderts ersetzte man die hydraulischen Systeme durch elektrische. 1891 ging auf dem Petersenkai am Baakenhafen der weltweit erste elektrische Hafenkran in Betrieb. Der Strom wurde in einem kleinen Kraftwerk auf dem Kai erzeugt. Als der gesamte Hafen elektrifiziert wurde, bezogen die Hafenbetriebe den Strom aus den Kraftwerken Tiefstack, Neuhof und Harburg. Hier wurde Kohle zu Staub gemahlen, bevor sie in Kesseln verbrannt wurde, um Wasserdampf zu erzeugen. Dieser trieb die Turbogeneratoren an, die den Strom erzeugten – eine umweltbelastende Art der Stromgewinnung, auch wenn die schädlichen Abgase durch hohe Schornsteine abgeleitet wurden. Der 150 Meter hohe Schornstein des Kraftwerks Neuhof war einer der höchsten in Deutschland.

Heizkraftwerk Hafen

Vor dem Kraftwerk Hafen befanden sich am Hübenerkai über viele Jahre hinweg die Anleger der HADAG-Fähren, die den Personenverkehr im Freihafen abwickelten (1964) (3)

Auf 150 Metern Höhe kam auch der Schornstein des Heizkraftwerks Hafen, das zudem moderne Filteranlagen erhielt. Das zwischen 1959 und 1964 am Strandkai auf dem Grasbrook gebaute Werk versorgte die Innenstadt und die Hafenbetriebe mit Strom und Fernwärme. Fernwärme war damals neu; 1963 gab es erst 1.000 Fernwärmekunden. Da das 20.000 Quadratmeter große Gelände auf dem Strandkai für ein derartiges Kraftwerk eigentlich viel zu klein war, wurde die Anlage kompakt geplant. Die Planungen für die HafenCity seit Ende der 90er Jahre läuteten dann das Ende des Kraftwerks Hafen ein. 2000 begannen die Abrissarbeiten. Dabei kam es bei der Vorbereitung zur Sprengung des Dampfkessels 1 zu einem folgenschweren Unfall mit zwei Toten. Die 40 Meter hohe Stahlkonstruktion, die an einigen Sollbruchstellen angeschweißt war, stürzte zusammen.

Mit dem Abbruch des Kraftwerks Hafen endete die Ära der Energieerzeugung auf dem Grasbrook. Das 1999 in Betrieb genommene Heizwerk am Dalmannkai erzeugt keine Energie. Es wird mit Erdgas betrieben und speist Heizwasser und Heizdampf in das Fernwärmenetz ein. Anders als bei den alten Kohlekraftwerken entsteht bei der Verbrennung von Erdgas weder Staub noch Ruß. Auch der unvermeidliche Ausstoß von Kohlenmonoxid und Stickoxid kann im Heizwerk HafenCity deutlich unter den gesetzlich festgelegten Grenzwerten gehalten werden.

Heizwerk HafenCity

Der Große Grasbrook 2014: Das Kraftwerk ist längst veschwunden, an seiner Stelle stehen Unilever-Haus und Marco Polo Tower (links im Bild). Prominent in Lage und Form ist heute hingegen das silberne Heizwerk, das aber keine Energie erzeugt, sondern Wärme (4)

Text: Holmer Stahncke, Fotos: Thomas Hampel (1), Hamburger Hafen und Logistik AG (2), Hamburger Hafen und Logistik AG/Harald Zoch (3), Jonas Wölk (4)
Quartier 28, Dezember 2014–Februar 2015 , Rubrik:    
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